Seit vielen Jahren macht Bayreuth eine Wandlung durch. Es ist vom magischen Kraftfeld mehr und mehr zum Event-Schauplatz geworden. Die Inszenierungskeule schlägt pausenlos und unbarmherzig zu. Immer wieder haben die Regisseure der zentralen Wagner-Opern deren zeitlosen Mythos mißachtet und statt dessen dem Zeitgeist gehuldigt. Das Gleichgewicht des Gesamtkunstwerks zwischen Musik, Text und Inszenierung wird dadurch empfindlich gestört, und zwar nicht nur graduell, sondern essentiell.
„Tristan und Isolde“ nimmt eine ganz besondere Stellung im Werk Richard Wagners ein. Musikalisch betritt der Komponist hier eine neue Welt. Es sind andere Harmonien als bisher, der gesamte Impressionismus erlebt hier seine Vorform, sowohl Richard Strauss als auch Gustav Mahler sind ohne Wagners musikalische Aussagen kaum denkbar.
„Meine Musik wird furchtbar sein“
Man hat „Tristan“ und das „Sacre du Printemps“ von Strawinsky oft die Werke genannt, welche nach der Romantik eine neue Zeit in der Musik einleiteten. Wagner selbst sagte dazu: „Meine Musik wird furchtbar sein, ein Pfuhl, ein Abgrund …“ Wie die Leitmotive in allen seinen Werken, so ist im „Tristan“ die „unendliche Melodie“ eines seiner kennzeichnenden Stilmittel.
Inhaltlich ist es eine der großen Liebesgeschichten der Welt, die von Anfang an nicht im Leben, sondern nur im Tod ihre Erfüllung finden kann – die Liebe ist stärker als der Tod. Die Regisseurin Katharina Wagner wendet sich ab von der Liebestodverklärung als der eigentlichen Quintessenz des Werkes. Bei ihr gießt das Paar den Todesliebestrank aus – ein kühner Einfall? Tristan stirbt an seinen Verletzungen, Isolde überhaupt nicht; sie wird von König Marke einfach von Tristans Totenlager weggezerrt. Bis es soweit ist, führt uns ein ambivalentes Bühnenbild durch die Handlung in drei Akten.
Eine mehr oder weniger in sich schlüssige Inszenierung
Im ersten demonstriert ein Labyrinth aus Treppen und Aufbauten, verstrebt und verwinkelt, das großflächig die ganze Bühne ausfüllt, bereits von Anfang an überzeugend die Unmöglichkeit der Akteure, zueinanderzufinden. Im zweiten Akt wird die zentrale Liebesszene schonungslos mit starken Scheinwerfern ausgeleuchtet. An einer mannshohen Stahlkralle schlitzen sich Tristan und Isolde die Pulsadern auf.
Schließlich beginnt der dritte Akt mit einer fast leeren Bühne in Nacht und Nebel. Sie läßt genug Platz frei für die Visionen des todwunden Tristans, der ganz am Rande liegt, von Kurwenal begleitet. Immer wieder erscheint ihm Isolde in großen und kleineren Dreiecken, die auf diesem weiten, leeren Himmel einmal hier, einmal da plaziert sind. Fazit: Eine Inszenierung, die zwar in sich mehr oder weniger schlüssig ist, mit einer ganzen Reihe durchaus eindrucksvoller Bilder, die einen aber seltsam unberührt läßt.
Ein unendliches, überirdisch schönes Klangmeer
Wäre da nicht die Musik Wagners, und wäre da nicht sein kongenialer Dirigent Christian Thielemann. Vom Tristan-Akkord bis zum Liebestod – man schwimmt auf einem unendlichen, überirdisch schönen Klangmeer, das der Maestro gekonnt strukturiert. Da hört man Feinheiten im Pianissimo, und es erfolgen musikalische Explosionen. Die Dynamik Thielemanns ist überwältigend, und das Festspielorchester hinreißend disponiert.
Die Sänger kommen voll zur Geltung. Evelyn Herlitzius hat eine ideale Stimme für die Rolle der Isolde: kraftvoll, dramatisch in den Höhen und Tiefen, steigerungsfähig, ohne Schwächen vom Anfang bis zum Schluß. Stephen Gould singt Tristan eher lyrisch denn heldenhaft, klar und schön. Isoldes Vertraute Brangäne wird von Christa Mayer mit großem Ausdruck und beachtlicher Klangfülle gesungen; sie ist eine großartige Besetzung für diese Rolle.
König Marke in ganz neuem Licht
Allerdings hat die Personenregie hier übertrieben: Brangäne läuft dauernd, mit teilweise unverständlicher Gestik, von einer Ecke der Bühne zur andern. Das stört einfach. Ihr männliches Pendant, Kurwenal, der Vertraute Tristans (Iain Paterson), dagegen beherrscht die ganze Skala der Verzweiflung über das Schicksal seines geliebten Herrn, tobt, schlägt auf den Boden, hält sich die Ohren zu.
Mit Georg Zeppenfeld sieht die Regie König Marke in ganz neuem Licht: Er ist kein gütiger alter Herr, ohne Sex und Eros, tief erschüttert über Tristans Verrat an ihm, sondern ein präsenter Zupacker mit Mafia-Manieren. Und so singt und spielt er auch männlich-dominant und klar verständlich seine Rolle.
Ein wenn auch noch zaghafter Versuch zur Wende in Bayreuth ist gemacht. Die Inszenierung wird von der Regie wieder ernst genommen. 2016 wird es eine Neuproduktion von „Parsifal“ geben. Warten wir ab, ob es auf dem Hügel in diesem Sinne weitergeht.