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Buchrezension: Strunk kehrt zum Zauberberg zurück

Buchrezension: Strunk kehrt zum Zauberberg zurück

Buchrezension: Strunk kehrt zum Zauberberg zurück

Der Schriftsteller Heinz Strunk schaut etwas melancholisch in die Kamera – vielleicht wurde ihm gerade klar, daß seine Version des Zauberberg nicht so der Renner ist
Der Schriftsteller Heinz Strunk schaut etwas melancholisch in die Kamera – vielleicht wurde ihm gerade klar, daß seine Version des Zauberberg nicht so der Renner ist
Der Schriftsteller Heinz Strunk (Archivbild). Foto: IMAGO / Future Image
Buchrezension
 

Strunk kehrt zum Zauberberg zurück

Ein zweiter Zauberberg? Das klingt gewagt, doch der deutsche Schriftsteller Heinz Strunk versucht sich daran. Mit mäßigem Erfolg.
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Das Thomas-Mann-Jubiläum hat einige Schatten vorausgeworfen. Ein bereits mehrfach geehrter Gegenwartsautor, Musiker und Schauspieler, Heinz Strunk, hat den 150. Geburtstag des Literaturnobelpreisträgers zum Anlaß genommen, den „Zauberberg“, der 2024 hundert Jahre alt wurde, weiterzuschreiben. Ein Fortsetzungsroman über die Epochen hinweg, auf den neuesten Stand gebracht, eine Hommage. Das Sujet des Klassikers ist zwar alt, gleichwohl aber nicht veraltet.

Gibt es jenseits der omnipräsenten Gedenktage viele Parallelen zwischen dem Zeitalter von Zauberberg 1 und dem, der mit Nummer „2“ betitelt ist? Auf den ersten Blick nur wenige. Pessimisten beklagen, man sei sich in den frühen 1910er Jahren nicht bewußt gewesen, in einer Vorkriegszeit zu leben. Heute wollten es ebenfalls viele nicht wahrhaben, daß die Gefahr besteht, erneut zu schlafwandeln und in einem möglichen nuklearen Inferno aufzuwachen.

Solche Anspielungen liegen Strunk fern, der nicht anstrebt, ein Gesellschaftspanorama zu skizzieren, das mit dem seines berühmten Vorbildes konkurrieren könnte. Aber die Gesellschaft ist seit Mann deutlich komplexer geworden. Es ist kaum mehr möglich, soziale Grundtendenzen in fiktiver Weise zwischen zwei Buchdeckeln darzustellen.

Hans Castorp heißt diesmal Jonas Heidbrink

Folglich vermißt mancher Leser zündende weltanschauliche Dispute wie die berühmten Wortgefechte zwischen Settembrini und Naphta, die Generationen von Mann-Liebhabern in ihren Bann gezogen haben. In Strunks Sanatorium doziert hingegen dessen Leiter einige belanglose Platitüden über das „Wesen der Krankheit“.

Hans Castorp heißt diesmal Jonas Heidbrink. Der Wiedergänger im 21. Jahrhundert zählt zur Generation Y. Mittlerweile Enddreißiger, hat er es schon Jahre nicht mehr nötig zu arbeiten. Er hat als ehemaliger Start-up-Unternehmer ausgesorgt.

Trotz dieser Rahmenbedingungen merkt er, daß mit seinem Leben etwas nicht in Ordnung ist – persönlich wie gesundheitlich. Angstpsychosen sind kaum mehr zu übersehen. So entschließt er sich, zwar nicht nach Davos, sondern in die Provinz Mecklenburgs zu fahren. In einer psychosomatischen Klinik wird er umsorgt, nicht außergewöhnlich bei einem Preis von 823 Euro pro Tag.

Die Erzählung ist durchwachsen mit Vulgaritäten

Der Alltag in der abgelegenen Nervenheilanstalt wäre wohl noch öder verlaufen mit den üblichen wiederkehrenden Routinen (Sauerstoff-, Blutdruck-, Temperatur- und Pulsmessung, dreimal täglich Essen, Gruppentherapie, Visiten, Anwendungen und so fort), hätte nicht eine frühe Untersuchung Heidbrinks ein fast niederschmetterndes Ergebnis mit sich gebracht: Beim Patienten wird ein Tumor diagnostiziert.

Die nötige Operation folgt auf dem Fuße. Jonas’ Sinnkrise verfliegt. Sie mußte sich fast zwangsläufig einstellen, nachdem der Protagonist praktisch nur noch in den Tag hineinlebte.

Das größte Problem des Lebens in der Klinik ist der Umgang mit der Zeit: Stunden, Tage und Wochen fließen ineinander, das Zeitgefühl kommt abhanden. Beschäftigungslose Nachmittage ziehen sich wie ein „Gefängnisflur“. Neben Trivialitäten (wie den seitenlangen Arztbriefen) ist die Erzählung durchwachsen mit Vulgaritäten aller Art: Man rülpst, furzt und stinkt, sogar „Pisse im Schwanz“ gefriert.

Im Zauberberg II fehlen die spritzigen Dialoge

Die Unterhaltungen mit anderen Patienten erscheinen eher als Anti-Inspiration. Die Lebensgeschichten, die man sich erzählt, wiederholen sich. Auch Gespräche mit den behandelnden Ärzten erweisen sich als weithin unerquicklich.

Daß Morbidität, ähnlich wie in Manns Lungensanatorium, allgegenwärtig ist, kann kaum verwundern. Heidbrink ist von vielem genervt: Mit wachsender Aufenthaltsdauer indessen wird ihm das zunächst Fremde vertraut. Freilich fehlen die spritzigen Dialoge, wie man sie aus Manns „Zauberberg“ kennt, etwa zwischen der attraktiven Russin Madame Clawdia Chauchat und Castorp.

Die Figuren, die in Strunks Erzählung vorkommen, sind kaum konturiert. Die Tischgespräche erschöpfen sich in sinnlosem Alltags-Gequassel.

Wer Mann wollte, bekommt Strunk

Ganz nebenbei macht ein Gerücht die Runde: Es steht nicht gut mit der Privatklinik. Ein Nebengebäude muß geschlossen werden, das Personal wird immer weniger. Der Niedergang ist nicht zu übersehen. Neben den persönlichen Abgründen, die in etlichen Dialogen zum Vorschein kommen, deutet sich der institutionelle Abwärtstrend an. Am Schluß, als die Klinik bereits geschlossen ist, zeigt sich, daß sie auf den Ex-Patienten Heidbrink ihren Reiz nicht verloren hat. Er schleicht um das Gebäude und trifft den ehemaligen Leiter.

Im letzten Teil will der Autor noch einmal die Spannung hochfahren: Pia und Eddy sind aus der Klinik verschwunden, ein Unglück kündigt sich an. Die Kriminalpolizei fahndet; sogar die Öffentlichkeit interessiert sich für diesen Fall. Einer der beiden Abkömmlinge taucht wieder auf. Was war mit den beiden? Der Leser erfährt es nicht, wie er auch sonst nur mit Mühe herauszufinden vermag, wie ein zeitgemäßer Remix eines klassischen Werkes aussehen kann.

Um den Rezipienten nicht ganz auf der Suche nach dem Vorläufer allein zu lassen, vergißt der Autor nicht, in den Quellennachweisen am Schluß des Textes auf jene Stellen hinzuweisen, die Bezüge zu Manns Zauberberg verraten. Fazit: Mancher Leser dürfte sich auf einen neuen Mann gefreut haben, bekommt aber Strunk. Das ist nicht nichts, aber vielleicht weniger als erwartet.

Aus der JF-Ausgabe 24/25. 

Der Schriftsteller Heinz Strunk (Archivbild). Foto: IMAGO / Future Image
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