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Mehr war wohl nicht

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Mehr war wohl nicht

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Es gibt Menschen, die sehen so aus, als wären sie jene, die einen im Kindergarten immer verprügelt haben. Man ist nicht in der Lage, ihnen unvoreingenommen gegenüberzutreten. Sollte es wirklich möglich sein, daß sie mit ihrer Masche durchgekommen sind und alle Sozialisierungshürden einer Gesellschaft, die vom Einzelnen doch ein friedfertiges Funktionieren erwartet, genommen haben? Alle Hoffnungen, die dem unterlegenen Kind gemacht wurden, daß es am längeren Hebel sitze und seine Demütigungen daher geduldig ertragen solle, drohen sich plötzlich als Notlüge zu entpuppen. Stefan Effenberg ist so ein Fall. Er ist aggressiv. Er ist frech. Er ist ein Aufschneider. Er tut so, als wäre er ein Weltklassespieler gewesen, obwohl er nur in der Bundesliga ein Star war. Das Publikum mag ihn nicht. Es verweigert ihm sein Mitgefühl. Sein Rücktritt aus der Nationalmannschaft ging niemandem nahe. Es mag ja sein, daß er mehr aus sich hätte machen können: Man hätte es ihm nicht gegönnt. Die Voreingenommenheit gegen Effenberg war bei jedem kleinen Skandälchen zu spüren, das während seiner Karriere hochkochte. Sie prägt nun auch die Rezeption seines Buches, in dem er alle diese Skandälchen noch einmal Revue passieren läßt und eine bemühte Gesamt-Gegendarstellung in gebundener Form präsentiert. Wer es tatsächlich liest und nicht nur dem Hörensagen, den Vorabdrucken der Bild-Zeitung oder den Kalauern der TV-Komiker oder des Qualitäts-Feuilletons vertraut, kann leider nur feststellen: Man fügt Effenberg (wieder einmal) Unrecht zu. Die Sprache, die er durch seinen Ghostwriter Jan Mendelin zu Papier bringen läßt, ist weder vulgär noch übertrieben simpel. Seine Invektiven gegen Menschen, mit denen er schlechte Erfahrungen gesammelt hat (allen voran Berti Vogts und Lothar Matthäus), sind dezent und geradezu aufdringlich bemüht, den Betroffenen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Private Indiskretionen oder Anzüglichkeiten, die doch ansonsten den Mehrwert von VIP-Autobiographien ausmachen, finden über das hinaus, was eh bekannt ist, schlichtweg nicht statt. Die Möllemänner und Lafontaines des öffentlichen Lebens, die ihre Karriereknicke literarisch dokumentieren, fahren hier ganz andere Geschütze auf – von den Größen des Showbusiness ganz zu schweigen. Effenberg zeichnet sich letztlich so, wie sich eigentlich fast alle Fußballer seit Fritz Walter gezeichnet haben: Er sieht sich als großen Jungen, dem das Fußballspiel alles ist, und der, wie sich das bei lebenslustigen Menschen halt nicht vermeiden läßt, ab und zu ein bißchen über die Strenge geschlagen hat. Darüber hinaus ist er ein Mann mit Grundsätzen: Man muß an sich arbeiten, seine Eltern ehren, seine Kinder behüten und Freunden die Treue halten. Natürlich ist der Tonfall überheblicher als zu jenen Zeiten, in denen man sich noch darüber wundern durfte, warum Menschen, die auf einem Spielfeld einen Ball hin und her bewegen, so berühmt und einflußreich werden können. Jene Egozentrik-Rekorde, die Franz Beckenbauer in seinen diversen Selbstzeugnissen aufgestellt hat, werden aber durch Effenberg in keiner Weise gefährdet. Es ist also legitim, zu fragen, warum die Hyänen des Feuilletons ausgerechnet über ihn so genüßlich herfallen. Vor dem Hintergrund der sozialen Verwerfungen, die unserem Land bevorstehen und von der Öffentlichkeit mit Bangen antizipiert werden, erscheint es als eine plausible Antwort, daß sich hier ganz simpel der Sozialneid zu kurz gekommener und sich auf schwankendem Boden wähnender Bildungsbürger austobt. Man kann damit leben, daß der Pöbel seinen einfach strukturierten Träumen anhängt. Man will es aber nicht tolerieren, daß sich einer aus seiner Mitte diese erfüllt. Während gestandene Intellektuelle, möglicherweise sogar mit akademischen Abschlüssen, um ihren Marktwert fürchten und bezweifeln dürfen, ob sie sich ihre verfeinerten Genüsse in absehbarer Zeit noch ohne weiteres werden leisten können, vermag dieser ausgelernte Paketbote, bloß weil er als Balltreter Millionen eingeheimst hat, vor Optimismus strotzend einer Zukunft voller Annehmlichkeiten entgegenzugehen. Da man ihm den Erfolg und sein Vermögen leider nicht mehr nehmen kann, möchte man ihn doch wenigstens auf das Glatteis der Pressekonferenzen, Interviews und Talkshows locken, um ihn als Parvenü vorzuführen. Effenberg hat es allen gezeigt? Nun zahlen es ihm die gebildeten Geringverdiener heim. Was sind sie doch für tolle Hechte! Sie können Bücher lesen und kritisieren! Allesamt sind sie verkannte Genies, die gemeinsam mit Habermas, Derrida, Muschg und Eco das Pantheon bevölkern müßten! Wie ungerecht ist doch unsere Gesellschaft, daß sie oben und unten auf so schamlose Weise verkehrt! Vor lauter Freude, die Ressentiments gegen Effenberg genüßlich ausleben zu können, ist in der öffentlichen Wahrnehmung untergegangen, welchen philosophischen Kern sein Werk eigentlich birgt: Auch wer prominent und wohlhabend ist, lebt in der Regel ein belangloses Leben. Ein Jungenstreich, ein in der Pubertät gekauftes Playboy-Heft, ein ramponiertes Auto, ein paar durchgefeierte Nächte, eine folgenreiche SMS, ein an der Tanke eilig gekaufter Hochprozentiger, eine Gehaltsverhandlung, ein Streit in der Disko, ein Betrunkener vor der Haustür, ein pöbelnder Schüler und so weiter. Spannend ist das nicht, was Effenberg aus seiner Vergangenheit berichtet. Niemand muß ihn beneiden, seinen Weg gegangen zu sein. Er lebt so, wie mehr oder weniger alle leben. Er kann sich nur mehr leisten. Er muß nicht so sehr aufs Geld schauen, wenn er in der Promi-Disko etwas zu trinken bestellt. Geldbußen lösen keine Proletarisierungsängste bei ihm aus. Auch auf dem Spielfeld scheint es nicht viele Höhepunkte gegeben zu haben. Er erinnert sich natürlich an die gewonnene Champions League gegen Valencia und daran, wie man zweimal hintereinander die Deutsche Meisterschaft erst am letzten Spieltag für sich entschied. Fast alles andere aber scheint an ihm vorbeigerauscht zu sein. Offenbar geht es Fußballspielern so wie Soldaten im Krieg: Sie bekommen nicht viel vom Geschehen mit und können sich die Zusammenhänge erst nachträglich erschließen. Vielleicht hat Effenberg dies auch getan, dem Leser jedoch mutet er nur authentische Eindrücke zu. Die Lektüre dieses an sich heiteren Buches stimmt daher unter dem Strich traurig. Was Effenberg allen gezeigt und nunmehr allen auch noch einmal aufgeschrieben hat, war nicht viel. Seine Leser wüßten von ihrem Leben kaum weniger zu berichten. Stefan Effenberg (mit Jan Mendelin): Ich hab’s allen gezeigt. Rütten & Loening, Berlin 2003, 320 Seiten, 19,90 Euro

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