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JF-Rezension: Wie Stauffenberg für den „Kampf gegen Rechts“ herhalten soll

JF-Rezension: Wie Stauffenberg für den „Kampf gegen Rechts“ herhalten soll

JF-Rezension: Wie Stauffenberg für den „Kampf gegen Rechts“ herhalten soll

Kasernen der Bundeswehr werden nach den Widerstandskämpfern gegen das Hitlerregime benannt: Blick auf das während einer Feierstunde enthüllte Namensschild der Bundeswehrkaserne in Sigmaringen, die nach dem Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg benannt wurde (Themenbild)
Kasernen der Bundeswehr werden nach den Widerstandskämpfern gegen das Hitlerregime benannt: Blick auf das während einer Feierstunde enthüllte Namensschild der Bundeswehrkaserne in Sigmaringen, die nach dem Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg benannt wurde (Themenbild)
Ein Bild der Graf-Stauffenberg-Kaserne der Bundeswehr aus dem Jahr 1961: Der militärische Widerstand gegen das NS-Regime sollte das „andere Deutschland“ verkörpern Foto: picture alliance / dpa | –
JF-Rezension
 

Wie Stauffenberg für den „Kampf gegen Rechts“ herhalten soll

Nicht für das „Heilige Deutschland“, sondern für die „Gemeinschaft mit Fremden“ seien die Helden des 20. Juli gestorben. Das behauptet zumindest die Journalistin Ruth Hoffmann in ihrem neuen Buch über das Erbe von Stauffenberg. Martin Linck rezensiert.
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Alibi ist ein Begriff aus der Kriminologie, der Lehre vom Verbrechen. Abgeleitet von der lateinischen Bedeutung für „anderswo“ meint Alibi den Nachweis persönlicher Abwesenheit vom Tatort zur Tatzeit. Wenn die für den Stern und Spiegel Geschichte schreibende Hamburger Journalistin Ruth Hoffmann Claus Schenk Graf von Stauffenberg und die Taten um den 20. Juli 1944 in ihrem jüngsten Buch zum „deutschen Alibi“ umdeutet, dann stellt sie schon im Titel klar, daß sie der langen Reihe der Biographien des Hitler-Attentäters keine neue hinzufügen will. Sondern sie sucht die Symbolfigur des deutschen Widerstands mit einem Begriff, den schon Hannah Arendt 1963 anbrachte, gegen die NS-Diktatur in den Zusammenhang eines Menschheitsverbrechens, des Völkermords an den europäischen Juden, zu rücken.

Ihre schlichte These dazu lautet, daß die erdrückende Mehrheit der Deutschen daran entweder aktiv beteiligt war oder den Holocaust durch Nichtstun ermöglichte. Dieser ersten Schuld folgte nach Kriegsende, wie Hoffmann, angelehnt an Ralph Giordanos Anklageschrift von 1987, kolportiert, die „zweite Schuld“ – die der Verdrängung, der unzureichenden Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit. Giordanos moralisches Verdikt ist durch Manfred Kittels Streitschrift „Die Legende von der zweiten Schuld“ (1993) zwar erheblich relativiert worden, aber Hoffmann ignoriert das. Sie geht von der kontrafaktischen Annahme aus, eine wie immer gestaltete „echte Bewältigung“ jenseits von Fragebogen, Spruchkammer und Entnazifizierung sei unmittelbar nach 1945 erreichbar gewesen und hätte die Weichen für den Weg in eine „andere“, irgendwie linkere, weniger „restaurative und autoritäre“ Republik gestellt.

Stauffenberg und Konsorten sollten das „andere Deutschland“ verkörpern

Ruth Hoffmann: Das deutsche Alibi. Mythos. Jetzt im JF-Buchdienst bestellen.

Das ist sicher „historisch irreal“, zeugt von geringer Vertrautheit mit den in den 1990ern aufgeblühten kulturwissenschaftlichen Theorien des kollektiven Gedächtnisses und verrät „eine nur flüchtige Bekanntschaft mit der menschlichen Psyche“, wie der Philosoph Hermann Lübbe schon 2007 mahnte. „Kurz nach dem Zivilisationsbruch von den daran überwiegend nur passiv Beteiligten, etwas anderes zu erwarten als Vergessen- und Verdrängenwollen“ sei lebensfremd (Hermann Lübbe, „Vom Parteigenossen zum Bundesbürger“, 2007). Da das Verdrängen des Judenmords aber ebensowenig rückstandslos gelang wie das der übrigen Verbrechen des Regimes, entstand ein Entlastungsbedürfnis vor allem bei seinen einstigen Funktionsträgern in Verwaltung, Justiz, Wehrmacht und Diplomatie.

Gefragt waren daher Kronzeugen für das „andere Deutschland“. Sie sollten das Alibi dafür liefern, daß nicht alle Mitglieder der jeweiligen Elitenkohorte zur Tatzeit am Tatort waren. Unter den Bedingungen des auch erinnerungspolitisch ausgefochtenen Kalten Krieges gingen dabei vom Militär die stärksten Impulse aus. Die Führung der 1955 gegründeten Bundeswehr trug entscheidend dazu bei, das Bild von den „Verrätern“ des 20. Juli, dem 1950 noch dreißig Prozent der Deutschen huldigten, in die Anerkennung ihrer Vorbildfunktion zu verwandeln und sie zugleich, wie es der 1897 geborene Generalinspekteur Adolf Heusinger 1959 tat, als die „vornehmsten Zeugen gegen die Kollektivschuld des deutschen Volkes“ zu empfehlen.

Die dadurch eingeleitete Verengung des Widerstands auf die Militäropposition und ihr nationalkonservatives ziviles Umfeld prägt dessen von Hoffmann bis in 1980er verfolgte Rezeptionsgeschichte, in der sich zentrale Prozesse westdeutscher Identitätsfindung und -stiftung spiegeln. Die von ihr wortreich bejammerte, heroisierende Konzentration auf Stauffenberg und seinen Anhang war allerdings nicht, wie sie insinuiert, das Resultat restaurativer Rachsucht, sondern trug der Tatsache Rechnung, daß sich nach 1933 das Gewicht der Opposition von der polizeilich zerschlagenen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung auf bürgerliche Kreise und auf das Offizierskorps verschob.

Nach Adenauer wurde auch Kommunisten gehuldigt

Seit der Adenauerära folgte die Rezeption mit ihrer Erinnerung also nur dieser Schwerpunktverlagerung, wenn sie jene ausschloß, die zum effektiven Kampf gegen die NS-Diktatur kaum etwas beigetragen hatten und deren Ziel letztlich die Errichtung einer anderen Gewaltherrschaft war, wie sie Stalins Marionetten in der DDR schufen.

Erst der 1983 gestartete großzügige Ausbau der Berliner „Gedenk- und Bildungsstätte Stauffenbergstraße“ zur „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ (GDW) mit einem neuen Ausstellungskonzept sollte die Wahrnehmung des Widerstands in seiner „ganzen Breite“ ermöglichen, von der Alltags­renitenz bis zur inneren und äußeren Emigration, von der „Roten Kapelle“ bis zum Nationalkomitee Freies Deutschland. Die vor allem durch die Aufwertung des kommunistischen Widerstands ausgelösten Grabenkämpfe rekonstruiert Hoffmann detailiert, ihre Empörung darüber einflechtend, daß es christdemokratische Ausstellungskritiker wagten, den nur vermeintlich „bösen Kommunismus“ mit dem Nationalsozialismus gleichzusetzen.

Dabei verschweigend, daß das neue „integrative Konzept“ des Ausstellungsleiters Peter Steinbach dem SED-SPD-„Dialogpapier“ von 1987 Tribut zollte. Einem „üblen Machwerk“ (Helmut Kohl), mit dem SPD-Genossen Unterschiede zwischen dem Bonner Rechtsstaat und der Pankower Parteidiktatur einebneten, um das schon bröckelnde SED-Regime „im Interesse des Friedens und der gemeinsamen Sicherheit“ zu stabilisieren.

Nun soll der Widerstand für eine „Gemeinschaft mit Fremden“ gekämpft haben

Obwohl – wie Hoffmann voll des Lobes einräumt – Steinbachs Konzept in der GDW bis heute perfekt umgesetzt worden sei, scheint ihr doch etwas zu fehlen: ein unter linken politischen Vorzeichen aktualisierbares Leitbild. Den Stoff für diese neuerlich sinnstiftende Instrumentalisierung des 20. Juli glaubt sie in der Endphase der Verschwörung zu entdecken. Als Stauffenberg, alle ideologischen Grenzen überspringend, die Kooperation mit dem Sozialdemokraten Julius Leber anbahnte, den er sich sogar als Reichskanzler anstelle des nationalkonservativen Carl Goerdeler wünschte, und auch Fühler zu den Resten des kommunistischen Untergrunds ausstreckte.

Ebenso habe der Kreisauer Kreis eine Vielzahl weltanschaulich und parteipolitisch unterschiedlicher Haltungen einbezogen. In dieser „Bereitschaft zu Toleranz und Kompromiß“ liege das wahre, „unausgesprochene Vermächtnis von demokratischer Qualität“, nicht nur der Militäropposition sondern „aller Menschen im Widerstand“. Mehr Geschichtsferne und Geschichtsfälschung als diese historiographisch dilettierende Absolventin der Henri-Nannen-Journalistenschule sich hier mit solchem Gewäsch leistet, sind kaum denkbar.

Und doch steckt ein rationales Kalkül darin. Nicht für das „Heilige Deutschland“, für Volk, Nation und Reich, wagte Stauffenberg nach dieser Lesart seine Tat, sondern für eine Allianz der ethnisch-kulturell nicht als Deutsche bestimmbaren „Toleranten“ und „Kompromißfähigen“, auf die jede durch Masseneinwanderung entstandene „Gemeinschaft mit Fremden“ (Jürgen Habermas) angewiesen ist.

Autorin folgt geschichtspolitischen Vorgaben

Ist dank Hoffmanns Klitterung endlich jeder nationale Bezug des konservativ motivierten und selbst des liberalen und sozialdemokratischen Widerstands getilgt oder minimiert, könnten „Rechte und Ultrarechte“ das Gedenken nicht mehr so provokativ „kapern“ wie am 20. Juli 2016, als die AfD-Landtagsfraktion einen Kranz mit der Aufschrift „Es lebe das heilige Deutschland“ am Denkmal Henning von Tresckows in Magdeburg niederlegte. Starb Stauffenberg für die Gesellschaft der Toleranten, dürften sich AfD, Neue Rechte und Identitäre Bewegung nicht länger auf sein leuchtendes, zum Widerstand inspirierendes Beispiel berufen in Zeiten, „in denen Not das Eigene bedroht“.

Damit nicht genug: Hoffmann bringt es fertig, sogar die seit 1848 historisch gewachsene Symbiose zwischen Nation und Demokratie aufzulösen, so daß bei ihr „rechte und demokratiefeindliche“ Positionen vertritt, wer das Recht des Souveräns der Verfassung verteidigt, über die Zusammensetzung des Staatsvolks selbst bestimmen zu dürfen. Die Autorin folgt damit geschichtspolitischen Vorgaben der GDW, so wie sie Johannes Tuchel, deren Leiter, mit seinen gesammelten GDW-Broschüren habilitierter Titularprofessor, jüngst in einer Rotarier-Postille vortrug. Widerstand, so tönt Tuchel dort, „steht für Rechtsstaat und Toleranz“. Und, um die Enthistorisierung des nationalkonservativen Widerstands noch skrupelloser systemkonform zu radikalisieren als Hoffmann, für „Integration“, gegen „Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung“.

JF 30/24 

Ein Bild der Graf-Stauffenberg-Kaserne der Bundeswehr aus dem Jahr 1961: Der militärische Widerstand gegen das NS-Regime sollte das „andere Deutschland“ verkörpern Foto: picture alliance / dpa | –
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