Die Ära Merkel ist Geschichte, die erste Ampelkoalition auf Bundesebene hat die Macht übernommen. Wohin steuert Deutschland unter seinem neuen Kanzler Olaf Scholz? Was ist von der Ampel und ihren Ministern zu erwarten? Und wie sollten sich die Oppositionsparteien in der neuen Legislaturperiode aufstellen?
Darüber diskutierte JF-Chefredakteur Dieter Stein mit Thilo Sarrazin, Werner J. Patzelt und Karlheinz Weißmann. Neben der Einschätzung der neuen Ampel-Koalition beschäftigte die Gäste besonders die Rolle der Opposition: Wie wird sich die CDU unter einem mutmaßlichen neuen Vorsitzenden Friedrich Merz ausrichten und wie kann daneben weiterhin die AfD ihren Platz behaupten?
Patzelt: CDU ist nicht in der Lage, „konservativ“ zu definieren
Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt bezweifelte, daß die CDU intellektuell noch in der Lage sei, zu definieren, was „konservativ“ sei und sich von der Ära Merkel zu emanzipieren. Unangenehm werde es für die CDU, wenn die AfD ihr nicht den Gefallen tue, sich weiter zu radikalisieren, sondern ihr den Platz als bürgerliche Kraft der „alten CDU“ streitig mache.
Skeptisch äußerte sich Thilo Sarrazin zur Zukunft der AfD, die dabei sei „ihre Chance zu verspielen“. Nicht weil sie hin und wieder radikale Äußerungen tätige, sondern explizit wegen ihrer Haltung in der Corona-Frage. Indem sie sich derzeit „voll mit Impfgegnern und Impfskeptikern solidarisiert“, lasse sich in eine „esoterische Ecke abdrängen“. Die Praxis, daß sich AfD-Abgeordnete in den Parlamenten nicht testen ließen und auf die Zuschauerränge setzten, wirke „nur noch skurril“.
Weißmann: AfD muß überzeugende Führungs-Equipe aufbauen“
Karlheinz Weißmann erinnert in diesem Zusammenhang daran, daß es bei den Grünen aber auch bei der SPD im Laufe ihrer Geschichte an ihren Anfängen ebenfalls große Probleme gehabt habe, sich von bestimmten Tendenzen zu befreien, deren „destruktiver Charakter für nüchterne Beobachter von Anfang an klar war“.
Gravierender für die Zukunft der AfD sei, so spitzte Weißmann seine Lageanalyse zu, ob es der AfD gelinge, „so etwas wie eine überzeugende Führungs-Equipe aufzubauen“, die fähig sei, „nach außen klar zu repräsentieren“, für welche Linie sie stehe und endlich innerparteilich „für Disziplin zu sorgen“.
Bei anhaltender Ächtung der AfD verliert die CDU „strukturelle Mehrheitsfähigkeit“
Thilo Sarrazin gab zu bedenken, daß sich etablierte Parteien langfristig schaden, wenn sie die AfD derart ächteten, wie es derzeit geschehe und in die rechte Ecke stellen. Damit würden alle Menschen gekränkt, die mit den legitimen Inhalten sympathisieren, die die AfD vertrete. Es sei demgegenüber „empörend und verstörend“, wie freundlich gegenüber der AfD die Linkspartei behandelt würde.
Es sei richtig gewesen, die Linkspartei als Regierungspartei einzubinden und ernstzunehmen. Dasselbe sei auch mit der AfD richtig – auch um ihr weiteres Abdriften zu verhindern. Eine isolierte und regierungsunfähige AfD würde der Union „ihr strukturelle Mehrheitsfähigkeit nehmen“. Die CDU werde nämlich nie wieder eine Mehrheit bilden ohne Grüne oder SPD – es sei denn „sie löst das Problem mit der AfD“, so Sarrazin.