Bei rechten Gegnern der amerikanischen Kriegspolitik ist es mittlerweile üblich, die kriegshungri-ge neokonservative Clique in den USA wegen ihrer trotzkistischen Ursprünge anzugreifen. Sicherlich schrieb einmal Irving Kristol, der Gründungsvater des Neokonservatismus, er sei „stolz“, im Jahr 1940 Mitglied der Vierten Internationale gewesen zu sein. Auch andere Leuchten der neokonservativen Bewegung, wie etwa James Burnham und Max Kempelman, waren anfänglich Trotzkisten. Aber es gibt wenigstens einen prominenten Neokonservativen, dessen persönliche Odyssee nicht bei Trotzki begann. Er begeisterte sich für eine andere große politische Bewegung der frühen Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts: den italienischen Faschismus. Gemeint ist Michael Ledeen, einer der führenden neokonservativen Theoretiker, ein Experte für Machiavelli, Inhaber des Freiheits-Lehrstuhls am American Enterprise Institute (AEI), ständiger Kolumnist der Zeitschrift National Review und heute Hauptschreihals für eine Ausweitung des „Kriegs gegen den Terror“, um auch im Iran einen Regimewechsel herbeizuführen. „Unsere erfolgreichsten Führer sind Ideologen“ Ledeen wurde in jüngster Zeit berühmt-berüchtigt für eine Passage aus seinem letzten Buch, „The War Against the Terror Masters“, die sich wie eine prophetische Apologie des Chaos liest, das nun den Irak heimgesucht hat. Ledeen schrieb im Sinne der Neokonservativen: „Kreative Zerstörung ist unser Zeichen, sowohl innerhalb unserer Gesellschaft als auch im Ausland. Jeden Tag reißen wir die alte Ordnung ein, von der Wirtschaft über die Wissenschaft, Literatur, Kunst, Architektur und Kino bis hin zu Politik und Recht. Unsere Feinde haben diesen Wirbelwind an Energie und Kreativität stets gehaßt, denn er bedroht ihre Traditionen (was auch immer diese sein mögen) und beschämt sie, wenn sie nicht mithalten können. Sie fürchten uns, da sie sehen, wie Amerika traditionelle Gesellschaften auslöscht, und nicht selbst ausgelöscht werden wollen. Sie können sich nicht sicher fühlen, solange wir da sind. Denn unsere Existenz – unsere Existenz, nicht unsere Politik – bedroht ihre Legitimität. Sie müssen uns angreifen, um zu überleben, genau wie wir sie zerstören müssen, um unsere historische Mission voranzutreiben.“ Es ist dies nicht das erste Mal, das Ledeen sich beredt über seine Liebe für „die demokratische Revolution“ und „kreative Zerstörung“ ausgelassen hat. 1996 beschrieb er ausführlich seine Theorie der Revolution in seinem Buch „Freedom Betrayed“ (Verrat an der Freiheit). Es ist anzunehmen, daß der Titel eine gezielte Anspielung auf Trotzkis Werk „Verrat an der Revolution“ darstellt. Ledeen zufolge ist „Amerika eine revolutionäre Kraft“, weil die Amerikanische Revolution die einzige Revolution der Geschichte sei, die erfolgreich gewesen sei, während die Französische und die Russische Revolution bald in Terror versunken seien. Weiter erklärt er, „unsere revolutionären Werte sind Teil unserer genetischen Form. … Wir treiben die Revolution vorwärts aufgrund dessen, was wir darstellen: das erfolgreichste Experiment menschlicher Freiheit. … Wir sind eine ideologische Nation, und unsere erfolgreichsten Führer sind Ideologen.“ Während Ledeen den damaligen Präsidenten Bill Clinton als einen „Konterrevolutionär“ (!) bezeichnet, betont er eifrig: „Von all den Mythen, die unser Verständnis vernebeln und unseren Willen und unsere Tatkraft lähmen, ist der schädlichste, daß nur die Linke einen legitimen Anspruch auf eine revolutionäre Tradition erheben darf.“ Ledeens Überzeugung, daß die Rechte ebenso revolutionär wie die Linke sei, speist sich aus seinem frühen Interesse am italienischen Faschismus. 1975 veröffentlichte er in Buchform ein Interview mit dem italienischen Historiker Renzo de Felice, den er sehr verehrt. Dieses Buch löste in Italien eine große Kontroverse aus. Später stellte Ledeen klar, daß er den Zorn des linksgerichteten Establishments erregt habe, gerade weil „de Felice die konventionelle Deutung der marxistischen, italienischen Historiographie herausforderte, die ja stets darauf bestanden hatte, daß der Faschismus eine reaktionäre Bewegung war“. Felice zeigte im Gegensatz dazu, daß der italienische Faschismus sowohl rechts als auch revolutionär gewesen sei. Genau dies hatte Ledeen auch schon in „Universal Fascism“ 1972 argumentiert. Dieses Buch beginnt mit der Versicherung, es sei ein Fehler, die Unterstützung von Millionen von Menschen für den Faschismus nur damit zu erklären, daß „sie von der Rhetorik begabter Redner hypnotisiert und von geschickten Propagandisten manipuliert worden seien“. Es sei plausibler, so Ledeen, „ihren Enthusiasmus zu erklären, wenn man sie als an die Richtigkeit der faschistischen Sache Glaubende behandelt“. Diese habe eine „klare ideologische Anziehungskraft auf sehr viele Leute ausgeübt“. Für Ledeen wie auch für den lebenslänglichen faschistischen Theoretiker und Praktiker Giuseppe Bottai lag diese Anziehungskraft in der Tatsache, daß der Faschismus „die Revolution des 20. Jahrhunderts“ ist. Ledeen folgt de Felice in seiner Unterscheidung zwischen einer „faschistischen Bewegung“ und einem „faschistischen Regime“. Mussolinis Herrschaft, sagt er, sei „autoritär und reaktionär“ gewesen; im Gegensatz dazu habe es innerhalb der „Bewegung“ recht viele gegeben, die der „Wunsch zur Erneuerung“ angetrieben habe. Diese Leute wollten „etwas Revolutionäreres: die alte Herrschaftsklasse mußte weggewischt werden, so daß neuere, dynamischere Elemente, die zu fundamentalem Wandel fähig waren, an die Macht kommen konnten“. Die Gemeinsamkeiten zwischen italienischem Faschismus und dem Nationalsozialismus seien „überaus gering“ gewesen, schreibt Ledeen. „Die Tatsache des Achsenpaktes sollte man in dieser Analyse nicht zur maßgeblichen Überlegung werden lassen.“ Seine sorgfältige Unterscheidung eines faschistischen „Regimes“ und einer „Bewegung“ erlaubt Ledeen eine deutliche Apologie des letzteren. Obwohl die „Bewegung“ letztlich vom „Regime“ überwältigt und an die Seite gedrückt wurde, habe „der Faschismus nichtsdestotrotz eine politische Revolution in Italien hervorgebracht. Zum ersten Mal gab es nun einen Versuch, die Massen zu mobilisieren und sie in das politische Leben des Landes einzubeziehen.“ Und tatsächlich kritisiert Ledeen Mussolini genau deswegen, weil er nicht revolutionär genug gewesen sei: „Er hat niemals genug Vertrauen in das italienische Volk gehabt, um ihm eine echte Teilhabe am Faschismus zu erlauben.“ In diesem Punkt geht Ledeen mit dem faschistischen Intellektuellen Camillo Pellizi konform, der in einem von Ledeen „bewegend und fundamental“ genannten Buch argumentierte, Mussolini Sache sei eine „gescheiterte Revolution“ gewesen. Pellizis Hoffnung war gewesen, daß „eine Ära von jugendlichem Genius und Kreativität“ im Anmarsch sei. Ledeen pflichtet bei, der faschistische Staat sei für ihn „ein Generator von Energie und Kreativität“. In anderen Worten: Die reinsten Ideologen des Faschismus wollten etwas, das Ledeens heutiger Vision sehr ähnlich ist, nämlich eine „weltweite Massenbewegung“, die den dank des amerikanischen Militarismus „befreiten“ Völkern der Erde eine Mitwirkung am „größten Experiment menschlicher Freiheit“ ermöglicht. 1996 drückte es Ledeen so aus: „Die Leute sehnen sich nach dem richtigen: der Revolution.“ Besonders interessierte Ledeen die Rolle der Jugend im italienischen Faschismus. Hier erkannte er das aufregendste revolutionäre Potential der Bewegung. Der junge Ledeen schrieb in „Universal Fascism“ liebevoll über jene, die das Banner der Jugend in der faschistischen Bewegung trugen und sich verpflichteten, den italienischen Faschismus in die ganze Welt zu exportieren. Mussolini war an dieser Idee anfangs uninteressiert. Als er sich später dazu bekehrte, behauptete er, der italienische Faschismus beziehe seine Kraft aus dem universalistischen Erbe Roms, sowohl dem antiken als auch dem katholischen. Ohne Zweifel glaubt Ledeen, Washington sei das neue Rom und habe dieselbe universalistische Mission. Berto Ricci, den Herausgeber des faschistischen Blattes L’Universale, nennt er „brillant“ und „ein Beispiel an Enthusiasmus und Unabhängigkeit“. Der Kreis um ihn habe „ein neues Imperium gefordert; ein Imperium, das nicht auf militärischer Eroberung, sondern eher auf Italiens einmaligem zivilisatorischem Genie beruhte. … Sie beabsichtigten, die Traditionen ihres Landes und ihrer Zivilisation in solcher Weise zu entwickeln, daß sie Grundsätze einer neuen Weltordnung würden.“ Dem fügt Ledeen eine Passage hinzu, die seine spätere Vorliebe für kreative Zerstörung vorwegnimmt: „Natürlich würde der Akt der Zerstörung, der dem Erblühen der faschistischen Hegemonie vorausgehen würde, die gegenwärtige Generation von Italienern wie auch den ganzen Rest hinwegfegen.“ Und von Giuseppe Bottai, dem Ledeen „beachtliche Energie und Autonomie“ zuspricht, schreibt er mitfühlend, daß „die Infusion der kreativen Energien einer neuen Generation“ für die faschistische Revolution „essentiell“ sein werde. Bottai habe „die Jugend angefleht, … eine neue Ordnung zu begründen, die aus der spontanen Handlung ihrer Zerstörung aufsteigt.“ Gegen die alte Ordnung Westeuropas gerichtet Einer der großen Exponenten solch jugendlicher Lebenskraft war der intellektuelle Hohepriester des Faschismus, der Poet und Abenteurer Gabriele D’Annunzio, über den Ledeen 1977 eine enthusiastische Biographie verfaßt hat. D’Annunzio war ein Exzentriker und militaristischer Nietzscheaner, dessen Haus am Gardasee heute noch im Garten ein Schlachtschiff stehen hat, das Wohnzimmer ziert eine Kanone. Der Dichter war wie Ledeen ein früher Fürsprecher von militärischen Interventionen und Regimewechseln: 1919 besetzte er das kroatische Fiume (Rijeka) und hielt die Stadt ein Jahr in seiner Gewalt. In dieser Zeit erprobte er in der Praxis seine Theorien einer „Neuen Ordnung“. Während des Ersten Weltkriegs flog D’Annunzio über Wien, wo er Propagandaflugblätter abwarf, die den Österreichern eine baldige Befreiung von ihrer Regierung versprachen. Ledeen preist dies als eine „glorreiche Geste“. Ihm zufolge war D’Annunzios Losung die „Befreiung der menschlichen Persönlichkeit“. „Sein Heroismus während des Krieges“, schreibt Ledeen, „machte es möglich, die Kluft zwischen den Intellektuellen und den Massen zu überwinden. … Die Revolte, die D’Annunzio anführte, war gegen die alte Ordnung Westeuropas gerichtet, und sie trat im Namen jugendlicher Kreativität und Virilität auf.“ Wie Ledeen darlegt, war es auch der Wunsch der italienischen Faschisten, „die alte Ordnung einzureißen“. Diese Formulierung nimmt seltsamerweise die berühmte Aussage von US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vorweg, dessen Verachtung dem „Alten Europa“ gilt. Schon 1932 teilte Asvero Gravelli Europa in „alt“ und „neu“ ein, als er in „Towards the Fascist International“ schrieb: „Entweder das alte Europa oder das junge Europa. Der Faschismus ist der Totengräber des alten Europas. Nun erheben sich die Kräfte der Faschistischen Internationale.“ as hört sich alles recht prophetisch an. John Laughland arbeitet als Buchautor und Journalist in London.
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