Wenn es stimmt, was Arthur Schopenhauer einst vermutete, daß die Sprache eines Landes über den Zustand seiner Kultur Auskunft gibt, dann ist es um diese zweifelsohne schlecht bestellt. Zwar ist die deutsche Sprache an Worten noch reich, aber ihr geläufiger Wortschatz wird zusehends ärmer. Nirgendwo manifestiert sich das deutlicher als im Duden, der – im Unterschied zum Oxford English Dictionary, das sich als kultureller Sprachspeicher versteht – als reines Gebrauchswörterbuch konzipiert ist, also lediglich den aktuellen, zunehmend von Anglizismen beherrschten Sprachwortschatz abbildet. Gehört ein Wort nach Auffassung der Duden-Redaktion nicht mehr dazu, wird es zunächst unter Quarantäne gestellt, dann endgültig getilgt und schließlich vergessen. Daß das schöne Nominalkompo-situm Wortschatz selbst noch nicht der Tilgung anheimgefallen ist, liegt denn wohl auch nur daran, daß der Gebrauch des englischen „vocabulary“ für die traditionsbewußten Duden-Macher einem Offenbarungseid gleichkäme. Doch derweil wird bereits munter gemanagt, gejobbt, gebreakt und gecancelt, bis sich die letzte Partizi-pialkonstruktion biegt. Nein, die deutsche Sprache, so scheint man dem aktuellen Duden entnehmen zu können, stirbt wie ein Ur-Vogel aus. Für ihren langsamen, aber sicheren Tod spricht zunächst der Verlust eines Wortguts, das mit versunkenen oder aus der Mode gekommenen Lebenswelten und Umgangsformen untrennbar verbunden ist. Da wären etwa die Arbeitswelten der traditionellen Gewerke zu nennen, die im monotonen Einerlei des Dienstleistungssektors bis zur Unkenntlichkeit aufgegangen sind. Punzen und ziselieren, walken und schnitzen, das alles sind nur noch Begriffe für den Kulturhistoriker. Auch um Worte wie Trockenhaube, Pagenkopf und Handkuß ist es wohl bald geschehen, ebenso um Eisblume, Waldeinsamkeit oder Autokino. Beileibe, nicht jeder Verlust einer zivilisatorischen Hervorbringung oder Haltung muß wirklich beweint werden, aber um einige von ihnen ist es ausgesprochen schade. Schließlich kommt mit den Wörtern auch immer das Wissen um die vielfältigen Möglichkeiten von Existenz abhanden oder zumindest um Facetten und Zwischentöne. Lesenswert hierzu ist ein von der NZZ-Redakteurin Andrea Köhler herausgegebenes Büchlein mit dem hübschen Titel „Kleines Glossar des Verschwindens“ (Beck-Verlag 2003). Die andere Seite des Untergangs sind die Anglizismen, sie pflastern unseren Weg, tagtäglich vom Aufstehen bis zum Schlafengehen. Kein Werbebanner, keine Fernsehsendung, kein Zeitschriftenartikel scheint mehr ohne rhetorische Allzweckwaffen wie Check, Boom, Top oder Hit auszukommen. Mit diesen Universalwörtern werden jedoch nicht nur einige deutsche Ausdrücke, sondern zugleich die verschiedenartigsten Bedeutungsnuancen und Klangfarben verdrängt. Was bei technischen Begriffen (etwa Website) ob ihrer Herkunft wenigstens zum Teil nachvollziehbar ist, erschließt sich bei Wörtern wie Highlight oder Slow Motion keinesfalls, da es dafür deutsche Wörter gibt. Zudem: Selbst der Duden weist lediglich aus, erklärt aber nicht, warum es der Computer, der Laptop und die E-Mail heißen muß. Artikel und Fremdwörter fusionieren offenbar derart, daß sie die geltende Regelkunde außer Kraft setzen. Unmerklich nähern wir uns damit jenem Phänomen, das – zunächst im Kabarett (Gayle Tuffts) als Schlagwort geprägt – bald in Wissenschaftskreise Einzug hielt: dem Denglischen. Wie sehr die deutsche Sprache bereits in angloamerikanischen Slang einmündet, ließ sich zuletzt an Weihnachten auf allen Fernsehkanälen vernehmen, was zwar keinen Sinn machte, aber selbst noch in der leisesten Kakophonie medialer Konformität einigermaßen bedrohlich wirkte. Es schien gerade so, als handele es sich dabei um einen konzertierten Akt nationaler Selbstverleugnung oder aber zumindest um eine allseits liebgewordene Selbstvergessenheit. Dieser entgegenzuwirken, hat sich der in Berlin lebende Autor Bodo Mrozek zum Ziel gesetzt. Ende letzten Jahres legte er ein „Lexikon der bedrohten Wörter“ vor (Rowohlt Verlag 2005). Dieses liest sich streckenweise äußerst amüsant, wobei der Ernst der Situation schon fast wieder aus dem Blickwinkel zu geraten droht, wenn dort ebenso flüchtige Zeitgeist-Prägungen reflektiert werden (siehe Internet-Präsenz: www.bedrohte-woerter.de ). Wie dem auch sei, jede Sprache besitzt ihr eigenes Verhältnis zur Welt, in ihr sind bestimmte Weltbilder und Bildwelten, Gemütswerte und Beweggründe des Handelns angesprochen. Wenn das nicht mehr geschieht, sprechen wir von einer toten Sprache und mithin von einer toten Kultur. Wenn sich an der gegenwärtigen Tendenz nichts ändert, ist die deutsche Sprache auf dem „besten“ Weg dorthin.