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Das rote Pferd der Apokalypse bleibt immer dasselbe

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Das rote Pferd der Apokalypse bleibt immer dasselbe

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Cato, Palmer, Exklusiv

Wenn an einer deutschen Universität ein Sonderforschungsbereich (SFB) mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingerichtet wird, erwartet diese, regelmäßig Ergebnisse in Gestalt von entsprechenden wissenschaftlichen Publikationen zu sehen. Dies trifft auch für den in Tübingen angesiedelten SFB „Kriegserfahrung. Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit“ zu, der seine Ergebnisse in der Schöningh-Reihe „Krieg in der Geschichte“ zu publizieren pflegt. Ebenso macht es sich gut, wenn ein SFB zum Ausweis seiner interdisziplinären Kompetenz auch auswärtige und in anderen Fächern beheimatete Wissenschaftler hinzuzieht, um eine möglichst breite Anwendbarkeit und Relevanz seiner Ergebnisse zu demonstrieren.

Diese einleitende Bemerkung soll nicht die Qualität des hier zu rezensierenden Sammelbandes in Frage stellen, aber doch auf seine Grenzen und die Gründe dafür verweisen. Seine Beiträge haben vor allem den Zweck zu zeigen, daß ein erfahrungsgeschichtlicher Ansatz, der sich mit der Wahrnehmung und öffentliche Deutung von Kriegen befaßt, auch einen wesentlichen Beitrag zur Diskussion über die Typologie des Krieges liefern kann. Entsprechend handelt es sich nicht um ein – gar im engeren Sinne militärwissenschaftliches – Handbuch mit Artikeln zu den einzelnen Formen des Krieges, auch wenn einige Beträge ganz bestimmten Typen wie dem Kabinetts- oder dem Religionskrieg gewidmet sind. Es finden sich zudem auch nur zwei Beiträge, die sich systematisch mit den Problemen der Typenbildung des Krieges befassen: Der Berliner Politologe Sven Chojnacki referiert über „alte und neue Typologien in der (politikwissenschaftlichen) Kriegsforschung“ und der Regensburger Mediävist Hans-Henning Kortüm über die „Möglichkeit und Grenzen einer Typusbildung von ‚Krieg‘ im allgemeinen und von ‚mittelalterlichem Krieg‘ im besonderen“. Insgesamt bietet der Sammelband aber eher Streiflichter auf das Thema, als eine homogene und zusammenhängende Darstellung.

Reibungspunkt die „Neuen Kriege“

Einziger gemeinsamer Reibungspunkt ist der von Herfried Münkler entwickelte Begriff der „Neuen Kriege“. Eine ganze Reihe von Autoren weist aus der Perspektive ihres jeweiligen Arbeitsgebietes darauf hin, daß der Typus des weitgehend privatisierten, sich ökonomisch selbst nährenden Krieges so neu nicht ist, sondern eine uralte, periodisch immer wiederkehrende Erscheinung. Die Benennung als „Neu“ durch Münkler erscheint so als unglücklich, zumal dieser selbst darauf hingewiesen hatte, daß diese „neuen“ Kriege Kriegsformen aus der Zeit vor 1648 wieder haben aufleben lassen.

Jenseits dieser mehr semantischen als inhaltlichen Kritik am derzeitigen deutschen Großmeister der Kriegstheorie bieten die 22 Beiträge des Sammelbandes eine Fülle von kleineren, nicht nur historischen Einsichten in die stets wandelbare und sich stets wandelnde Natur des Krieges und die Art und Weise seiner Wahrnehmung. In diesem Zusammenhang ist eine kunstgeschichtliche Darstellung zur Ikonographie des Krieges (Annegret Jürgens-Kirchhoff: „Der Beitrag der Schlachtenmalerei zur Typologie des Krieges“) ebenso unvermeidlich wie im vorliegenden Fall durchaus lesenswert. Dies trifft auch auf den Beitrag des Münchener Zoologen Gerhard Neuweilers über „Kriege im Tierreich“ zu, die nicht nur bei Ameisen, sondern auch bei einem der nächsten Verwandten des Menschen, den Schimpansen, regelmäßig beobachtet werden können.

Leider kappt Neuweiler selbst alle Chancen zur interdisziplinären Anschlußfähigkeit, wenn er mit dem Hinweis auf die menschliche Reflexionsfähigkeit am Ende feststellt, daß wir Menschen „uns nicht auf Schimpansen (…) berufen können, um unsere Gewaltbereitschaft zu rechtfertigen“. Dies trifft sicherlich zu. Die interessante Frage ist jedoch, woher die menschliche Gewaltbereitschaft stammt, die doch häufig so leicht abrufbar ist – ob sie etwa ein altes stammesgeschichtliches Erbe und nicht bloß die Folge bestimmter Vergesellschaftungsformen ist.

Je nachdem, wie diese Frage beantwortet wird, können sich gerade im Hinblick auf das Ziel der Kriegsverhütung sehr unterschiedliche politische Konsequenzen ergeben.

Keine „Experimentierstätten des Vernichtungskrieges“

Besonders bemerkenswert ist allerdings, daß sich einige Autoren daran wagen, publizitätsmächtigen Forschungstrends zu widersprechen, die „unheilvolle“ Traditionslinien möglichst weit in die deutsche oder europäische Geschichte zurückverfolgen zu können glauben. So widerlegt Michael Hochgeschwender in überzeugender Weise die These, daß die Kolonialkriege der europäischen Mächte vor 1914 „Experimentierstätten des Vernichtungskrieges“ gewesen seien. Dietmar Langewiesche und Nikolaus Buschmann arbeiten hingegen heraus, das der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 zwar als „Volkskrieg“ imaginiert wurde, im wesentlichen aber ein gehegter Staatenkrieg im klassischen Stil und kein direkter Vorläufer des totalen und teilweise enthegten Krieges des 20. Jahrhunderts war.

Besonders weit vor wagt sich der Berliner Osteuropahistoriker Jürgen Baberowski, der in seiner Skizze zu den „Kriegen in staatsfernen Räumen. Rußland und die Sowjetunion 1905 und 1950“ zentrale Thesen der offiziellen Darstellungen zum deutsch-sowjetischen Krieg von 1941 bis 1945 unterläuft. Baberowski, Autor eines Buches über den „Roten Terror“ (München 2004), läßt zwar weder am terroristisch-gewaltsamen Charakter des stalinistischen Regimes noch am mörderischen des nationalsozialistischen Zweifel aufkommen. Aber nicht der Zusammenstoß dieser beiden Regime als solche war die Ursache der Wandlung des Krieges in Osteuropa zum Vernichtungskrieg, sondern die besondere Eigenart des Raumes, in dem dies geschah. Die Gebiete östlich des Bugs stellten in der ersten Jahrhunderthälfte jenseits der großen Städte staatsferne Räume dar, in denen der „Krieg aller gegen alle“ (Thomas Hobbes) endemisch war und nur durch die starke Präsens staatlichen Militärs in Zaum gehalten werden konnte. Wurde diese Präsens fadenscheinig, weil die staatlichen Armeen wie 1914/18 und 1941/45 in einem großen Krieg gegen auswärtige Feinde benötigt wurden, entstand rasch eine neo-hobbesianische Situation, in der für alle ethnischen und politischen Gruppen der einzige effektive Weg zur eigenen Sicherheit darin bestand, seine Gegner zu vernichten, bevor sie einen selbst vernichten konnten.

Auflösung des Staatenkrieges

Der 1941 als Konflikt zwischen staatlichen Armeen begonnene deutsch-sowjetische Krieg verwandelte sich deshalb „sofort in einen mörderischen Vernichtungskrieg nicht nur deshalb, weil die Ideologien der kriegführenden Regime die Vernichtung imaginierter Feinde auf ihre Fahnen geschrieben hatten, sondern weil er sich aus der Dynamik des Gewaltgeschehens in den staatsfernen Räumen ergab“. Im Hinterland der Fronten waren die regulären Streitkräfte schon bald nur noch eine von vielen gegeneinander Krieg führenden Parteien und ebenso wie diese darauf angewiesen, sich durch Raub und Terror die allernötigsten Ressourcen zu verschaffen. Auch die deutschen Truppen verwandelten sich „in marodierende Haufen, die Bauern und Stadtbewohner ausraubten, nicht weil sie von der Vernichtung slawischer Untermenschen träumten, sondern weil sich ihnen keine anderen Alternativen mehr boten“.

So bleibt zwar auch bei Baberowski vom Bild der sauberen Wehrmacht nicht viel übrig, aber ebensowenig vom Mythos der historischen Singularität des deutschen Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion. Für ihn setzten nicht die „Ideologien und Homogenitätsphantasien“ von Nationalsozialisten und Bolschewisten „den Vernichtungskrieg in Gang“, sondern es war der „staatsferne Gewaltraum“ in Osteuropa, der das „Ermöglichungsterrain“ eines solchen Infernos bildete. Sein Fazit läßt nichts zu wünschen übrig: „Deshalb ist der Vernichtungskrieg eine Möglichkeit für alle Menschen zu jeder Zeit.“

Dietrich Beyrau, Michael Hochgeschwender, Dieter Langewiesche (Hrsg.): Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart (Krieg in der Geschichte Bd. 37). Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn 2007, gebunden, 522 Seiten, 39,90 Euro

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