„Deutschlands Studierende sind faul, lethargisch, handysüchtig, arrogant, überschätzen sich und haben keine Ahnung davon, was der Arbeitsmarkt von ihnen will.“ Dieses gleich zu Anfang stehende, überaus harsche Urteil untermauert Zümrüt Gülbay-Peischard, Professorin für Wirtschaftsrecht an der Hochschule Anhalt in Bernburg (Saale), an anderer Stelle ihres Buches „Akadämlich. Warum die angebliche Bildungselite unsere Zukunft verspielt“ mit der Feststellung, daß die Studierenden zwar mit allen Raffinessen der digitalen Welt vertraut, aber zu einem großen Teil total uninformiert und völlig unpolitisch sind.
Gülbay-Peischard – sie war bei ihrer Berufung 1998 die jüngste Juraprofessorin Deutschlands – beklagt zudem die sogenannte „Lernbulimie“, wobei das kurz vor den Prüfungen Gelernte sogleich wieder vergessen werde und nicht als Grundlage für die folgenden Semester diene. Die Beobachtung stimmt, aber sie ist sicher eine der betrüblichen Folgen der sogenannten Bologna-Reform, mit der modulare Studienabschnitte mit jeweils häppchenweise abzuprüfenden Lerninhalten auf die Spitze getrieben wurden. Prüfungen, die – wie die Verfasserin gegen Ende des Buches erwähnt – der Orientierung dienen sollen, werden so nicht erreicht.

Studentenbeschimpfung durch die Autorin ist ungerecht
Im weiteren Verlauf des Buches werden zahlreiche Beispiele, Begegnungen und Forderungen der Studenten beschrieben und aneinandergereiht, die das eingangs zusammengefaßte Verdikt stützen, zugleich aber den Eindruck vermitteln, daß sich es bei dem vorgelegten Buch über weite Teile um eine Studentenbeschimpfung handelt, die das Ergebnis frustrierender Erfahrungen der Autorin ist. Eine leicht spitze Bemerkung noch: Im Bestreben, gendergerecht zu formulieren, ohne Gendersternchen, großes Binnen-I oder Ähnliches zu verwenden, entgeht ihr, daß „Studierende“, wie von ihr beschrieben, größtenteils eben nicht „studieren“ – es sind halt Studenten.
Schieben wir die Ironie an die Seite. Wer als Lehrer oder Hochschullehrer nicht zu Schönfärberei und Bagatellisierung neigt, wird ohne Zweifel von ähnlichen und zuweilen buchstäblich haarsträubenden Begegnungen mit Schülern, Studenten und ihren Eltern berichten können. Hinzu tritt die Enttäuschung, vergeblich auf eine klare Unterstützung der (Hoch-)Schulleitungen zu hoffen.
Diese Erfahrung teilt auch Gülbay-Peischard, insofern ist ihre „Studentenbeschimpfung“ ungerecht, und sie trifft nicht die eigentlichen Ursachen. Das räumt sie im Grunde selbst ein, denn sie behandelt sowohl die verfehlte Erziehung im Elternhaus als auch eine verfehlte, oft ideologisch orientierte Bildungspolitik. Die mangelnde oder fehlgeleitete Erziehung, bei der das Kind als Lebensprojekt begriffen wird, dem keine Grenzen gesetzt werden, wird im Laufe der Ausführungen immer wieder mal angesprochen, wobei sich ältere Leser fragen mögen, ob das nicht zum Teil das Ergebnis der 68er-Bewegung ist, die unter anderem auf eine antiautoritäre Erziehung abzielte.
Bei Reformenvorschlägen wird’s unkonkret und knapp
Erst im vierzehnten der insgesamt fünfzehn Kapitel des Buches gibt Gülbay-Peischard einige Hinweise auf die politischen Ursachen und mögliche Korrekturvorschläge. Zum Teil kratzen diese Vorschläge jedoch lediglich an der Oberfläche, wie etwa die Empfehlung der Einführung von Langzeitstudiengebühren, wobei das gleichfalls befürwortete Instrument eines verpflichtenden Orientierungsstudiums gerade zu einer Verlängerung des Studiums führt.
Gülbay-Peischard rechtfertigt aber die angedachten zwei zusätzlichen Semester als eine „Horizonterweiterung über verschiedene Disziplinen hinweg“, die bei planmäßigem Bachelorabschluß die Studenten immer noch sehr jung in „verantwortungsvolle Funktionen selbst im mittleren Managementbereich eines Unternehmens“ entließe. Fraglich ist, ob nicht ein entsprechend ausgestaltetes Abitur mit verpflichtenden Berufspraktika in den meisten Fällen zu einer angemessenen Studienwahl führen sollte.
Da, wo es wirklich brisant wird, nämlich bei der ideologiegetriebenen Bildungspolitik, verstärkt durch den bundesdeutschen Föderalismus, verweilt die Verfasserin leider nur knapp zwei Seiten. Trotz der frustrierenden Feststellung, daß den Ländern nicht einmal die Koordinierung von Ferien gelingt, hofft sie auf notwendige „strukturelle Änderungen, die nicht immer Geld kosten“ müssen.
Probleme mit Studenten sind nur ein Symptom
Abschließend ist festzuhalten, daß nicht die angebliche Bildungselite unsere Zukunft verspielt; vielmehr hat uns eine seit Jahrzehnten anhaltende ideologiegetränkte (Bildungs-)Politik aufs Abstellgleis geführt. Das wird sich nur schwer umkehren lassen, denn die falschen Weichenstellungen sind schon in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts als Folge der vom damaligen Theologieprofessor Georg Picht ausgerufenen „Bildungskatastrophe“ getroffen worden.
Daran anknüpfend startete Mitte der Sechziger die „Initiative Student aufs Land“. Erwähnt sei nicht zuletzt Professor Andreas Schleicher (OECD), bekannt als Koordinator der PISA-Tests, der unentwegt für eine Angleichung der Akademikerquote an den Durchschnitt der OECD-Länder trommelte, ohne zu berücksichtigen, daß ein College-Abschluß dort nicht selten dem qualifizierten Abschluß einer handwerklichen Ausbildung in Deutschland entspricht.
Die undifferenzierte und undurchdachte Anhebung der Abiturientenquote und der Hochschulabschlüsse kommt nicht nur einer Diskriminierung der Ausbildungstiefe handwerklichen Könnens gleich, sie hat auch in erheblichem Maß zum Facharbeitermangel beigetragen. Wenn auch spät, so deutet dies Zümrüt Gülbay-Peischard wenigstens an, denn sie fordert mit Recht eine größere Anerkennung für die Ausbildungsberufe. Das ebenfalls empfohlene „soziale Jahr“ hat allerdings keinen spezifischen Hochschulbezug, auch wenn es sicherlich für den gesellschaftlichen Zusammenhang sowie für die Ausbildung von Empathie und Verantwortung nützlich ist, unabhängig davon, ob die jungen Leute danach ein Studium beginnen oder nicht.
Fazit: Gülbay-Peischard arbeitet nicht die eigentlichen Ursachen heraus; sie beschreibt lediglich, aber das sehr nachdrücklich, die eingetretenen Symptome einer Bildungskatastrophe, die freilich anderer Art ist als die von Picht seinerzeit an die Zukunftswand gemalte. Auf längst überfällige Korrekturen geht sie nur knapp und stichwortartig ein.
Prof. em. Dr. habil. Siegfried F. Franke, Jahrgang 1942, ausgebildeter Groß- und Außenhandelskaufmann, lehrte Wirtschaftspolitik in Hamburg, Stuttgart und Budapest.