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Debatte um Meinungsfreiheit: Wirklichkeit auf böhmermannisch

Debatte um Meinungsfreiheit: Wirklichkeit auf böhmermannisch

Debatte um Meinungsfreiheit: Wirklichkeit auf böhmermannisch

Entertainer und Satiriker Jan Böhmermann bei der „Zeit“-Veranstaltung „Das Triell: Jan Böhmermann, Markus Lanz und Giovanni di Lorenzo über Macht und Ohnmacht des politischen Journalismus“ im Hamburger Michel. Foto picture alliance/dpa | Georg Wendt
Debatte um Meinungsfreiheit
 

Wirklichkeit auf böhmermannisch

Was richtig und was falsch ist, wer mit wem worüber sprechen darf und worüber gleich gar nicht, darüber entscheidet in unserer Medienlandschaft noch immer der Staatsfunk-Clown Jan Böhmermann. Hätte der jedenfalls gern so. Das legen zwei seiner jüngsten Medienauftritte nahe.
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Jan Böhmermann macht sich große Sorgen um die Köpfe der Deutschen. Vor allem darum, daß dort auch das „Richtige“ reinkommt. Genauer gesagt: Darum, daß dort nicht das Falsche reinkommt. Die letzte Ausgabe seiner ZDF-Show nutzte der quirlig-komische Politaktivist zu einer großangelegten Kritik an politischer Manipulation durch die wirkmächtige Online-Enzyklopädie Wikipedia.

„Gut so!“ könnte man jetzt denken. Denn Kritik daran, wie einseitig Wikipedia-Artikel in ihrer Auswahl von Fakten, Quellen und vermeintlichen Experten verfaßt sind, tut dringend not. Das weiß jeder, der dort schon mal Informationen über eine beliebige Person, Organisation oder ein Medium aus dem konservativen oder gar rechten politischen Bereich gesucht hat. Diese werden in dem vermeintlich neutralen Internet-Lexikon in aller Regel extrem negativ dargestellt. Vor allem im Vergleich zu dem, was Wikipedia seinen Nutzern an Beschreibungen von Entsprechendem auf der linken oder sogar linksradikalen und linksextremen Seite so liefert.

Aber natürlich war das mitnichten das, woran sich der gelernte Journalist störte. Im Gegenteil. Böhmermann sieht die Gefahr dort, wo Böhmermann die Gefahr immer sieht. Ausgerechnet von rechts soll die Informationsfreiheit im Netz nach Ansicht des Moderators mit dem deutlich erkennbaren Linksdrall bedroht sein. Als Beispiel für seine krude These nannte er unter anderem den Wikipedia-Eintrag der JUNGEN FREIHEIT. Dieser wurde, oh Schreck, oh Schreck, mehrfach zum Positiven verändert! Ein Nutzer, so will der Late-Night-Talker wissen, habe diesen im Jahr 2005, kurz vor der damaligen Bundestagswahl, „innerhalb von 105 Tagen gleich 164 mal“ geändert.

Der Oberzensor

Der Großteil dieser großen Zahl von Änderungen sei, so hörte man heraus, offenbar darauf zurückzuführen, daß der User von ihm vorgenommene Löschungen von Negativeintragungen immer wieder vornahm, nachdem diese von anderen Wikipedia-Autoren wieder rückgängig gemacht wurden. Mit der linken Übermacht auf der Plattform wollte sich der User nicht abfinden.

Der Entertainer führte die „renitenten“ Änderungen auf einen kurz zuvor erschienenen Artikel der JF zurück, der dafür plädierte, daß Konservative sich stärker an den Diskussionen und Beiträgen in der Jedermann-Enzyklopädie beteiligen sollten. Böhmermann sah darin einen Aufruf der „rechtsextremen Zeitung“ zur Manipulation des Online-Lexikons. „Wer auch die positiven Seiten von Hitler sehen möchte, der soll bitte anfangen, Wikipedia zu manipulieren“, so die abstruse Interpretation des ziemlich besten Freundes der radikalen Linken.

Danach machte der öffentlich-rechtliche Satiriker einen Schlenker zur Neuen Rechten, um seine These vom „braunen Fakten-Tuning“ auf Wikipedia weiter zu untermauern. Böhmermann und seine Redaktion wollten eine aus „mindestens 780“ Accounts bestehende „rechtsextreme Fake-Account-Bubble“ ausgemacht haben, die versucht habe, das Onlinelexikon mit „rechtsextremen Inhalten zu fluten“. Was genau diese Nutzer des als öffentlich für jeden zugänglichen Wissensansammlung gedachten Projekts zu „Fake-Accounts“ gemacht haben soll, erklärte der Wahrheits- und TV-Produzent freilich nicht. So ist anzunehmen, daß diese sich vor allem dadurch für die Teilhabe disqualifiziert haben müssen, daß das von ihnen verbreitete Wissen nicht dem linken Narrativ aus Böhmermanns eigener Bubble entsprach.

Neun aus 780

Das kann er als Journalist so natürlich nicht sagen. Obgleich die meisten seiner Zuschauer wohl kein Problem damit hätten. Deshalb mußte er irgendwie belegen, daß es sich bei den Autoren nicht nur um nicht-linke User, sondern um Rechtsextremisten gehandelt habe. Als einen solchen Beleg nannte der Showmaster ganze neun Nutzernamen, die auf eine vermeintliche oder teilweise auch tatsächliche rechtsextreme Gesinnung schließen ließen. Neun aus über 780! Dazu zählte der ZDF-Mann neben „Kreuzzug ins Glück“, einem Namen, den übrigens auch die Punkband „Die Toten Hosen“ für ein 1990 erschienenes Album verwendeten, auch die Nutzernamen „Deutschlandfreund“ sowie „JF-Leser“ und „Jungefreiheitsfreund“.

Lediglich bei einigen wenigen Namen, die ihre rechtsextreme Gesinnung zum Beispiel durch die Verwendung von widerwärtigsten Holocaust-Bezugnahmen zur Schau trugen, hat Böhmermann mit seiner Einschätzung völlig recht. Welche Änderungen von diesen bei Wikipedia konkret vorgenommen wurden und was dies alles überhaupt noch mit der JUNGEN FREIHEIT zu tun haben soll, wie Böhmermann es suggerierte, verriet der vermeintliche Aufklärer nicht.

Worum es dem politischen Unterhaltungsmacher tatsächlich geht, zeigte sich dieser Tage in einem Gespräch zwischen ihm, Markus Lanz und Giovanni di Lorenzo für die Wochenzeitung Die Zeit. Di Lorenzo attestierte Böhmermann und seiner Show ein „journalistisch ambitioniertes Programm“ mit „gut recherchiertem Journalismus“, was ziemlich deutlich macht, welche Ansprüche der Zeit-Chefredakteur hier noch hat. Die besprochene Wikipedia-Sendung fand der Mitherausgeber des Berliner Tagesspiegel laut eigener Aussage jedenfalls „sehr anspruchsvoll“.

Die nichtgeeichte politische Feinwaage

Böhmermann zeigte sich seinen Medienkollegen gegenüber weniger wohlwollend. So verurteilte er gegenüber di Lorenzo die Zeit-Überschrift „Oder soll man es lassen?“ in der Berichterstattung zur sogenannten Seenotrettung. Weiter warf er ZDF-Moderator Markus Lanz vor, Akteuren eine Bühne zu bieten, deren Meinung „durchtränkt von Menschenfeindlichkeit“ sei. Starker Tobak! Eine Nummer kleiner ging wohl nicht? Lanz lade die „falschen“ Experten, wie die Virologen Alexander Kekulé und Hendrik Streeck, in seine Talkshow ein. „Wo man fachlich wirklich sagt, das ist keine gute Idee“, so Böhmermann. Auf die Frage von Markus Lanz, wer das sage, war die mehr als schlichte Antwort des „Clowns“ nur: „Die Leute, die Ahnung haben davon.“

Jan Böhmermann zeigt sich auf dem Podium als jemand, der glaubt, von allem Ahnung zu haben. Zumindest so viel, daß er immer einschätzen könne, wer recht und wer Unrecht hat. Bestimmte Meinungen, so die Haltung des zwangsfinanzierten Medienmarkt-Mannes mit der nichtgeeichten politischen Feinwaage, könne und solle man einfach nicht gegenüberstellen. Schon gar nicht als gleichwertig. Ansichten, die Böhmermann für falsch hält, hält er meist sogar gleich für so falsch, daß ihnen möglichst gar kein öffentliches Forum geboten werden sollte. Sei es im Fernsehen, in der Zeitung oder im Internet.

 

Entertainer und Satiriker Jan Böhmermann bei der „Zeit“-Veranstaltung „Das Triell: Jan Böhmermann, Markus Lanz und Giovanni di Lorenzo über Macht und Ohnmacht des politischen Journalismus“ im Hamburger Michel. Foto picture alliance/dpa | Georg Wendt
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