Das hätte sich die Rostocker Pastorentochter etwa im Jahr 1987 nicht träumen lassen: Daß sie 15 Jahre später Vorsitzende der CDU Deutschlands und Oppositionsführerin im Bundestag sein würde. Anders als fast alle anderen demokratischen Wendepolitiker der ersten Stunde hat Angela Merkel die Wirren des Untergangs des anderen Staates in Deutschland, die nachfolgende Ära Kohl und auch die vierjährige Oppositionszeit bestens überstanden. Mehr noch: Wie kein anderer Politiker der CDU schaffte sie es, ihre Macht systematisch auszubauen. Andere CDU-Granden, wie Wolfgang Schäuble oder Friedrich Merz, mußten in das zweite Glied zurücktreten. Angela Merkel steht auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Solche Gipfelbesteigungen haben es aber naturgemäß an sich, daß es anschließend wieder bergab geht. Doch ganz so weit ist es noch nicht: Am 11. November wird Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Hannover mit viel Glanz und vielleicht auch etwas Gloria als Vorsitzende bestätigt werden. Die sie umgebende Führungsriege wird beifällig an ihrer Seite klatschen. Es ist, wie Franz Müntefering einst sagte, die „Verlierergeneration der CDU“, die sie um sich geschart hat und die ihr wie mittelalterliche Hofschranzen zu Gefallen sind: Der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christoph Böhr, sein niedersächsischer Kollege Christian Wulff und der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Jürgen Rüttgers. Allen gemeinsam ist, daß sie noch nie eine Wahl gewonnen haben und vermutlich auch nie siegen werden. Ausgerechnet Rüttgers, dessen Landes-CDU selbst in traditionell schwarzen Hochburgen wie Münster und Bonn keine Direktmandate mehr gewann, soll die CDU mit Hilfe eines Arbeitskreises in eine moderne Großstadtpartei umwandeln. Das negative Ergebnis dieser Bemühungen scheint sicher. Diejenigen, die noch warnend die Stimme erheben könnten, sind alt und verbraucht oder werden es kaum schaffen, über den Rang des Provinzpolitikers hinauszukommen: Der baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel und sein thüringischer Kollege Bernhard Vogel müssen schon das Feld für ihre Nachfolger vorbereiten. Der Saarländer Peter Müller und der Sachse Georg Milbradt haben es nicht richtig auf die bundespolitische Bühne geschafft, auch wenn Müller ein Bemühen nicht abzusprechen ist. Bayern ist für Frau Merkel keine Bedrohung mehr. Schon seit Wochen bemühen sich leitende Beamte der Staatskanzlei in München dem Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber die Träume auszutreiben, er könne in Berlin vielleicht doch noch die Nachfolge von Gerhard Schröder antreten. Die CSU muß sich jetzt auf die Landtagswahlen im Herbst nächstes Jahr konzentrieren. Da ist Stoiber wieder und gleichzeitig aus Altersgründen vermutlich zum letzten Mal Spitzenkandidat. Es gilt, das Ergebnis der Bundestagswahl von knapp 60 Prozent zu verteidigen. Keine leichte Aufgabe, selbst für die siegesgewohnte CSU. In dem Maße, wie der Landtagswahltermin näher rückt, werden Stoibers Ausflüge in die Bundespolitik seltener werden. Frau Merkel dürfte das mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen. Friedrich Merz dürfte auf Rache sinnen Dennoch kann sich die CDU-Chefin auf ihrem Gipfel nicht sicher fühlen. Ihr größtes Problem heißt Friedrich Merz. Der von ihr unter freundlicher bayerischer Mitwirkung gestürzte Fraktionschef wollte sich eigentlich völlig aus der ersten Reihe zurückziehen, wurde aber nicht zuletzt aufgrund des massiven Einsatzes von Stoiber, dem sein „Verrat“ offenbar leid tat, wieder in der Fraktionsführung installiert. Merz stellte Bedingungen, wollte ein umfassendes Zuständigkeitsgebiet und reichlich Personal, Frau Merkel mußte diese Bedingungen erfüllen, obwohl sie wissen dürfte, daß sich ihr Rivale damit fast wieder auf gleicher Augenhöhe befindet. Merz dürfte, auch wenn er sich selbst in kleinstem Kreis nicht erklärt, auf Rache sinnen und versuchen, die nächstbeste Gelegenheit zu nutzen, den Abstieg der CDU-Chefin einzuleiten. Auf die Bayern und Stoiber, das hat der Sauerländer inzwischen begriffen, wird er sich nicht verlassen können. Damit bleibt nur noch ein natürlicher Verbündeter: Der Hesse Roland Koch, der allerdings am 2. Februar 2003 vor einer schwer zu gewinnenden Landtagswahl steht. Koch lehnte es kürzlich ab, für den durch den Rückzug von Volker Rühe freiwerdenden Posten eines stellvertretenden CDU-Vorsitzenden zu kandidieren. Das ist ein sichtbares Zeichen, daß sich der 44jährige Ministerpräsident nicht in die „Generation der Verlierer“, die jetzt neben Frau Merkel die Führung dominieren, einreihen lassen will. Doch Koch muß zunächst die Landtagswahlen gewinnen. Scheitert er, ist seine Karriere möglicherweise beendet. Die Chancen sind momentan schwer zu beurteilen. Zwar spricht das wirtschaftspolitische Versagen der rot-grünen Koalition in Berlin und der Bruch so gut wie aller Wahlversprechen durch den Bundeskanzler durchaus für einen Sieg der Bürgerlichen in Wiesbaden. Aber fraglich ist, ob sich der Koalitionspartner FDP bis zur Jahreswende vom Möllemann-Schock erholt hat oder ob es zu einer Spaltung der Liberalen kommt. Auch außenpolitische Ereignisse sind ein Risikofaktor. Ein Krieg gegen den Irak könnte um die Jahreswende beginnen. Schröder dürfte seinen pazifistischen Kurs dann mit der ihm eigenen Brutalität in den Landtagswahlkämpfen in Hessen und Niedersachsen zur Sprache bringen. Schon mahnt CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, die Union müsse in der Irak-Frage endlich zu einer geschlossenen und überzeugenden Haltung finden. Denn das Versagen von CDU und CSU in der außenpolitischen Debatte des Bundestagswahlkampfes ist nicht allein Stoiber anzulasten, sondern in gleichem Maße auch Frau Merkel. Wenn es darum geht, Farbe zu bekennen oder Positionen festzulegen, wird die CDU-Vorsitzende von einer seltsamen Sprachlosigkeit ergriffen. Der CDU fehlt ein neuer Alfred Dregger Dies gilt auch in vielen anderen Bereichen. So decken weder sie noch ihre Stellvertreter konservative Positionen in ausreichendem Maße ab. Zwar lamentierte Frau Merkel kürzlich in der FAZ, es fehle der CDU ein norddeutscher Politiker wie Gerhard Stoltenberg. Doch das ist die halbe Wahrheit. Es fehlt ebenso ein neuer Alfred Dregger. Stoiber hat durch die Phase der Kanzlerkandidatur diese Schwäche der Union nur verdeckt, aber nicht behoben. Das Vakuum an der Stelle, wo früher konservative Kräfte wirkten, kann Frau Merkel naturgemäß nicht gefährlich werden. Die Gefahr liegt woanders: Der CDU kommen ganze Wählergruppen des bürgerlichen Lagers abhanden, weil sie sich nicht mehr in den Aussagen und, wichtiger noch, in den Personen wiederfinden. Das ist die Chance für Merz und vielleicht auch für Koch, bis 2006 aus der CDU wieder die Partei des gesamten bürgerlichen Lagers zu machen. Andernfalls droht der CDU der Niedergang wie den – einst über Jahrzehnte dauerregierenden – italienischen Christdemokraten. Der nächste Schill kommt dann bestimmt.