Der Senat der Vereinigten Staaten hat am 21. Oktober mit großer Mehrheit (64 zu 34 Stimmen) ein Gesetz verabschiedet, das die sogenannten Spätabtreibungen verbietet. Nach der 22. Schwangerschaftswoche darf jetzt nur noch abgetrieben werden, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist. Voraus ging allerdings eine mehr als achtjährige parlamentarische Auseinandersetzung. Von den – nach offiziellen Statistiken – jährlich 1,3 Millionen Abtreibungen in den USA sind mehrere tausend Spätabtreibungen. Hierbei handelt es sich um Embryos, die bereits als lebensfähig gelten. Die Geburt wird künstlich eingeleitet, und das Kind wird durch Absaugen des Gehirns oder durch eine Kaliumchlorid-Injektion ins Herz getötet. Abtreibungsgegner sprechen von einer „Abtreibung durch teilweise Geburt“. Auch in Deutschland sind seit der Novellierung des Paragraph 218 im Juni 1995 Spätabtreibungen bis zur Geburt möglich, wenn dieser Schwangerschaftsabbruch „nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann“. Behindertes Leben erscheint hier als „lebensunwert“. So werden beispielsweise 90 bis 95 Prozent der ungeborenen Kinder, bei denen ein Verdacht auf Down-Syndrom (auch Trisomie 21 genannt) festgestellt wird, abgetrieben. Bekanntestes Beispiel ist der Fall des Oldenburger Babys Tim, bei dem sich die Eltern nach der Diagnose Down-Syndrom zu einer Abtreibung in der 25. Schwangerschaftswoche entschieden. Doch Tim überlebte im Juli 1997 die geplante Abtreibung. Der Skandal war damals, daß die Ärzte den Neugeborenen zehn Stunden unversorgt liegen ließen, bis sie mit der medizinischen Versorgung begannen. Hier wird die Schizophrenie der deutschen Gesetzeslage deutlich sichtbar. Während im Kreißsaal dem einen Kind zum Leben verholfen wird, wird nicht selten im Raum nebenan ein gleichaltriges Kind getötet. Tim ist kein Einzelfall. Offiziellen Zahlen zufolge wurden 2002 in Deutschland 188 Kinder durch Spätabtreibungen nach der 22. Schwangerschaftswoche getötet. Experten gehen aber von einer hohen Dunkelziffer aus und sprechen von jährlich mehr als 800 Spätabtreibungen. Die psychischen Folgen für eine Frau, die sich zu diesem Schritt entschließt, sowie für den Partner und die Angehörigen, die sie zu diesem Schritt ermutigen, werden totgeschwiegen. Die christliche Schwangerschaftsberatungsstelle „Birke“ berichtet aus eigener Erfahrung: „Paare, die sich aufgrund medizinischer Indikation für eine Abtreibung entscheiden, kommen nicht über die Tötung ihres Kindes hinweg, leiden unter Scham- und Schuldgefühlen, wünschen, es rückgängig machen zu können, häufig kommt es zu Ehescheidungen. Paare hingegen, die ihr behindertes Kind austragen, auch wenn es nicht lebensfähig ist, und in Würde eines natürlichen Todes sterben lassen, können um ihr Kind als ein geliebtes Familienmitglied trauern, sie empfinden Schmerz, aber keine Reue und Scham.“ Der „Oldenburger Fall“ hatte eine Zeitlang für Aufsehen gesorgt, und Politiker von CDU/CSU, SPD und den Grünen forderten eine Neufassung des Paragraph 218. Seitdem scheint die Auseinandersetzung um dieses Thema wieder eingeschlafen zu sein. Es bleibt die Hoffnung, daß die Neuordnung des Abtreibungsgesetzes in den Vereinigten Staaten auch bei uns die Diskussion wieder neu aufleben läßt und daß zumindest die legale Tötung der außerhalb des Mutterleibes überlebensfähigen Kinder bald ein Ende findet.
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