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Mattias Desmet: „Die Psychologie des Totalitarismus: Der Totalitarismus und die Seele des Menschen

Mattias Desmet: „Die Psychologie des Totalitarismus: Der Totalitarismus und die Seele des Menschen

Mattias Desmet: „Die Psychologie des Totalitarismus: Der Totalitarismus und die Seele des Menschen

In seinem neuen Buch beschäftigt sich der Psychologe Mattias Desmet mit dem Phänomen Totalitarismus Fotomontage: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andreas Stroh
In seinem neuen Buch beschäftigt sich der Psychologe Mattias Desmet mit dem Phänomen Totalitarismus Fotomontage: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andreas Stroh
In seinem neuen Buch beschäftigt sich der Psychologe Mattias Desmet mit dem Phänomen Totalitarismus Fotomontage: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andreas Stroh
Mattias Desmet: „Die Psychologie des Totalitarismus
 

Der Totalitarismus und die Seele des Menschen

Was machen Meinungskorridore, Medienkampagnen und Denkverbote mit dem Menschen? In seinem neuen Buch geht der Psychologe Mattias Desmet der Frage nach, wie sich Totalitarismus auf das Seelenleben auswirkt. Eine Rezension.
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Seit Jahren schon fordern Menschen im „Kampf gegen den Faschismus“ immer wieder selbst totalitäre Maßnahmen. Woher kommt diese verstörende Strukturblindheit, die die Verteidigung der Demokratie und zugleich die Einschränkung der Grundrechte fordert? Woher kommt der fanatische Haß auf diejenigen, die das kritisieren und von der Überzeugung einer (massenmedial suggerierten oder tatsächlichen) Mehrheit abweichen? Diesen und weiteren Fragen geht der belgische Psychologe Mattias Desmet in seinem Buch „Die Psychologie des Totalitarismus“ nach.

Die Etablierung totalitärer Kontrollmechanismen in der Corona-Zeit fiel nicht vom Himmel, dafür aber auf einen gut vorbereiteten Nährboden. Desmet beschreibt, wie sich in den modernen Industriestaaten bereits vor 2020 Entfremdung und Vereinsamung sowie Gefühle von Sinnlosigkeit, Angst, Depression und latenter Aggression ausgebreitet hatten. Großbritannien zum Beispiel hat seit 2018 ein „Einsamkeitsministerium“, dessen Aufgabe es sein soll, Millionen Menschen aus ihrer sozialen Isolation herauszuholen. Die sogenannten „sozialen Medien“ – ein zutiefst zynischer Begriff – führen bei einer wachsenden Zahl von Menschen nicht zu einem Gefühl der Verbundenheit, sondern zu dem genauen Gegenteil bis hin zu heftigen negativen Affekten. Desmet erkennt hierin Hannah Arendts „atomisierte Subjekte“, die den elementaren Bestandteil des totalitären Staates bilden.

Totalitarismus unterscheidet sich kaum von Hypnose

Obwohl diese alarmierenden Probleme zunehmend erkannt und thematisiert werden, scheint der Sog der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu stark zu sein, um die Richtung zu ändern. Auf einen solchen Nährboden also fiel der Ausbruch der angeblichen Jahrhundertpandemie. Allen Widersprüchen des Narrativs zum Trotz war bei vielen eine hohe Bereitschaft vorhanden, sich auf das installierte Angstobjekt einzulassen und einen „heroischen Kampf“ zu führen, wie Desmet ausführt. Denn plötzlich war da ein „Feind“, eine Aufgabe, die nicht nur national, sondern erstmals sogar global bewältigt werden mußte. Die dadurch erzeugten Gefühle von Zusammengehörigkeit, Orientierung und Sinn haben in vielen Menschen etwas angesprochen, das vorher schmerzlich vermißt wurde.

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Sind diese Voraussetzungen gegeben, kann es zu einem Phänomen kommen, das in der Psychologie Massenbildung genannt wird. Eine solche medial gesteuerte Formierung einer großen Anzahl von Menschen unterscheidet sich grundsätzlich nicht von einer Hypnose: In der Wahrnehmung der auf ein bestimmtes Objekt ausgerichteten Masse schrumpft die Wirklichkeit auf einen künstlich verkleinerten Ausschnitt zusammen, so wie der Proband des Hypnotiseurs nur noch das Pendel vor seinen Augen sieht und alles andere ausblendet.

Aufklärung hat die Naturwissenschaft zur Religion erhoben

Das Objekt der Angst – Terrorismus, Klimawandel, Corona, Rußland, neuerdings Außerirdische – ist grundsätzlich austauschbar, die ablaufenden Mechanismen sind strukturgleich. Die Solidarität der formierten Masse gilt dabei nur dem sich konform verhaltenden Kollektiv, Abweichler und Kritiker werden als Bedrohung für das labile Gemeinschaftsgefühl wahrgenommen und müssen deshalb bekämpft werden. Dadurch eröffnet sich sogar eine willkommene Gelegenheit, aufgestaute Triebe und Affekte abzuführen. Es liegt auf der Hand, daß dies die Massenbildung gefährlich macht. Was Desmet ausführt, ist auch deshalb so überzeugend, weil wir es in den vergangenen Jahren mit eigenen Augen beobachten konnten.

Entscheidend dabei ist, daß die präsentierte Problemlösung unter dem Paradigma der „Wissenschaftlichkeit“ steht. Durch das Zeitalter der Aufklärung rückte die mechanistisch-materialistische Naturwissenschaft nach und nach an die Stelle der Religion und bestimmt heute sicherlich das Denken der meisten Menschen, nicht nur im Westen. Dieses anfänglich durchaus aufrichtige Bemühen der Forscher, die Welt vollständig zu vermessen und materialistisch zu erklären, gerann im Laufe des 19. Jahrhunderts zu einer Ideologie. Die grundsätzliche Offenheit des Geistes, die echte Wissenschaft ausmacht, ging verloren.

„Eine unwiderstehliche Illusion von Objektivität“

Wenn es heute heißt, Sinn und Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen seien „wissenschaftlich bewiesen“, sind sehr viele Menschen bereit, Folge zu leisten, ohne die Entscheidungen zu hinterfragen. In der Corona-Zeit wurde besonders deutlich, wie mit scheinbar objektiven Zahlen und Statistiken „eine unwiderstehliche Illusion von Objektivität“ (Desmet) erzeugt wird. Mit Verweis auf Hannah Arendt resümiert Desmet, daß Totalitarismus „die logische Verlängerung der allgemeinen Wissenschaftsbesessenheit, des Glaubens an ein künstlich geschaffenes Paradies“ sei.

Konsequenterweise sieht er die Grundlage für diese Entwicklung in der kaum hinterfragten Herrschaft des mechanistisch-materialistischen Weltbildes und setzt sich ausführlich mit dessen Wahrheitsanspruch auseinander. Es mag einige Leser überraschen, wenn Desmet mit Werner Heisenberg und Max Planck darauf hinweist, daß dieses Weltbild wissenschaftlich überholt ist – aber er hat recht. Heisenberg zufolge war es nicht erst die Quantenphysik, die das scheinbar so überzeugende Weltbild erschütterte. Die erste Irritation trat sogar noch im 19. Jahrhundert mit der Entwicklung der Elektrizitätslehre auf, weil hier „nicht die Materie, sondern das Kraftfeld als das eigentlich Wirkende gelten mußte“ (Heisenberg: „Das Naturbild der heutigen Physik“).

Buch ist Deutung der Gegenwart

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollzog sich dann die wissenschaftliche Revolution, die, wie es der Heisenberg-Schüler Hans-Peter Dürr formulierte, „uns zu einem grundsätzlich anderen Verständnis der Wirklichkeit gezwungen hat“. Je weiter man auf die subatomare Ebene vorstieß, desto deutlicher wurde, daß sich diese sogenannten Elementarteilchen überhaupt nicht so verhalten, wie man es von „Materie“ erwarten würde. In einem Vortrag aus dem Jahr 2006 zeigte Dürr sich verwundert, daß „die inzwischen verstrichenen 80 Jahre nicht ausgereicht haben, die daraus hervorgegangene neue Weltsicht einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln“.

Indem Desmet solche Betrachtungen einbezieht, versucht er eine Perspektive zu entwerfen, wie die derzeitige Rutschbahn in den Totalitarismus doch noch verlassen werden kann. Denn das Durchdringen zu einem neuen Denken, zu einer Wissenschaft des Lebendigen, die Mensch, Natur und Kosmos nicht als geist- und seelenlose Maschinen auffaßt, entzöge dem entmenschlichenden Kontrollwahn des mechanistisch-materialistischen Weltbildes den Nährboden. Dieser Ansatz macht Desmets Buch „Die Psychologie des Totalitarismus“ zu der vielleicht ungewöhnlichsten und interessantesten Deutung der gesellschaftlichen Phänomene unserer Gegenwart.

In seinem neuen Buch beschäftigt sich der Psychologe Mattias Desmet mit dem Phänomen Totalitarismus Fotomontage: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Andreas Stroh
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