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Etwas kommt in Deine Welt

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Zwar hatte man allseits, wie bei Veranstaltungen der Gothic-, Dark Wave- und Neofolkszene nicht anders zu erwarten, eine deutliche Vorliebe für gedecktere Farben, aber ansonsten war es ein bunt gemischtes Publikum, das an jenem Samstagabend im Dezember mehr oder weniger geduldig im Treppenhaus der Münchner „Boxfabrik“ darauf wartete, daß „etwas in seine Welt kommt“, wie der Konzerttitel verhieß. Krawatten, Fliegen, graumelierte Schläfen waren ebenso zu sehen wie Stoppelfrisuren, geflochtene Zöpfe, lange Mähnen und jene grauslichen, bei langem, gescheiteltem Deckhaar hinten und seitlich superkurz rasierten „Kappenfrisuren“; die Phantasieuniform stand neben dem Smoking, der schwere Ledermantel neben dem knappen Lederrock. Interessante Gestalten waren darunter, von denen man glauben möchte, daß sie nur auf Gothic-Partys und nirgends sonst existieren und bei solchen gleichsam aus dem Boden wachsen, wie die legendären, aus Drachenzähnen gesäten Ahnherren der Thebaner – und tatsächlich verliehen manche dornen- und stachelartigen Piercings ihren Trägern etwas Drachen- oder Saurierartiges. Besondere Aufmerksamkeit jedoch erregte ein schnurrbärtiger Herr, der sich mit Augenklappe und breitkrempigem Hut offenkundig als Wotan fühlte und einen Bergsteigerpickel bei sich trug, den er freilich einem Sicherheitsmann überlassen mußte. Nachdem zwar kein Berg, aber immerhin eine enge Wendeltreppe erklommen werden mußte, bis die zahlreichen Heroen des Boxsports, die die Wände zierten, wartenderweise bestaunt und die Kasse passiert waren, stand man endlich im Innersten der Boxfabrik, einem länglichen Raum mit Barbereich, Tanzfläche und Bühne. Hier sollte sie gleich „in unsere Welt“ kommen – die neue Formation von Weissglut, jetzt in völlig neuer Besetzung und wieder mit ihrem „richtigen“ Sänger Josef Maria Klumb, von dem sich die Band 1998 nach Querelen wegen eines umstrittenen Spiegel-Interviews getrennt hatte. Angekündigt waren außerdem „Von Thronstahl“, ein weiteres Projekt von Klumb und seinem Kollegen Raymond P., der außerdem noch mit „The days of the trumpet call“ auftrat, während die ebenfalls eingeladene Band Kirlian Camera kurzfristig abgesagt hatte. Über die damit eventuell verbundene Enttäuschung trösteten Josef K., Raymond P., der kürzlich mit einer musikalischen Bearbeitung von Texten Ernst von Salomons hervorgetreten ist, und die stimmgewaltige Opernsängerin Morgan jedoch schnell hinweg. Keineswegs nur ein „Aperitif“, wie Klumb in seiner humorvoll-bescheidenen Art meinte – die sehr deutlich mit dem Bild vom martialischen Protagonisten der „Neuen deutschen Härte“ kontrastiert -, war der kräftig aus den Boxen donnernde und dennoch sehr „atmosphärische“ Thronstahl-Auftritt, an den The days of the trumpet call auf gleicher Höhe anschloß. Zweifellos die härteste neudeutsche Härte des Abends lieferte Weissglut, deren nebelschwadenumdampften Trommelfellattacken den sonst gewissenhaft sein Amt versehenden Kritiker in den hinter der Bühne liegenden Teil des Raumes vertrieben, wo allerlei Bücher, CDs, Schmuck- und Kleidungsstücke mit schwarzen Sonnen und Thorshämmern zum Verkauf auslagen, oder ihn in die Bar fliehen ließ, wo er im Gespräch mit alten Bekannten seine Arbeitskraft und seine Ohren regenerierte. Er kann freilich aufatmen und sich darüber freuen, daß Von Thronstahl und Weissglut künftig in etwas gesünderer Lautstärke und in gediegenerer Atmosphäre zu genießen sein werden. Wie Josef Klumb gegenüber der jungen freiheit ankündigte, beabsichtigt er, künftig auch Auftritte in feinerem Ambiente, mit Häppchen und sektnachschenkenden Kellnern durchzuführen, wobei die Musik etwas zurücktreten und nur noch einen Programmteil unter anderen darstellen soll – neben Literaturlesungen, filmischen und anderen Darbietungen. Die schon bei dieser Veranstaltung – trotz der Dominanz des jüngeren und szenetypischen Publikums – deutlich zu beobachtende Tendenz zur Heterogenität, zur Vielfalt und zur Durchmischung der Altersgruppen soll dadurch fortgesetzt und forciert werden, um neben dem (alternativ-)kulturellen Gesamterlebnis auch verstärkt Gelegenheiten zum Gespräch und gegenseitigen Kennenlernen zu bieten. Inwiefern sich das nach den Erfolgen von Bands wie Rammstein freilich auch nicht mehr allzu taufrische – und immer weniger provokative – Konzept der Neuen deutschen Härte damit noch vereinbaren läßt, bzw. ob es überhaupt noch beabsichtigt ist, bleibt abzuwarten. Schon jetzt zeigt sich bei den aktuellen Thronstahl-Inszenierungen, trotz der zur Dekoration wie Arbeiterdenkmäler auf Spaten gestützten Männer, eine sublimer werdende Ästhetik, die mit der Suche nach einer musikalischen Neoklassik – aus dem in die Jahre kommenden Geist des Dark Wave – zusammenhängt. Das überleitende Motiv besteht in der imperialen, sich bevorzugt römischer Insignien wie der kapitolinischen Wölfin oder der Rutenbündel der römischen Liktoren bedienenden Symbolik, von der Josef Klumb etwa auf seiner Homepage oder in seinem Online-Versand mit dem gewiß unkorrekten Namen „Fasci-Nation“ ausgiebig Gebrauch macht. Offensichtlich und wohl beabsichtigt ist dabei ein gewisser spielerischer Unernst, ein provokantes, von der veröffentlichten Meinung in seinem ironischen Charakter unbemerktes Kokettieren mit Bildern, Klängen und Zitaten, die man nicht verwendet, weil man damit unbedingt eine politische Haltung zum Ausdruck bringen möchte, sondern weil sie irgendwie schön sind. Daß es sich dabei nicht gerade um dezidiert demokratische Symbole handelt (obwohl nun freilich die altrömische Wölfin auch nichts Undemokratisches an sich hat), ist ein anderes Thema und sollte, anstatt zur reflexartigen Erhebung des moralischen Zeigefingers, lieber zu der Frage führen, warum die Demokratie in der Gegenwart so wenig schöne, ästhetisch anspruchsvolle und integrativ wirkende Symbole hervorbringt. Die mehr oder weniger demokratischen Stadtrepubliken der Antike und Renaissance, das republikanische Rom belegen, daß dies nicht so sein muß. Man würde die Neofolk- und zumal die Gothic-Szene wahrlich überfordern, wollte man von ihr eine Ästhetisierung unserer Glas- und Betongesellschaft erwarten, aber einige Musiker wie Josef K. und Raymond P., der Österreicher Gerhard P. von Allerseelen oder Nick und Chris Nedzinski von der englischen Gruppe Lady Morphia haben mit ihren Vertonungen von Texten Nietzsches und Rilkes, Jüngers, Ernst v. Salomons oder Oswald Spenglers kleine, aber verdienstvolle Beiträge zur Hebung des musischen Geschmacks in der Popkultur geleistet.

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