Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) könnte glatt neidisch werden. Denn im Internet genügt schon ein Knopfdruck, um eine mißliebige Kraft vom politischen Alltag auszuschließen. So staunten etwa 250 Mitglieder der virtuellen Partei „Freiheitlich Unabhängig National“ (FUN) bei der Politik-Simulation Dol2day ( www.dol2day.com ) nicht schlecht, als sie plötzlich ihre Partei nicht mehr vorfanden. Über Nacht hatte die aus vier Studenten bestehende Redaktion die Rechtspartei aus dem Verkehr gezogen. Das Spiel Dol2day (democracy online today) wird seit Sommer 2000 betrieben und ist derzeit mit etwa 20.000 Nutzern die größte Politiksimulation in Deutschland. Neben den Internet-Ablegern der im Bundestag vertretenen Parteien finden sich dort auch eine Vielzahl von kleineren und größeren Rechtsparteien ohne Bindung an ein reales Projekt. Der Bekanntheitsgrad von Dol2day ist in den vergangenen Monaten in einer solchen Form angestiegen, daß sich mittlerweile auch die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes für die „Internet-Regierung“ interessieren. „Die Redaktion versucht neutral zu bleiben“ „Um aus ihrer gesellschaftlichen Isolation rauszukommen, versuchen Rechtsextremisten demokratische Plattformen zu nutzen und dort meinungsbildenden Einfluß zu nehmen“, heißt es im Jahresbericht 2002. Diese Passage wurde der FUN letztendlich zum Verhängnis. „Um das Spiel zu retten“, begründet Dol-Redaktionsmitglied Oliver Specht die Auflösung der Partei. Zwei prominenten FUN-Vertretern wurde der Zugang gesperrt, weil sie im niedersächsischen Verfassungsschutzbericht Erwähnung fanden. Ihr Vergehen: In einem Fall die Mitgliedschaft in der NPD und im anderen Fall eine Tätigkeit als Pressereferent der Deutschen Liga. Dies liegt zwar schon zehn Jahre zurück, aber das interessierte die Betreiber ebensowenig wie die Tatsache, daß ihr Vorgehen nicht gerade demokratische Grundzüge aufweist. „Uns springen Sponsoren ab“, jammern die vier Studenten aus Aachen, „außerdem müssen wir auf die rechtlichen Aspekte aufpassen.“ Hintergrund der FUN-Sperrung sei angeblich die Mittelkürzung seitens der Bundesanstalt für politische Bildung (BpB). Die bedachte Dol2day in der Vergangenheit mit einer großzügigen Förderung und sprang nun mit dem Verweis auf den VS-Bericht ab. „Dol2day möchte diesen wichtigen Partner nicht verlieren“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der vier Betreiber. Zwar berichten andere Quellen davon, daß die BpB ihr Budget massiv überschritten habe und deswegen sparen müsse, aber die „Extremismus-Keule“ paßt natürlich besser ins Konzept beim „Kampf gegen Rechts“. Der hat nämlich schon längst im Internet Einzug gehalten. Empört berichtet Dol-Betreiber Specht davon, daß „demokratische Politiker“ von Grünen und PDS einer Chat-Einladung nicht gefolgt seien, weil zuvor bereits Republikaner-Chef Rolf Schlierer und JF-Chefredaktuer Dieter Stein als Gesprächspartner aufgetreten seien. „Die Redaktion versucht seit Bestehen von Dol2day eine politisch neutrale Instanz zu sein“, heißt es weiter von den Betreibern. Eine Aussage, die angesichts fünf linksextremistischen Online-Parteien bei Dol2day für viele Mitglieder nicht mehr glaubwürdig klingt. Die Zensur-Maßnahmen in Deutschlands größter Politik-Simulation sind kein Einzelfall, seit Verfassungsschützer und Vertreter etablierter Parteien auf die Nachteile der sogenannten elektronischen Demokratie aufmerksam geworden sind. Euphorisch hatte Innenminister Schily noch vor einem Jahr erklärt, „daß 2010 vielleicht schon Bundestagswahlen via Internet stattfinden können“. Heute sorgt sich seine Behörde mehr darum, daß „Rechte die Anonymität des Netzes nutzen“. „Faschos angreifen auf allen Ebenen“ Die Möglichkeit der politischen Betätigung auf der Datenautobahn ist in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen. Neben Politiksimulationen wie Dol2day oder dem mittlerweile eingestellten CDU-nahen „Wahlkreis300“ findet sich eine unüberschaubare Zahl von Diskussionsforen, die teilweise von Behörden und Informationszentren, aber auch direkt von Parteien betrieben werden. „Unsere Internetpräsenz ist enorm wichtig, weil wir unsere Argumente ohne Zensur zu den Interessierten bringen können“, begründet Republikaner-Chef Schlierer die Aktivitäten seiner Partei im Netz. Neben den üblichen Seiten der einzelnen Gliederungen verfügt die Rechtspartei mittlerweile über ein großangelegtes Foren-System. „Innerparteiliche Kommunikation, Meinungsbildung, aber vor allem Interessenten-Werbung“, heißt das Gebot der Stunde. Antifaschisten und Verfassungsschützer verfolgen diese Entwicklung mit wachsendem Unbehagen. Unzählige und oft kostspielige Projekt wie „Netz gegen Rechts“ oder „Den Rechten nicht ins Netz gehen“ bevölkern mittlerweile das Internet. Und oft stellt sich heraus, daß es mit den Vorzügen der „elektronischen Demokratie“ nicht so weit her ist. Das ultralinke Projekt „Nazis im Internet“ bietet praktischerweise gleich ein Meldeformular an, um „rechtsextremistische Bestrebungen“ an staatliche Behörden weiterzuleiten. Da vermag es auch kaum noch zu verwundern, daß Internet-Projekte mit glasklarem linksextremistischem Hintergrund keine Probleme mit staatlichen Behörden haben. So beispielsweise die Info-Plattform Indymedia, wo es verbal gerne besonders handgreiflich zugeht. So wurde dieses Projekt („Faschos angreifen auf allen Ebenen und mit allen Mitteln“) am 28. August letzten Jahres von der Bundesregierung sogar mit einem Kulturpreis, dem „Poldi-Award“ , ausgezeichnet. Daß Indymedia mit den dort stattfindenden Gewaltaufrufen ebenfalls Erwähnung im Bundesverfassungsschutzbericht gefunden hat, scheint niemandem ernsthafte Zweifel an einer etwaigen fatalen Signalwirkung einer solchen Honorierung verursacht zu haben – auch nicht Thomas Krüger, dem Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, der als Jury-Mitglied über die Preisträger des Poldi-Awards mitbestimmte. Die aufgeregte Hatz gegen die angebliche Unterwanderung von rechts macht auch vor der CDU nicht halt. Die Christdemokraten weisen die Foren-Nutzer auf einen Haftungsausschluß hin. Der Verfasser von strafrechtlich relevanten Meinungen übernimmt die volle Verantwortung. So einfach ist die Sachlage in der Realität freilich nicht. Denn auch derjenige, der „extremistischen Parolen“ eine Verbreitungsplattform bietet, hat mit Schwierigkeiten zu rechnen. Fast alle Foren-Betreiber haben deswegen sogenannte Moderatoren eingesetzt, die eine zum Teil äußerst rigide Lösch-Praxis von Beiträgen verfolgen. Bei der CDU geht dies mittlerweile so weit, daß „Werbung für eine andere Partei“ umgehend mit dem christdemokratischen Bannstrahl, sprich der Lösch-Taste, bestraft wird. Politiker schwärmen von virtuellen Parteitagen Während Politiker von FDP und Grünen noch von virtuellen Parteitagen schwärmen und die Internetaktivitäten ihrer Parteien als „Demokratie pur“ feiern, hat sich bei vielen Nutzern von Dol2day längst Ernüchterung eingestellt. „Diese Plattform zeichnet eben ein realistisches Bild vom realen Leben – inklusive Verfassungsschutz und ‚Kampf gegen Rechts‘. Wäre auch ein schöner Traum, wenn es anders geblieben wäre …“, schreibt ein Mitglied der „Republikaner bei Dol2day“.