Über das Verhältnis des Österreichers zum Tod wurde schon viel geschrieben und vor allem auch gesungen. Besonders in der Bundeshauptstadt Wien gilt die Inszenierung eines Begräbnisses mit aufwendigem Pomp – die sprichwörtliche „schöne Leich“, wie der Wiener zu sagen pflegt – noch immer als weitverbreiteter Volksbrauch. Der Todeskult erlangt nun eine neue Dimension: Seit kurzem ist es auch in Wien möglich, aus der Asche verstorbener Personen „Diamanten zur Erinnerung“ anfertigen zu lassen. Daß Verstorbene im nachhinein oft als „Juwel von einem Menschen“ bezeichnet werden, ist ja bekannt, die Wiener Bestattungsinstitute ermöglichen es nun, aus Dahingeschiedenen tatsächlich einen besonderen Juwel zu machen. Der Gang zu den Gräbern ein alter Zopf? Das Angebot, aus der Asche einer verstorbenen Person eine „bleibende Erinnerung“ zu schaffen, ist, wie könnte es anders sein, aus den USA nach Europa exportiert worden. Auch in Deutschland gibt es bereits länger „Dienstleistungsunternehmen im Bestattungsgewerbe“ wie etwa die Firma „Christ-All Bestattungen“ in Berlin, die mit der „Diamant-Bestattung“ eine besondere Alternative zur „Urne im Wohnzimmer bieten“ können. Das Sterben bietet also endlich einen gegenständlichen Mehrwert („Diamantengrößen zwischen 0,25 bis 1,0 Karat möglich“) und das ultimativ finale Zeitgeist-Enderlebnis: ein modernes Sterben mit diesseitiger Nachhaltigkeitsgarantie. Zum begräbniskundlich sicherlich interessanten Phänomen der Diamant-Bestattung paßt eine erschreckende Erkenntnis, die von Kulturanthropologen recht intensiv abgehandelt wird. Erstmals in der Geschichte der Menschheit wird die Zahl der Lebenden bald größer sein als die Zahl all jener zusammengenommen, die je gelebt und gewirkt haben. Ein beklemmendes Faktum, oder? In nicht ferner Zeit wird man auch noch als Toter zu einer Minderheit. Die alten Lateiner hatten es da noch leichter. Der lateinische Wortschatz kennt nämlich für unser deutsches Verbum „sterben“ eine hintergründige Umschreibung: „ad pluris penetrare“ taucht in den Schriften der römischen Autoren Plautus und Terentius als feinsinnige Metapher für „aus dem Leben scheiden“ auf. Wörtlich bedeutet der römische Ausdruck: „zur Mehrzahl gelangen“. Altem Volksglauben folgend, waren gegenüber den Lebenden die Toten nämlich stets die Mächtigeren und letztendlich auch die zahlenmäßig Überlegenen, eben die „plures“. Die neue Mehrheit der quicklebendigen Zeitgeistritter orientiert sich zukunftsgewandt nach vorn, mit einem zynischen „Fiducit“ auf den Lippen für die neue Minderheit der Toten. Doch wenn die Toten verstummen und nur mehr als diamantener Ring am Ohr baumeln, werden dann die Lebenden nicht maßlos? Wenn Halloween den traditionellen „Gräberbummel“ zu verdrängen droht, so ist dies ein Zeichen unserer globalisierten, amerikanophilen Massenkultur. Wenn nun auch noch Diamant-Bestattungen „schick“ werden, ist das wirklich eine glänzende Metapher für eine maßlose Gesellschaft, die sich ihrer Herkunftspflichten entledigt. Halloween ist ein großer Spaß, der Gang zu den Gräbern ein alter Zopf, den nahen Angehörigen im Ohrring zu tragen, der letzte Schrei. Zukunft ohne Herkunft endet in Monströsität Giambattista Vico, italienischer Geschichts- und Rechtsphilosoph des 18. Jahrhunderts, definierte den Menschen als „das seine Toten bestattende Lebewesen“. Vico leitete „humanus“ von „inhumare“, beerdigen, bestatten ab. Man kann seiner etymologischen Herleitung sicherlich mit Skepsis begegnen – die Vorstellung aber besticht, daß ein „humaner“ Umgang mit dem toten Artgenossen eben auch das Menschsein ausmacht. Das Grabmal, ursprünglich wohl nicht viel mehr als ein über dem Leichnam aufgetürmter Steinhaufen, zum Schutz vor aasfressenden Raubtieren, war aber wohl gleichzeitig ein erstes und ernstes menschliches Zeichen. Ein archaisch metaphorisches Zeichen, das es zu „lesen“ galt und das ein „Erinnern“ ermöglichte. Wenn wir nunmehr in unserer Spaßgesellschaft keine sittliche Gemeinschaft mehr pflegen wollen mit denen, die da waren, und eine Verantwortung für die Abfolge der Generationen oft aus politisch korrekter Umtriebigkeit ablehnen, so bedeutet das wohl für die neue Mehrheit der Lebenden eine Lösung aus Herkunft und überlieferten Verantwortungszusammenhängen. Eine Zukunft ohne Herkunft endet allerdings wohl in einer unendlich grenzenlosen Monströsität. Ob daran der verstorbene Familienangehörige als diamantenes Ringlein im Ohr etwas ändern kann?