Die Mitglieder der Skinhead-Band Landser sind nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz nicht zuletzt wegen ihres „vergleichsweise hohen musikalischen Könnens“ die „bekanntesten und einflußreichsten Rechtsrocker“ in Deutschland. Jetzt wird mit dem zur Zeit in Berlin stattfindenden Landser-Prozeß ein neuer politischer Weg im Kampf gegen Rechts beschritten. Zum ersten Mal wird in der Bundesrepublik eine Musikgruppe als „kriminelle Vereinigung“ angeklagt. Der Vorwurf hat es in sich, denn er geht weit über die Tatbestände der Volksverhetzung oder der Gewaltverherrlichung hinaus. Deshalb spricht der zuständige Bundesanwalt Wolfgang Siegmund ganz bewußt von juristischem „Neuland“, welches hier betreten werde. Es handle sich um einen „komplizierten Grenzbereich“, so Siegmund, der sich seiner Pionierrolle in diesem Verfahren bewußt ist. Folgerichtig spricht der Verteidiger eines der Bandmitglieder, Arnold Wendorff, von einer „Musteranklage“. Deshalb hat der Prozeß Symbolwert. Als Motivation für diesen neuen Weg wird ein praktischer Grund angeführt: Äußerungsdelikte verjähren bereits nach sechs Monaten, so Ankläger Siegmund. Dabei hat der Tatvorwurf der Bildung einer „kriminellen Vereinigung“ in diesem Zusammenhang einen fast totalitären Beigeschmack. Seit 1871 werden mit dem Paragraphen 129 des Strafgesetzbuchs vor allem politisch mißliebige Gruppen und Vereinigungen verfolgt. Vor allem im Kaiserreich wurden auf dieser Grundlage die Sozialdemokraten und ihr nahestehende Arbeitervereine verfolgt, später auch rechtsstehende Verbände. Gerade von linker Seite wurde folglich dieser Tatbestand als „Sonderrechtssystem“ kritisiert. Eigentlich würde man daher aus dieser Richtung heftigen Protest gegen die Anwendung des verhaßten Paragraphen erwarten. Aber es scheint so, als habe die Linke in diesem Fall keine Einwände gegen eine Anwendung des 129 StGB. Von der Frankfurter Rundschau bis zur Jungle World wird der bei anderen Gelegenheiten heftig angegriffene Paragraph mit keinem Wort kritisiert. Vielleicht liegt es daran, daß der Landser-Prozeß auf beeindruckende Weise die Antifa-Parole „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ realisiert. Konservative, die sich in diesem speziellen Fall über das harte Vorgehen der Justiz freuen, sollten wachsam bleiben. Denn der linke Faschismus-Vorwurf geht bekannterweise weit über das hinaus, was eine Skinhead-Band wie Landser produziert. Wozu jeder Besucher im Verhandlungssaal des zweiten Senats des Berliner Kammergerichtes ausreichend Gelegenheit erhält, kann außerhalb solcher Räumlichkeiten schnell mit Verurteilungen zu empfindlichen Strafen enden. Im Zuge der Beweisaufnahme im Prozeß gegen drei Mitglieder der Berliner Skinhead-Band Landser wurden bislang nahezu alle Titel der 1993 erstmals als MC veröffentlichten Produktion „Das Reich kommt wieder“ im Gerichtssaal den Anwesenden zu Gehör gebracht. Weiteres Material wird nach Ankündigung des Vorsitzenden Richters in den nächsten Wochen folgen. Erst vor wenigen Wochen wurde ein Berliner Lackierer, der sich bereits vor Jahren aus der „Szene“ gelöst hatte, wegen des lautstarken Abspielens eines Landser-Tonträgers in seiner Privatwohnung wegen „Verbreitung von Propagandamitteln verfassungsfeindlicher Organisationen“ und Volksverhetzung zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt und das Corpus delicti eingezogen. Seit dem 24. Juni wird unter dem Vorsitzenden Richter Wolfgang Weißbordt gegen die drei Mitglieder der letzten Formation der Gruppe auf Antrag der Karlsruher Bundesanwaltschaft verhandelt: den Sänger und Gitarristen Michael R., einen 38jährigen hageren Mann mit schütteren, zu einem Pferdeschwanz zusammengebundenen Haaren, mit Sweatshirt, grobem „Holzfäller“-Hemd und einer Kappe gekleidet, die er nur im Gerichtssaal abnimmt; den Bassisten André M., einen 35jährigen kahlköpfigen kräftig wirkenden Tischler im schwarzen Anzug, und den Schlagzeuger Christian W., einen 27jährigen ebenfalls kahlköpfigen, kleingewachsenen, körperlich gut durchtrainierten Schlosser mit weißem Hemd und Jeans, der erst im Sommer 1998 zur Gruppe stieß. Das Verfahren wird sich wohl in die Länge ziehen Ihnen wird unter anderem Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß, Verunglimpfung des Bundespräsidenten sowie öffentliche Aufforderung zu Straftaten zur Last gelegt. So sollen sie in einem Liedtext zur Tötung des damaligen Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Michel Friedman, aufgerufen haben. In einem anderen Text ist mit Blick auf den ausländerreichen Berliner Bezirk Kreuzberg von der Vergiftung des Leitungswassers mit Strychnin die Rede, „dann geht die ganze Bande ein, dann wär unsere schöne Stadt befreit von Kreuzberg“. Ein Novum ist der Prozeß indes wegen des erstmaligen Versuchs, einer Musikgruppe die „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ nachzuweisen. Schon allein aus diesem Grund wird sich das Verfahren in die Länge ziehen: Momentan sind bis Anfang September fast dreißig Verhandlungstermine angesetzt. Bis zur Verkündung eines Urteiles werden jedoch voraussichtlich weitere Monate vergehen. Ende 2001 wurden im Rahmen einer konzertierten polizeilichen Aktion die drei Angeklagten verhaftet und ihre Wohnungen durchsucht. Dabei wurden Instrumente, Tonträger, Entwürfe für Logos und Informationsblätter sowie Notizen zu Titeln und Laufzeiten der Gruppe gefunden, die nunmehr als Beweisstücke dienen. Bislang ist der Prozeß noch im Stand der Beweisaufnahme, die sich auch über die nächsten Verhandlungstage erstrecken wird. Im Mittelpunkt des bisherigen Geschehens im Gerichtssaal standen ehemalige Mitglieder der Gruppe, enge Freunde der Angeklagten sowie ein Produzent von Landser-Tonträgern, aus deren Aussagen zunächst ein genaueres Bild von der Entstehung und dem Charakter der Band gewonnen werden sollte. So ließ sich aus den Ausführungen von Sören B., dem heute 33jährigen Sänger aus der Anfangsformation von 1991/1992, entnehmen, daß es Mitte 1991 erstmals zur Ausbildung einer festeren Formation gekommen sei, obwohl zuvor wie auch in den folgenden Jahren sich die Mitglieder noch an anderen musikalischen Projekten beteiligten. Musikalische Vorbilder seien zunächst die „Böhsen Onkelz“ sowie die in Skinhead-Kreisen beliebte Oi!-Musik gewesen. Im Frühjahr 1992 sei der Angeklagte R. zur Band gestoßen, da man gerade einen Gitarristen gesucht habe. Nach den Ursachen seines Ausscheidens aus der Band Ende 1992 befragt, gab der heute 33jährige B., der zusammen mit seinem Anwalt im Gerichtssaal erschien, eine Verhaftung wegen des Verdachts auf Besitz von Sprengstoffen – der sich anschließend jedoch nicht erhärtete – sowie familiäre Gründe an. Sehr kurz gestaltete sich dagegen die vorläufige Befragung von Horst S., von der Anfangsformation bis 1996 Schlagzeuger der Gruppe. Der am vergangenen Dienstag mit anwaltlichem Beistand im Gerichtssaal erschienene S. lehnte Zeugenaussagen kategorisch mit der Begründung ab, daß er diese „Geschichte“ als „abgeschlossen“ betrachte. Auch der ausdrückliche Hinweis der Staatsanwaltschaft, nach seiner rechtskräftigen Verurteilung im Jahre 2001 im Zusammenhang mit dem Handel mit Landser-CDs auf eine „Doppelverfolgung“ zu verzichten, sowie des Vorsitzenden Richters auf die möglichen Folgen einer Verweigerung konnten S. nicht zu einer Aussage bewegen. Seit dem 15. Juli sitzt der kräftige, kurzhaarige, Backen- und Schnauzbartträger daher wegen „unberechtigter Zeugnisverweigerung“ in Beugehaft. S. war 1996 beim Versuch, eine Lieferung von 2.000 CDs aus Schweden nach Deutschland einzuführen, zusammen mit zwei Begleiterinnen verhaftet worden. In einem Prozeß vor dem Amtsgericht Oranienburg wurde er 1997 wegen des Handels mit indizierten Tonträgern zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 50 Mark verurteilt. Die Berufung von S. wurde 2001 verworfen, das Urteil erlangte Rechtskraft. Einen sehr unsicheren Eindruck hinterließ bei seiner Befragung der 37jährige Handelsvertreter O., der sich als Produzent von „Republik der Strolche“ im Jahre 1996 und „Rock gegen oben“ 1998 betätigt hatte. Sein Kontakt zur Band sei durch seinen damaligen Freund S. zustande gekommen. Für die notwendigen Absprachen bezüglich der Herstellung von „Republik der Strolche“ habe er daher auch ausschließlich mit diesem kommuniziert. Gemeinsam mit diesem habe er sich auch auf die Suche nach einem Studio für die geplanten Aufnahmen begeben. Heiterkeit im Gerichtssaal löste der kräftige, schnauzbärtige, eher unscheinbar und gehemmt wirkende O. mit der Bemerkung aus, er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob sich das ausgewählte Studio in „Dänemark oder Schweden“ befand. Zwei Jahre später beteiligte sich O. an der Herstellung der in einem Tonstudio in St. Paul (USA) eingespielten „Rock gegen oben“, obwohl inzwischen S. nicht mehr zur Formation gehörte. Obwohl nach den Aussagen des heute 37jährigen dieser eine innerliche Trennung von der Gruppe bereits Ende 1996 vollzogen hatte, begründete er seine erneute Beteiligung im Gerichtssaal damit, daß er gegenüber den Bandmitgliedern sein „Gesicht wahren“ wollte. Zu diesem Zweck habe er nach dem Ausscheiden von S. mit dem Angeklagten R. zusammengearbeitet. Die Entscheidung für eine Beendigung der Zusammenarbeit sei in erster Linie auf die „Unprofessionalität“ der Gruppe und die „Unzuverlässigkeit ihres Umfeldes“ zurückzuführen gewesen. Zentraler Kernpunkt aller Zeugenbefragungen der letzten Prozeßtage war die Suche von Staatsanwaltschaft und Richtern nach der Verantwortung für die Texte der Landser-Titel. Die im polizeilichen Vernehmungsprotokoll enthaltene Erklärung des Angeklagten W., daß die Entstehung und Entwicklung des Materials auf einer „Gemeinschaftsproduktion“ beruhte, konnte bislang nicht widerlegt werden. Sie wurde von B. vor Gericht bestätigt, der angab, daß die Entstehung des Liedgutes auf der „demokratischen Einbringung“ von Gedanken aller Mitglieder sowie ihnen Nahestehenden erfolgt sei. Zwar versuchte die Staatsanwaltschaft, B. durch den ausdrücklichen Verweis auf vier Stücke, die 1991 und 1992 zum Repertoire von Landser gehörten, und der damit verknüpften Frage nach deren Herkunft, zu konkreteren Aussagen zu bewegen. B. lehnte für sich persönlich die Einbringung von Ideen von drei der vier genannten Titel ab, räumte allerdings als damaliger Sänger und „Frontmann“ eine grundsätzliche Verantwortung für sämtliches damals gesungenes Liedgut ein. Die Herstellung der CDs soll konspirativ erfolgt sein Um den Vorwurf der „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ untermauern zu können, ist für die Staatsanwaltschaft von besonderem Interesse, die Planung und Durchführung einer konspirativen Tätigkeit nachweisen zu können. Bislang wurde diese Theorie durch die Zeugenaussagen von B. und O. nicht bestätigt. Bis zu seinem Ausscheiden Ende 1992, so B., sei jede Probe in der Landsberger Allee „letztlich auch ein Konzert gewesen, das mehr oder weniger öffentlich“ abgehalten wurde. Mitte 1992 erfolgte ein größerer Auftritt im Rahmen einer Geburtstagsfeier in Hennigsdorf mit vierzig bis fünfzig Teilnehmern, von dem auch ein privater Mitschnitt existiert. O. sagte, daß er während seiner Tätigkeit für die Gruppe nicht den Eindruck gehabt habe, daß die Mitglieder Wert darauf gelegt hätten, „konspirativ zu arbeiten“: Zum einen habe es mehrere Interviews in Szenemagazinen wie Rock Nord gegeben, zum anderen hätte er „schon, bevor ich die CD und die Texte kannte“, von Dritten ganze Textpassagen gehört. Bislang wurden die sehr kurz gehaltenen Antworten der Zeugen nur einmal bei der richterlichen Frage an O. nach seinen Lieferpartnern, die die von ihm hergestellten CDs erhielten, durchbrochen. O. erwiderte darauf impulsiv, daß er stärkstes Mißtrauen gegenüber den meisten Zwischenhändlern hege. Die „deutsche Naziszene“ sei nach seiner Auffassung in erster Linie das „Produkt ausländischer Geheimdienste“, um damit Deutschland moralisch und anschließend finanziell erpressen zu können. Auch die Verteidigung der Angeklagten will zumindest teilweise das Geheimdienst-Argument aufgreifen. Bislang beschränkte sie sich darauf, mit einigen Fragen an die Zeugen auf die Geldquellen und Unterstützer der Gruppe aufmerksam zu machen. Im weiteren Verlaufe des Prozesses möchte sie jedoch an konkreten Beispielen belegen, wie stark nach ihrer Auffassung im Umfeld der Gruppe Mitarbeiter des Verfassungsschutzes gewirkt und damit sowohl großen Anteil an der Breitenwirkung als auch am Ruf von Landser gehabt haben.