Eigentlich sind die Deutschen zum Großteil ein christlich unwissendes Volk geworden. Fragen des Glaubens, der Dogmatik oder gar des Kirchenrechts – nur wenige können hier kompetente Gesprächspartner sein. Dennoch verwandelte sich die deutsche Politik- und Presselandschaft Anfang des Jahres in ein regelrechtes Hochgericht über die katholische Kirche.
„Es geht darum, daß von seiten des Papstes und des Vatikans sehr eindeutig klargestellt wird, daß es hier keine Leugnung geben kann“, rüffelte die Physikerin und Bundeskanzlerin Angela Merkel Papst Benedikt XVI. Und der Musikologe und Chef der Springer-Presse, Mathias Döpfner, wußte von einem „fürchterlichen Makel“ zu berichten, mit dem das geistliche Oberhaupt der katholischen Christenheit sein Amt befleckt habe. Was war geschehen?
Im Grunde war kaum einer in der Lage, angemessen beurteilen zu können, was es mit der Rücknahme des Exkommunikationsdekrets gegen die vier Bischöfe der Bruderschaft St. Pius X. auf sich hatte. Tatsächlich dürfte dies für die lautesten Tugendwächter auch wohl eher ein willkommener Anlaß gewesen sein, im Lichte des rechten Glaubens die eigene Eitelkeit zu illuminieren.
Für den Rest hat der Theologe für Dogmatik und Dogmengeschichte, Wolfgang Beinert, nun das Buch „Vatikan und Pius-Brüder“ herausgegeben. Beiträge von dreizehn Autoren sind hier versammelt, welche die Abfolge der Ereignisse bis zur verhängnisvollen Pressekampagne, den kirchenrechtlichen Status der Piusbruderschaft, deren Weltbild und dergleichen mehr behandeln. Großer Raum wird dabei dem zweiten Vatikanischen Konzil und seiner Auslegung durch den heutigen Papst eingeräumt.
Benedikt XVI. betrachtet das Konzil als notwendigen Schritt zur inneren Erneuerung der Kirche; die damit zwangsläufig verbundenen Brüche haben allerdings aus dem bewußten, christlichen Leben als ewiger Wahrheit heraus zu erfolgen, nicht aus einer Annahme des weltlichen „Diktates des Relativismus“. „Die Zeit, in der man sich unbestimmt auf den Geist des Konzils berufen konnte, in der man vom Konzil nur das akzeptierte, was sich einem weltoffenen Katholizismus leicht einspannen läßt, ist mit dem Pontifikat Benedikts XVI. vorbei“, resümiert Helmut Hoping.
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Sachliche Auseinandersetzung gewünscht
In diesem Bewußtsein einer Sammlung und Konzentration ist der Gnadenerlaß zu verstehen, mit dem die vier Pius-Brüder wieder in den Schoß der katholischen Kirche aufgenommen wurden. Der Dialog mit Rom wird nun zeigen, welchen Status die katholischen Traditionalisten außer- oder innerhalb der Papstkirche einnehmen werden. Anläßlich der Priesterweihe am 27. Juni hatte der Regens des Priesterseminars in Zaitzkofen, Pater Stefan Frey, noch einmal den „ehrlichen und aufrichtigen Willen, der Kirche zu dienen“, bekräftigt. „Nur eine sachliche Auseinandersetzung, getragen von gegenseitiger Achtung, kann der Kirche zum Segen gereichen.“
Daß dieser Weg für beide Seiten noch lang und beschwerlich sein wird, davon zeugt auch der vorliegende Sammelband, den man trotz vorherrschender Sachlichkeit doch tendenziös nennen muß. Befremdlich wirkt beispielsweise, daß weder einer der Beiträge, noch ein Dokument aus dem Anhang aus der Feder eines Pius-Bruders stammt. Dies erinnert unangenehm an Ausgrenzungen „politischer Korrektheit“, die man aus anderen Lebensbereichen sattsam kennt. Man mag Beinert als einem überzeugten Verfechter des Konzils seine Antipathien nachsehen, sein Buch als ein offenes Forum zu verstehen, auf dem „unterschiedliche Meinungen zum Besten gegeben werden“, ist jedoch verfehlt.
So ist der Leser dazu angehalten, wesentliche Standpunkte der Pius-Bruderschaft aus deren eigenen Veröffentlichungen zu rezipieren. Eine angemessene Wiedergabe ihrer Konzilskritik und anderer Vorbehalte wird er hier jedenfalls nicht finden. Einen reaktionären Dogmatismus der Traditionalisten möchte Sekten-Experte Thomas Rigl beispielsweise mit folgender Aussage des deutschen Distriktoberen Pater Franz Schmidberger belegen: „Die Priesterbruderschaft steht für die Absolutheit und ewige Unveränderlichkeit der Wahrheit, steht für das Dogma der Allerheiligsten Dreifaltigkeit und für den Alleinvertretungsanspruch Jesu Christi.“
Offensichtlich bedeutet dies im Umkehrschluß, daß Rigl ernsthaft eine „Trutzburgmentalität“ all denjenigen bescheinigt, die an die Wahrheit der Worte glauben: „Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ Man muß noch nicht einmal Katholik sein, sondern ganz einfach Christ, um sich über diese Einschätzung einigermaßen zu wundern. Gewiß kann man die Pius-Bruderschaft kritisieren; doch einige strittige Punkte und vor allem die Art ihrer Darlegung lassen leicht einen Verdacht aufkommen: den Verdacht, daß in Wirklichkeit sich so manch einer recht behaglich im Werterelativismus eingerichtet hat.
Es sei für ihn schwer nachvollziehbar, schreibt der Basler Bischof Kurt Koch, wenn man aufgrund der Aufhebung der Exkommunikation „für Meinungsvielfalt und Dialog innerhalb der Kirche“ demonstriere und „zugleich gegenüber der Pius-Bruderschaft jeden Dialog verweigert“. Doch genau so verhalten sich Menschen, die so im Ungefähren dahinleben möchten und entsprechend ablehnend auf diejenigen reagieren, die ihre Religion wirklich ernst nehmen. Und dadurch unangenehm aufstoßend an folgende Worte erinnern: „Weil du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich dich aus meinem Mund ausspeien.“
Wolfgang Beinert (Hrsg.): Vatikan und Pius-Brüder. Anatomie einer Krise. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2009, broschiert, 258 Seiten, 14,95 Euro
JF 31/09