Wenn ich im Fernsehen die Bilder des Papstes sehe, dieses gesundheitlich gebrochenen, aber geistig präsenten Mannes, der sein Schicksal mit so großer Tapferkeit trägt, muß ich an den Tag denken, da ich Johannes Paul II. zum ersten Mal begegnet bin. Es war im Sommer 1979 in Warschau auf dem Siegesplatz: Da stand er ganz in Weiß unter einem großen Kruzifix. Vor ihm knieten Hunderttausende Polen. Damals rief Karol Wojtyla – noch kein Jahr im Amt – seinen Landsleuten zu, er sei der Papst der Slawen. Er werde für jene Völker sprechen, die so lange schweigen mußten. Als er dann Warschau erwähnte, ging ein tiefer Seufzer durch die Menschenmenge – endlich war da jemand, der das Schweigen gebrochen hatte. Nach diesem ersten Gottesdienst des Papstes in seiner polnischen Heimat wußte ich: Das ist der Mann, der dem Kommunismus in Polen und im östlichen Europa die Stirn bieten und das sowjetische System überwinden wird! So ging ich zur erstbesten Telefonzelle im Pressezentrum und gab meinen Bericht für Die Welt durch. Tags darauf fauchte mich die FAZ-Korrespondentin an: Was mir denn einfalle, so zu schreiben, als stünde in Polen der Sturz des Kommunismus oder gar eine Revolution bevor. Das sei doch, meinte sie, in hohem Maße unseriös. Auch bei den anderen Korrespondentenkollegen ließ sich an Gestik und Mimik erkennen, daß sie keinesfalls auf meiner Seite waren. Ich weiß selber nicht genau, woher ich meine Gewißheit nahm, im polnischen Papst jene Kraft zu erkennen, die der Teilung Europas und dem totalitären System ein Ende bereiten werde. Damals war dieser Papst dazu noch „jung“: Bei einem Massengottesdienst auf dem Feld von Gnesen scherzte er mit den Jugendlichen, die sofort Kontakt zu ihm fanden – so daß der alte Kardinal-Primas Stefan Wyszynski den Kopf schüttelte. Johannes Paul II. hat danach über hundert Reisen unternommen, und bei einigen war ich dabei. Aber niemals wieder habe ich eine solche Atmosphäre erlebt wie bei dieser ersten Pilgerfahrt nach Polen. Von Tag zu Tag spürte man, wie das Volk zu seinen Füßen mit Energie und Zuversicht geradezu aufgetankt wurde. Ich schilderte, was ich sah und empfand – und das blieb nicht folgenlos. Als ich nach Ende der Papst-Reise das Flugzeug nach Wien besteigen wollte, nahmen mir polnische Beamte den Paß ab. Während alle anderen Passagiere einsteigen durften, mußte ich warten. Es gelang mir noch, einem österreichischen Geschäftsmann meine Visitenkarte zuzustecken und ihn zu bitten, die deutsche Botschaft zu verständigen, falls ich nicht an Bord des Flugzeugs sein sollte. Erst im letzten Moment durfte ich dann doch passieren. Die polnischen Behörden hatten natürlich meine Berichte gelesen, in denen ich vom bevorstehenden Untergang ihres Systems schrieb. Und sie fragten sich: Woher weiß er das? Der muß doch über geheime „Quellen“ verfügen – anders als die FAZ-Kollegin wußten sie genau, daß sich in Polen eine revolutionäre Situation vorbereitete. Einige Monate danach entstand die Gewerkschaft Solidarnosc. Ein Jahr später erschien im SED-Zentralorgan Neues Deutschland ein ganzseitiger Artikel unter der Überschrift „Zur antipolnischen Verschwörung des Springer-Konzerns“. Dort wurde behauptet, ein gewisser Ströhm hätte die Konterrevolution in Polen angezettelt – im Auftrag des BND. Das stimmte zwar nicht, aber es war dieser Papst, der alles mit im Bewegung gesetzt hatte, was zum Fall der Mauer führen sollte.