Wird der Alptraum vom „gläsernen Menschen“, der nichts mehr zu verbergen hat, jetzt Wirklichkeit – und das ausgerechnet in Mittel- und Südamerika? Die guatemaltekische Firma Infornet sowie das US-Unternehmen Choice Point haben von fast 50 Millionen Lateinamerikanern persönliche Daten gesammelt und sie Zeitungsberichten zufolge an Regierungsstellen in den USA weitergegeben. Die Staatsanwaltschaften von Guatemala, El Salvador und Nicaragua ermitteln jetzt gegen den ungewöhnlichen Datentransfer. „Wir bieten Ihnen die wichtigsten Informationen in diesen Zeiten der Unsicherheit“ – mit diesem Text warb Infornet auf seiner Internetseite für sein kommerzielles Angebot, das alles andere als alltäglich ist und weit in den persönlichen Bereich der Bürger Zentralamerikas greift. Zum Verkauf standen Daten wie Paß- und Ausweisnummern, Steuererklärungen, eventuelle Vorstrafen, finanzielle Verhältnisse, Beruf, Aufenthaltsort und eine genaue persönliche Beschreibung. Infornet unterhält Büros in Guatemala und in den Hauptstädten El Salvadors sowie Nicaraguas, und seine Mitarbeiter können als ausgesprochen fleißig gelten. In ihren Datenbanken haben sie bereits sämtliche wichtigen Informationen von 90 Prozent der zwölf Millionen Guatemalteken, von vier der insgesamt sechs Millionen Salvadorianer sowie weiteren vier Millionen Nicaraguanern gespeichert. Als dies von den Zeitschriften Siglo XXI in Guatemala City und La Prensa (Managua) bekanntgemacht wurde, brach ein Sturm der Entrüstung los. Viele Bürger wollten wissen: „Bin auch ich erfaßt?“, „Was geschieht mit meinen persönlichen Daten?“ und „Wer hat sie ohne meine Erlaubnis weitergegeben?“ Eine noch größere Dimension erreichte die Sammelwut von Choice Point in Kolumbien. Dort sollen bereits Informationen von 31 der insgesamt 40 Millionen Kolumbianer in den Computern der nordamerikanischen Firma gespeichert sein. Und in Mexiko, so hieß es in einem Zeitungsbericht, habe Infornet die gesamte statistische Erhebung des Landes gekauft und an Choice Point übergeben. Nachdem Anwälte von Menschenrechtsorganisationen Strafanzeige erstattet haben, schalteten sich die Staatsanwaltschaften der drei zentralamerikanischen Staaten in die Ermittlungen ein. Sie wollen vor allem Auskunft darüber, was mit dieser ungeheuren Fülle von elektronisch gespeichertem Material geschieht. Nach Presseangaben wurde es möglicherweise an Regierungsstellen in den USA verkauft, speziell an das Innenministerium und die Einwanderungsbehörde. Die Behörden wollen die Informationen offensichtlich dazu nutzen, potentielle Drogenhändler an der Grenze abzuweisen, oder, wenn sie sich bereits in den USA befinden, zu verfolgen. Darüber hinaus sollen sie einheimischen Firmen und internationalen Konzernen gegen Bezahlung zur Verfügung stehen, falls sie Mitarbeiter einstellen wollen. Ob der Süd-Nord-Datentransfer gerichtlich gestoppt werden kann, ist allerdings fraglich. „Das Problem ist, daß es keinerlei gesetzliche Vorschriften gibt, die die Weitergabe von persönlichen Daten regeln“, sagt Fernando Arguello, Anwalt in El Salvador und Spezialist auf diesem Gebiet. So wundert es nicht, daß die Anwältin von Infornet, Verónica Nájera, mit dem Hinweis argumentiert, die gespeicherten Informationen seien frei und allgemein verfügbar und deshalb keinerlei Einschränkungen unterworfen. Die USA weisen unterdessen jede Schuld von sich. Catherine Jarvis, verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit an der US-Botschaft in El Salvador, sagte, sie wisse nichts von einem Vorhaben ihrer Regierung, Daten über Südamerikaner zusammenzutragen. „Dennoch sind wir selbstverständlich darum bemüht, an Informationen über Terrorismus und sonstige kriminelle Aktivitäten heranzukommen“, fügte sie hinzu.