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Im Auge des Hurrikans

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Während noch immer der Irak-Krieg und seine Folgen im Mittelpunkt des europäischen Interesses stehen, hat sich in der spanischsprechenden Welt längst ein neuer Konfliktherd aufgetan – Kuba. Die Karibikinsel mit ihrem alternden Diktator ist laut der spanischen Zeitung El País „im Auge des Hurrikans“: Der augenblickliche Stillstand der Dinge kann sich blitzartig ändern. Kuba könnte dann zum neuen Stolperstein der sich gerade erholenden europäisch-amerikanischen Beziehungen werden. Nach einer Zeit relativer Ruhe hat die sozialistische Inselrepublik mit einer Reihe von Terrorurteilen die Aufmerksamkeit der westlichen Welt wieder auf sich gezogen. Anfang des Sommers wurden 75 Dissidenten, meist Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, wegen „Konspiration mit den Vereinigten Staaten“ und „Untergrabung der Prinzipien der Revolution“ angeklagt und zu insgesamt 1.454 Jahren Gefängnis verurteilt. Diese drakonischen Strafen lösten selbst in Kuba Empörung aus. Für viele Verurteilte bedeutet das Strafmaß, das selten unter zwölf Jahren Haft liegt, eine kaschierte Todesstrafe, denn viele Dissidenten befinden sich aufgrund der jahrelangen Verfolgung in einem schlechten Gesundheitszustand – wie etwa der Schriftsteller und Journalist Raúl Rivero, der nun 20 Jahre verbüßen muß. Die Verurteilten werden in kleine Zellen gepfercht, in denen im Sommer unerträgliche Hitze herrscht. Dazu kommen Tausende von Moskitos, Mangelernährung und eine noch schlechtere medizinische Versorgung. Rivero, der vor eineinhalb Monaten seine Strafe antreten mußte, hat bereits 20 Kilo Gewicht verloren. Noch schlechter scheint es um den Ökonomen Oscar Espinosa Chepe bestellt zu sein, der ebenfalls zu 20 Jahren verurteilt wurde. „Mein Mann leidet an Leberzirrhose, und in dem Krankenhaus, in dem er behandelt wird, mangelt es an allem. Wird er nicht verlegt, wird er früher oder später sterben“, erklärte seine Frau Miriam Leiva in einem Offenen Brief. Zu den Boshaftigkeiten des Regimes gehört es, die Gefangenen weit von ihren Wohnorten entfernt einzusperren. So ist es den Angehörigen aufgrund der miserablen Transportverhältnisse kaum möglich, sie zu besuchen. Im April wurden drei Flüchtlinge, die mit einer gekaperten Fähre in die USA fliehen wollten und dabei festgenommen wurden, nach einem kurzen Gerichtsverfahren sofort erschossen, weitere zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt (siehe JF 18/03). Der erste Widerspruch regte sich danach in Spanien, das sich dem amerikanischen Subkontinent noch immer eng verbunden fühlt. In der Madrider Innenstadt versammelten sich Tausende von Demonstranten, um gegen Fidel Castros Menschenrechtsverletzungen zu protestieren. Regimetreue kubanische Intellektuelle holten zum verbalen Gegenschlag aus und schrieben eine „Nachricht aus Havanna für Freunde, die weit entfernt sind“. In diesem Manifest wandten sie sich gegen ihre spanischen Kollegen und warnten sie davor, „das Geschäft der USA“ zu betreiben. Dies wiederum wollten viele linke spanische Künstler nicht auf sich sitzen lassen, die zu Hause von den Konservativen gescholten werden, weil sie im Fall Irak auf die Straße gingen, über die Repression auf Kuba aber komplizenhaft schweigen. In ihrer Gegenerklärung „Liebe kubanische Freunde (innerhalb und außerhalb der Insel)“ bezeichneten sie die Hinrichtungen und Verurteilungen als „ein Attentat auf die Freiheit und das Leben“. Nun könnte man diesen Schlagabtausch getrost als eine der vielen intellektuellen Spiegelfechtereien abtun, die in den Feuilletons der Zeitungen wirkungslos versanden, wenn ihm nicht die US-Essayist in Susan Sontag zusätzlichen Schwung verliehen hätte. Während ihrer Rede zur Eröffnung der kolumbianischen Buchmesse in Bogotá forderte sie den Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez auf, sein Schweigen in bezug auf Kuba endlich zu brechen und unmißverständlich Stellung zu beziehen. Gabriel García Márquez – ein „Höfling Castros“ Während „Gabo“ versuchte, sich vage aus der Affäre zu ziehen („Ich bin gegen die Todesstrafe, ganz gleich an welchem Ort, aus welchem Grund oder aus welchen Umständen auch immer“), griff sein peruanischer Kollege Mario Vargas Llosa in die Debatte über Moral und Politik ein. Anläßlich der Präsentation seines neuen Romans „Das Paradies an der nächsten Ecke“ nannte er García Márquez, der seit vielen Jahren mit dem kubanischen Diktator eng befreundet ist, einen „Höfling Castros“. Von nun an schwappten die Wellen der Auseinandersetzung direkt aufs politische Parkett. Während seiner Rede zum 1. Mai wandte sich Fidel Castro an „Freunde“, die „aus Desinformation oder fehlender Analyse“ sein Land angriffen und dessen Justiz ungerecht behandelten. Ein weiter Teil seiner Ausführungen klang, als stünde eine US-Invasion unmittelbar bevor: Er hoffe, daß Intellektuelle und Künstler, die jetzt in den westlichen Staaten gegen Kuba Stellung bezögen, „nicht eines Tages mitansehen müssen, wie unsere Städte zerstört und unsere Kinder, Mütter, Frauen und Männer, Junge und Alte von den Bomben des Nazi-Faschismus getötet werden“. Castro bezichtigte US-Präsident Bush öffentlich, ihn töten zu wollen und mit Hilfe von Exil-Kubanern einen Angriff zu planen. Während seines Aufenthalts in Argentinien, wo er der Amtseinführung des neuen Präsidenten Néstor Kirchner beiwohnte, schlug der kubanische Máximo Líder in die gleiche Kerbe. Vor rund 10.000 Studenten und Abgängern lobte er in der Juristischen Fakultät der Universität von Buenos Aires die „Errungenschaften“ seines Regimes in Kuba und kritisierte die USA: „Wir bombardieren niemanden präventiv, sondern entsenden Ärzte weltweit präventiv.“ Und: „Millionenfach haben sie von den Toten an der Berliner Mauer gesprochen, aber nie über die viel zahlreicheren Toten an der Grenze zwischen Mexiko und den USA.“ Castro spielte damit auf die streng bewachte und teilweise mit einem hohen Drahtzaun gesicherte Südgrenze der USA an, die viele Latinos illegal überwinden wollen, um im Norden Lohn und Brot zu finden. Wer geglaubt hat, daß der 75jährige Diktator langsam, aber sicher Ermüdungserscheinungen zeigt, sah sich in der argentinischen Hauptstadt eines besseren belehrt. Castro sprach zweieinhalb Stunden lang ohne Manuskript und hielt damit eine seiner längsten Reden im Ausland. Er wirkte frisch und in seinem politischen Selbstverständnis ungebrochen. Angesichts des Zuspruchs, der ihm in dem von wirtschaftlichen Krisen gebeutelten Argentinien widerfuhr, rief er wohlgelaunt ins Mikrophon, er fühle sich im Augenblick wie bei einer Rede auf dem „Platz der Revolution“ in Havanna. Die schrillen Töne Castros blieben in Washington nicht ungehört. Politische Beobachter in den USA bezeichnen die Beziehungen zwischen beiden Ländern als so schlecht wie seit langem nicht mehr. Wie die US-Regierung auf die jüngsten Ausfälle des bärtigen Diktators reagieren wird, ist noch ungewiß. Sie spielt gegenwärtig alle Möglichkeiten durch und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß ein Massenexodus aus Kuba, wie es ihn schon einmal vor zehn Jahren gegeben hat und der im US-Bundesstaat Florida zu chaotischen Zuständen geführt hatte, eine amerikanische Reaktion nach sich ziehen würde. „Havanna droht mit einer Migrationskrise, an der wir nicht interessiert sind“, erklärte Kevin Whittaker, Chef des Kuba-Büros im US-Außenministerium. Damals hatte der Inselstaat alle Unzufriedenen ausreisen lassen, einschließlich Schwerstverbrecher und Geisteskranke, um den innenpolitischen Druck zu mildern, der sich aufgrund einer katastrophalen wirtschaftlichen Lage aufgebaut hatte. Auch heute befindet sich Kubas Wirtschaft in einem beklagenswerten Zustand, so daß die amerikanische Vermutung, Castro könne sich abermals Entlastung durch eine legalisierte Massenflucht verschaffen, nicht von der Hand zu weisen ist. Nach Ansicht von Anya Landau, Mitglied des Zentrums für Internationale Politik in Washington, kann es durchaus sein, daß Washington das Seine dazu beiträgt, die innenpolitische Lage auf Kuba zu destabilisieren, denn statt der zugesagten 20.000 Visa für ausreisewillige Kubaner pro Jahr wurden seit Oktober lediglich 670 erteilt. Unterdessen beginnt man in Spanien über die transición, also über die Zeit nach Castro nachzudenken. In einem bemerkenswerten Artikel in El País schrieb dieser Tage der frühere spanische Botschafter bei der Unesco und in Lissabon, Raúl Morodo, daß der starke politische und wirtschaftliche Druck der USA zu einer weiteren Verarmung breiter Schichten der kubanischen Bevölkerung und keinesfalls zu einer Liberalisierung führen werde. Nach Castros Abgang US-Protektorat über Kuba? Am Ende des Washingtoner Szenarios stünde womöglich, so heißt es in dem Beitrag wenig hoffnungsvoll, die Option eines US-Protektorats, das unter der ausdrücklichen Gegnerschaft Europas auf der Karibikinsel errichtet werde. Nach Ansicht vieler spanischer Politiker könnte gerade Madrid bei einem Übergang von der sozialistischen Gewaltherrschaft zu einem pluralistischen Parteiensystem auf Kuba eine wichtige Vermittlerrolle spielen, denn Castros Vater stammte aus der nordspanischen Provinz Galizien und die Erinnerung an das Land seiner Herkunft ist bei Fidel noch immer mit starken sentimentalen Gefühlen besetzt. Außerdem schätzt Castro den spanischen König Juan Carlos außerordentlich. Dennoch, so schränkt Morodo ein, habe Spanien diese Karte der Einflußnahme leichtfertig verspielt. Durch ihre einseitige und betont pro-amerikanische Irak-Politik habe die konservative Regierung unter Ministerpräsident José María Aznar erreicht, daß sie auf Kuba so schnell kein politisches Gehör mehr finden werde. Foto: Polizeikontrolle in Santiago de Cuba: Ein Attentat auf die Freiheit

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