Auf das Erscheinen dieses Buches hatte man im politischen Berlin hingefiebert. Was war da nicht für eine Geheimniskrämerei im Vorfeld betrieben worden: Vorab-Exemplare an die Presse? Fehlanzeige. Erst zum Verkaufsstart kursierten die Fahnen von Angela Merkels Autobiographie als PDF für Journalisten.
Ausnahmen gab es offenbar für einen sehr kleinen, ausgewählten Kreis. Ein Auszug erschien exklusiv in der Zeit. Um das Durchsickern zu verhindern, seien die Computer, auf denen die ehemalige Kanzlerin gemeinsam mit ihrer Büroleiterin Beate Baumann – ohne Ghostwriter – ihr Buch verfaßt hat, komplett vom Internet abgeschnitten gewesen, heißt es.
Jetzt führt „Freiheit“, so der Titel der Autobiographie von Altbundeskanzlerin Angela Merkel, die Spiegel-Bestsellerliste an. Freiheit? Schon das Wort in Verbindung mit der langjährigen deutschen Regierungschefin dürfte für Diskussionen sorgen. Denn längst nicht jeder kann mit diesem mächtigen Wort Angela Merkel assoziieren.
Nunja, es ist merkelmäßig
Akribisch arbeitet sie darin Detail für Detail ihres Lebens ab. Auf eine Art, die stark an ihren Regierungsstil erinnert: unaufgeregt, verwissenschaftlicht, frei von Emotionen. Selbst enthaltene Pointen sind irgendwie – nun ja – merkelmäßig halt. Das Buch ist geprägt von Passagen wie dieser: „Der Unterricht begann um halb acht. Ich stand gegen 6.15 Uhr auf, das Frühstück bestand nur aus einer Stulle in der Hand und einer Tasse Tee oder Muckefuck.“
Und so geht es dann auch weiter: „Nach dem Mittagessen erledigte ich entweder Schulaufgaben oder hatte Freizeit. Um achtzehn Uhr gab es Abendessen, zumeist Stullen, manchmal aber auch Grießbrei mit Kirschen oder Blaubeeren. Man ist beim Lesen geneigt, den Satz hinzuzufügen: „Morgens geht die Sonne auf und abends geht sie wieder unter.“ Insofern ist das Buch wahrhaftig hundert Prozent authentisch. Der Leser spürt: Da saß wirklich die Altkanzlerin dran, die da über 740 Seiten aus ihrem Leben erzählt. Die jedes Detail frei von epischen Höhepunkten bis zur Erschöpfung aufdröselt. Nur: Es bleiben eben gerade jene Widersprüche ihres Lebens in der DDR offen, zu denen sie auch bereits als amtierende Kanzlerin keine weiteren Stellungnahmen abgeben wollte.
Merkel distanziert sich vom roten Vater
Und so liegt der tiefere Sinn ihres Werkes in genau dem, was Merkel über sich selbst bereits in der Einleitung schreibt: die Deutung über ihre Handlungen als Kanzlerin, ihre Bewertung in der Geschichte Deutschlands und der Welt nicht allein anderen zu überlassen. Sie will da ein gewichtiges Wort mitreden, ihre Interpretation der Dinge in die Zeitgeschichte mit einfließen lassen.
Zwar erfährt der Leser schon, daß ihr Vater „im politischen Spektrum ohnehin eher links zu verorten“ sei, die Befreiungstheologie in Lateinamerika befürwortete und auch „der rote Kasner genannt wurde“. Darüber jedoch, daß Kasner ihr politisches Weltbild maßgeblich geprägt hatte, der Christlichen Friedenskonferenz (CFK) – einer gegen den Westen arbeitenden kommunistischen Tarnorganisation – sowie dem SED-nahen Weißenseer Arbeitskreis angehörte, verliert das Buch kein Wort.
Auch daß Kasner sich in der DDR als Erfinder der Formel „Kirche im Sozialismus“ bezeichnet hatte, bleibt unerwähnt. Stattdessen ist Merkel in dem Buch stets bemüht, eine politische Distanz zu ihrem Vater herzustellen.
Auf DDR-Vorwürfe wird nicht eingegangen
Gleiches gilt für ihren Ziehvater Lothar de Maizière. Er war es, der maßgeblichen Anteil am politischen Aufstieg der späteren Kanzlerin hatte. Ein Anteil, der in dem Buch jedoch mit keiner Silbe Erwähnung findet. Ihre Funktion in der FDJ an der Akademie der Wissenschaften der DDR beschreibt sie als „FDJ-Kultursekretär“. Auf die von gleich mehreren ihrer einstigen Weggefährten erhobene Aussage, sie sei FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda gewesen, geht sie ebenfalls mit keinem Wort ein.
In vielen anderen Pfarrersfamilien zu jener Zeit in der DDR galt die ungeschriebene Regel: Die eigenen Kinder treten nicht in die FDJ ein. Für diese Haltung zahlte man oft den hohen Preis, nicht zum Studium zugelassen zu werden.
Ausdrücklich von Maizière gewünschte Kandidatur
Unklar bleibt auch die Rolle der promovierten Physikerin Merkel beim Demokratischen Aufbruch (DA) zur Wendezeit. Im Buch bleibt sie dabei, erst im Dezember 1989 zur neuen Partei hinzugestoßen zu sein. Darauf, daß der damalige DA-Aktivist Stefan Dachsel sie bereits im Oktober 1989 bei dem später als Informeller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes enttarnten Wolfgang Schnur angetroffen hatte, geht sie nicht ein.
Auch nicht auf das knapp ein Jahr später stattfindende Treffen im Hobbykeller des DA-Mitbegründers Udo Timm am Vorabend ihrer Nominierung zur Bundestagskandidatin. Der mögliche Hintergrund: Laut ihres damaligen Gegenkandidaten Hans-Günther Zemke war Timm eine Stasi-Vergangenheit nachgesagt worden. Und noch etwas findet sich nicht in Merkels „Freiheit“-Biographie wieder: daß ihre Bundestagskandidatur für den Rügener Wahlkreis damals laut Aussage des seinerzeitigen CDU-Kreisvorsitzenden Friedhelm Wagner der „ausdrückliche Wunsch“ von Lothar de Maizière gewesen sei.