Wer in der nächsten Modesaison mithalten will, der muß sich schon jetzt warm anziehen. Oder vielmehr, im Gegenteil, ausziehen. Denn die Pret-à-porters dieser Wochen, Seismographen kommender Bekleidungstrends, lassen keinen Zweifel zu: Kleidung an sich ist passé, Stoff auf der Haut ist hoffnungslos out. Angesagt ist es dagegen, sich die Klamotten vom Leibe zu reißen, dabei selbst nicht beim dezenten String-Tanga haltzumachen, sich bar jeder die Gesundheit schützenden Verhüllung in den nächstbesten Herbststurm zu stellen und angesichts eines solchen Maßes an Trendkompatibilität ekstatisch aufzujauchzen. Auch wenn hinterher die Krankenkasse Insolvenz anmeldet. Denn was Hardcore-Globetrotter und Überlebenskünstler Rüdiger Nehberg gemeinhin zur körperlichen Stählung praktiziert, was seit Jahren als Gassenhauer durch den Kölner Karneval geistert, ist jetzt die gesellschaftliche Devise schlechthin: Zieh dich aus! Mach dich nackig! Über Hans Christian Andersens Kaiser, der sich im vollen Fleischornat seinen Untertanen präsentierte und damit bekanntlich das Ende seiner Regentschaft einläutete, haben wir alle schon gelacht. Heute wäre es an dem einst glücklosen Nacktmonarchen, über uns zu spotten. Denn des Kaisers neue Kleider sind hip, und altmodisch ist derjenige, der noch immer nicht begriffen hat, daß Pulli, Hose & Co. die eigene Aerodynamik empfindlich beeinträchtigen und der Nacktmull evolutionär gesehen ein früher Ahne des homo sapiens ist. Zumindest ansatzweise erkannt und dankbarerweise an uns weitergegeben hat das in diesem Sommer, als es auch andere Mitmenschen nicht mehr als in der bürgerlichen Gesellschaft nötig in ihren Klamotten hielt, Uschi Glas. Wir erinnern uns: Bis dato war es den noch nicht im fortgeschrittenen Alter befindlichen Ex-und-hopp-Spindludern aus Ex-und-hopp-Seifenopern vorbehalten gewesen, den auf Fleischbeschau getrimmten Lesern entsprechender Blätter in luftigen Fotostrecken zu zeigen, wo der Bartel den Most holt. Als spezielles Interesse am natürlichen Zustand der menschlichen Physis rangierte die Lektüre einschlägiger Gazetten. Plötzlich aber vollzogen auch deutsche Illustrierte mit nudistischem Einschlag den demographischen Wandel und setzten auf nackte Haut mit den Schwielen der Alterserfahrung. Uschi Glas ihrerseits setzte sich an die Spitze der Bewegung, indem sie sich für eine kamerabewehrte Betriebskampfgruppe der Zeitschrift Max in einen so güldenen wie knappstmöglich geschnittenen Glitzer-Bikini und hernach in Pose warf. Die Botschaft der bis auf wenige Quadratzentimeter Haut vollkommenen Selbstentblößung, die via Bild in die Mitte der Gesellschaft transportiert wurde, war glasklar: Tragt eure Haut zu Markte! Und wenn schon nicht für Honorar, dann zumindest zum Ruhm und zur Ehre eures Schöpfers! Uschi Glas war zu einer Jeanne d’Arc in einem Feldzug geworden, der im Namen des Fleisches geführt wurde. Nur daß sie am Ende nicht auf dem Scheiterhaufen schmoren mußte, sondern in der sengenden Sommerhitze der Hauptstadt ihrer Bewegung. Im September zog jenseits des Atlantischen Ozeans Playboy nach und setzte einen neuen Meilenstein auf dem Weg zur kollektiven gesellschaftlichen Nacktheit. Das Fachorgan für Entkleidungstrends kündigte an, die schönsten Kassiererinnen des internationalen Wal-Mart-Konzerns statt im Arbeitskittel im Evakostüm für seine Hochglanzseiten posieren zu lassen. Damit fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Gilt Amerika doch schon als Urhort des Strip Pokers, einer spielerischen Vorstufe der kollektiven Vernacktung. Zwar wird fast jede nackte Brust in den unzähligen Hollywoodstreifen herauszensiert, aber bei den Printerzeugnissen scheint die gegenteilige Entwicklung einzusetzen. Bei Playboy USA sieht man folgerichtig den Vorstoß in das Herz des amerikanischen Familiensupermarkt-Systems als Beitrag zum Ausbau der eigenen Wirtschaftsberichterstattung. Playboy Deutschland zeigt sich derweil eher bedeckt: Nackte Tatsachen über die Mitarbeiter etwa emsländischer Wal-Mart-Filialen seien nicht geplant, heißt es in der Redaktion in München. Was Wunder: Auch auf den Titelseiten der deutschen Zeitschrift mit dem langohrigen Hasen ist, ganz trendwidrig, neuerdings nur verhältnismäßig wenig Haut zu sehen. Vielleicht wird hierzulande am Ende Playboy neben muslimischen Internaten die letzte Bastion der Verhüllung bilden? Ganz unrealistisch erscheint diese Prognose nicht mehr. Vielleicht nimmt man sich als nächstes dann die zahlreichen Verkäuferinnen vom McDonald’s vor? Immerhin bietet der weltweit bekannteste Konzern ja auch bald Klamotten neben BigMäc & Co. an und verkennt damit erneut den Trend zur hüllenlosen Schönheit. Gut, daß angesichts der zum gesellschaftlichen Paradigma erhobenen kollektiven Enthüllung wenigstens noch andere Namen halten, was sie versprechen. Da mag dann auch die weltmeisterschaftsverwöhnte deutsche Fußball-Nationalfrauschaft in Verkennung der neuen Realitäten verkünden lassen, sie werde ihre Trikotage für nichts und niemanden fallen lassen. Deutschlands Vorzeigeintellektueller Dieter Bohlen hat unter dem Titel „Hinter den Kulissen“ ein Enthüllungsbuch schreiben lassen und damit wenigsten im Prinzip demonstriert, daß er kapiert hat, wohin der Trend geht. Noch aber trägt Bohlen seine Haut in maßgeschneiderten Anzügen zu Markte. Vielleicht sollte er sich, wie wir alle, an Oswalt Kolle halten. Der Aufklärer der Nation streitet auch als Jubilar mit vitalen 75 Jahren für das Recht des menschlichen Körpers auf ausreichend Frischluftzufuhr und ein freieres Körpergefühl: „Es ist für mich einfach schön, das ganze Geschirr wegzuschmeißen und am ganzen Körper zu bräunen.“ Kolle selbst hat nach dem Nacktbaden das Nacktgehen für sich entdeckt. Und so wollen auch wir bis auf den letzten Stoffetzen Aufgeklärten nackt gehen. In eine sonnige Zukunft. Alle zusammen – hatschi!