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Aufstand in der Krise

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Wenn es soweit ist, hält nichts mehr der Kritik stand, dann pflanzen sich die aufrührerischen Ideen wie im Funkenflug fort, finden sich überall Mutige, die den Angriff auf die eben noch uneinnehmbaren Bastionen wagen Das Wort „Krise“ hat verschiedene Bedeutungen. Schon das griechische krisis konnte im kosmologischen, theologischen und juristischen Sinn verwendet werden. In der Neuzeit setzte sich aber vor allem das medizinische oder quasimedizinische Verständnis durch. Dann bezeichnet Krise jene Phase des Krankheitsverlaufs, in der über Tod oder Genesung entschieden wird. Dieser Hintergrund des Begriffs macht verständlich, warum mit der Vorstellung von Krise einerseits der Gedanke verbunden ist, daß sie auf eine schicksalhafte Entwicklung bezogen sei, andererseits, daß die Krise eben den Moment der Entscheidung selbst bezeichne, in dem willensmäßig Einfluß auf die Entwicklung genommen werden könne. Soweit von politischen Krisen die Rede ist, kommen immer beide Aspekte ins Spiel: Krisen erscheinen als naturhafte Prozesse, in deren Verlauf lebensfähige oder lebensuntüchtige soziale Organisationen bestehen oder untergehen, aber sie bieten auch dem Retter oder einer Elite die Möglichkeit zum Durchgreifen, um das große Ganze zu kurieren. Was man in den Vordergrund stellt, ist in erster Linie eine Frage des Geschichtsdenkens oder der Geschichtsphilosophie. Läßt man die radikalen Konzepte, das des absoluten Niedergangs (die ganze Geschichte ist ein Verfall nach dem Ende des Goldenen Zeitalters) oder das des absoluten Aufstiegs (die ganze Geschichte ist ein Weg hin zum irdischen Gottesreich) beiseite, weil sie eigentlich gar keine Krisen kennen, dann bleiben im wesentlichen zwei Modelle übrig: das des dialektischen Prozesses, der den Fortschritt nicht direkt, aber nach krisenhaften Rückschlägen ermöglicht, und das der großen Alternanz, der Hin- und Herbewegung zwischen Blüte und Dekadenz. Man wird mit Grund sagen können, daß die zuerst genannte Auffassung, vermittelt durch Hegel und Marx, den stärksten Einfluß auf die Linke genommen hat, während die zuletzt genannte die eigentlich konservative ist. Vico hat sie nach Lektüre der antiken Schriftsteller wiederentdeckt, Herder und Goethe haben sie aufgenommen, in der ganzen politischen Romantik spielte sie eine wichtige Rolle, und in zahlreichen Varianten sind die Denker der Konservativen Revolution dem Motiv gefolgt, daß corso und ricorso den Lauf der Geschichte bestimmen. Differenzen ergaben sich vor allem im Hinblick auf die Frage, wie die Handlungsmöglichkeiten einzuschätzen seien, ob man das Recht eines „jungen Volkes“ (Moeller van den Bruck) verteidigte oder nur noch die Möglichkeit sah, einer alternden „Zivilisation“ (Oswald Spengler) Abgang in Würde zu verschaffen. In jedem Fall glaubte man aber Zeitgenosse einer großen Krise zu sein. Dieser Einschätzung hätte der klügste Krisendiagnostiker – der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt – nur mit Vorbehalt zugestimmt. In seinen 1905 postum veröffentlichten „Weltgeschichtlichen Betrachtungen“ vertrat Burckhardt die Ansicht, daß „echte Krisen“ ein sehr seltenes Phänomen seien. Der Dramatik eines sozialen, ökonomischen oder kulturellen Geschehens, das von den Zeitgenossen als Krise wahrgenommen werde, entspreche häufig nicht seine tatsächliche historische Bedeutung. Nur Vorgängen wie der Völkerwanderung wollte Burckhardt den Rang „echter“ Krisen zugestehen, weil sie tatsächlich alles Bestehende umwälzten. Davon verschieden seien die Normalkriege, politischen Machtwechsel oder technischen Neuerungen wie die Erfindung der Eisenbahn, die man vielleicht als „sekundäre Krisen“ bezeichnen kann. Es handele sich dabei vor allem um „beschleunigte Prozesse“ im Unterschied zu jenen allmählichen Entwicklungen, die sonst die Geschichte kennzeichnen. Weiter müsse von der „gescheiterten Krise“ gesprochen werden, vor allem bedingt durch Verschleppung des Ausbruchs, unerwartetes Versagen der angreifenden Kräfte, Ausscheiden der Anführer zur Unzeit oder dadurch, daß das „Lebensalter“ eines Volkes, einer Kultur den Umbruch nicht mehr zulasse; Beispiele könnten die lange Fortdauer des byzantinischen oder chinesischen Reiches sein, trotz innerer Erstarrung und äußerer Bedrohung. Die Krise erscheint hier merkwürdig auf Dauer gestellt, ohne daß die ihr innewohnende Tendenz zur Entscheidung stark genug wird. Im Kern war auch Burckhardts Krisenbegriff der medizinische. Er nannte die Krise ein „Fieber“, eine „Aushilfe der Natur“. Er betrachtete sie im Grunde als Ergebnis physikalischer oder biologischer Prozesse: Wenn es soweit ist, hält nichts mehr der Kritik stand, dann pflanzen sich die aufrührerischen Ideen wie im Funkenflug fort, finden sich überall Mutige, die den Angriff auf die eben noch uneinnehmbaren Bastionen wagen, bricht sich ein Enthusiasmus des Anfangs Bahn und wird die Beseitigung des gerade noch allgemein Anerkannten ohne Zögern ins Werk gesetzt. Burckhardt kam aber auch auf die Schattenseiten zu sprechen: die Ernüchterung, die Resignation, das oft jämmerliche Gesamtergebnis der großen Anstrengung. Das darf man bei einem Konservativen erwarten. Eher unerwartet findet sich dagegen das „Lob der Krisen“: „… die Leidenschaft ist die Mutter großer Dinge, d. h. die wirkliche Leidenschaft, die etwas Neues und nicht nur das Umstürzen des Alten will. Ungeahnte Kräfte werden in den einzelnen und in den Massen wach, und auch der Himmel hat einen andern Ton. Was etwas ist, kann sich geltend machen, weil die Schranken zu Boden gerannt sind oder eben werden.“ Und weiter: Die Krisen stoßen voran, sie „räumen auf“, was es an „Pseudoorganismen“ gibt, die gar kein Recht auf Dasein haben, und schließlich: „Die Krisen beseitigen auch die ganz unverhältnismäßig angewachsene Scheu vor ‚Störung‘ und bringen frische und mächtige Individuen hervor.“ Krisen sind ohne Zweifel gefährlich. Das kann dazu verleiten, die Krise „abschneiden“ zu wollen, wie Burckhardt das nannte. Aber solches Abschneiden ist seinerseits problematisch, insofern dadurch auch die Chance vergeben wird, eine Gesundung au fond zu erreichen. Wer auf die Möglichkeiten verzichtet, die die Krise bietet, mag dafür Gründe haben. Die besten sind noch die, daß man sich als Therapeut der Krankheit, als „Wundermann“ (Martin Luther), ungeeignet weiß. Bedenklicher sind Motive, die aus prinzipieller Risikoscheu resultieren.

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