Es ist wirklich ein Glück, daß Thilo Sarrazin noch nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verurteilt worden ist. Schließlich, so dekretierte seinerzeit die SZ-Kritikerin Sonja Zekri zum Erscheinen des Buches „Feindliche Übernahme“ im Sommer 2018, das die schleichende Islamisierung des Westens thematisierte, liefere der ehemalige Bundesbank-Vorstand mit seinem Werk dem Tatbestand des „Weltbürgerkriegs“ Vorschub.
Das neueste Buch des erfolgreichsten deutschen Sachbuchautors unserer Zeit, der mit „Deutschland schafft sich ab“ für ein politisch-mediales Erdbeben gesorgt hatte, dürfte abermals ein Bestseller werden – nicht zuletzt durch die Buchvorstellung selbst. Diese sekundierte der derzeit wütendste deutsche Schriftsteller: Uwe Tellkamp. Der kommentierte in einer wortgewaltigen Laudatio den gegenwärtigen Zustand des Landes, indem er das Personal des politischen Betriebs aufs Korn nahm. So übersetzte er beispielsweise das „Habecken“ mit Weisheitslöffeln, Phrasen und einem Falschgeld, das also nicht von der Wirklichkeit gedeckt sei.
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Bei entsprechend markierten Feinden, so Tellkamp weiter, komme schließlich das „Faesern“ zum Einsatz. Übertroffen wurde diese Attacke nur noch vom „Lauterbachen“. Wer „lauterbacht“, stehe für das Motto „Mehr Diktatur wagen!“, um derart die Gesellschaft „ungestraft mit Maßnahmen zu disziplinieren“. Doch, so Tellkamps ernüchterndes Fazit, „ab fünf ausgefallenen Mahlzeiten endet die Demokratie“. Schließlich wurde auch noch die SPD bedacht: „Scholzen“, so der studierte Mediziner Tellkamp, sei zu verstehen als „alzheimern“.
Sarrazin arbeitet mit „Sonde der Ideologiekritik“
Hieran anknüpfend verwies Sarrazin auf den Unterschied von Kunst (Tellkamp) und Handwerk (er selbst). In seinem neuen Buch „Die Vernunft und ihre Feinde“ reflektiere er über die Irrtümer und Illusionen ideologischen Denkens. Letzteres bestehe aus Vorurteilen, die sich als Wissenschaft tarnten. Überwacht werde dieser Zustand von einem sich in den vergangenen Jahren herausgebildeten Meinungskartell, wie es Tellkamp in seinem jüngsten Roman „Der Schlaf in den Uhren“ beschrieben habe. Dabei seien Ideologien wirkmächtig wie Religionen. Entsprechend, so Sarrazin, habe er die „Sonde der Ideologiekritik“ an das Regierungsprogramm der Ampelkoalition gelegt und hier ein „hochideologisches Denken“ diagnostiziert.
Dabei sei der Kern linken Denkens die Gleichheit unter den Menschen, woraus Haß auf Reiche und andere Begünstigte entstünde und damit einhergehend das Gefühl des Neids. Der Kern rechten Denkens hingegen sei die Berufung auf Abstammung, Tradition, Herkunft, woraus der Haß auf alles Fremde und Andersartige resultiere. Dabei habe die Geschichte gezeigt, daß es immer aktivistische Minderheiten seien, die ihr totalitäres Modell der Mehrheit aufzwängen, wie etwa bei der Französischen oder der Russischen Revolution. Ein aktuelles Beispiel für solche Entwicklungen sei die „geschlechtergerechte Sprache“. Unterstützt werde dieser Prozeß zur Gleichschaltung durch die opportunistische Tendenz der Mehrheit, sich wie Lemminge zu verhalten. In diesem Kontext verortete Sarrazin auch das Phänomen „Fake News“.
Als eine „absolute Perversion des Denkens“ geißelte Sarrazin die anfängliche Haltung Deutschlands, der Ukraine nur Stahlhelme zu schicken, aber keine Waffen, um sich gegen den russischen Aggressor verteidigen zu können. Schließlich entblödete sich die FAZ mit der provozierenden Frage, welches „Rezept“ denn die Herren Sarrazin und Tellkamp bitteschön anzubieten hätten. Dies erinnerte Tellkamp unversehens an die Reaktionen der düpierten SED-Kader zum Ende der DDR – und den Betrachter an das Narrativ des Deutschlandfunks in der Morgensendung, die Sarrazin diffamierte, indem es ihm vorwarf, die „Küchenphilosophie“ eines Volkswirts zu verwenden.