Schwarz. Mächtig. Und unglaublich liebenswert. Wem beim Anblick einer dampfenden, schnaufenden, Asche und Rauch speienden Dampflokomotive nicht das Herz aufgeht, der hat auch nie an Sagen und Ritter geglaubt. Jetzt im Frühjahr kommen die stählernen Schlachtrösser aus ihren riesigen Schuppen gestampft. Eines davon ist „Else“. Nun gut, ihr Name ist überaus bodenständig, aber sie entstammt der berühmten Baureihe 52. Heute steht die imponierende Dame in Berlin – im einzig noch existierenden Berliner Bahnbetriebswerk Schöneweide.
„Sie ist eine Kriegslokomotive“, sagt Holger Bajohra, Pressesprecher des Vereins Dampflokfreunde Berlin, dem die Lok gehört. „Sie ist eine von 7.000, gebaut 1944 in Potsdam-Babelsberg, bei Orenstein und Koppel.“ Die 52-Reihe war eigentlich zu der Zeit ein Rückschritt in der Dampflok-Technologie. Doch das hatte einen Grund. „Sie wurde für den Einsatz im Rußlandfeldzug gebaut, dafür sollten die Loks robust sein“, erklärt Bajohra. „Zum Glück kam Else dort nie zum Einsatz, sie war erstaunlich kontinuierlich um Berlin herum im Einsatz“, meint der Jurist. Dann schmunzelt er und sagt: „Im Grund hat sie nur wenig von der Welt gesehen.“
Da steht sie nun, dieser Technologierückschritt: Eine130 Tonnen schwere schnaufende Schönheit. Die Jahre sieht man ihr nicht an. Kein Wunder, 190 Mitglieder kümmern sich um Elses Wohlergehen. Kein billiges Unterfangen. „Ein alle acht Jahre fälliger TÜV bei solch einer Lok kann bis zu einer Million Euro kosten“, so Bajohra.
Das Frühlingsfest in Schöneweide hat begonnen. Die JUNGE FREIHEIT ist vor Ort. Gäste stolpern über Schotter, andere können gar nicht genug fotografieren. Kinder rennen durch knapp 100 Jahre alte Waggons und spielen Schaffner. Mittendrin: Else. Schwarz und blitzeblank glänzt sie an diesem Wochenende bei strahlendem Sonnenschein auf den Schienen und wartet schnaufend auf Fahrgäste. 23 Meter ist die Lok lang, 1600 PS stark, 10 Tonnen Kohle und 30 Kubikmeter Wasser faßt sie und schnauft dann mit 80 Stundenkilometern als Nostalgiezug um Berlin.
Else bleibt!
Zwei Mal im Jahr feiern die Dampflokfreunde ein riesiges Fest auf dem letzten noch erhaltenen der ehemals über 20 Bahnbetriebswerke in Berlin. 1866 wurde die Bahnstrecke Berlin – Cottbus und weiter nach Schlesien eröffnet. Die Industrialisierung und der zunehmende Güter- und Personenverkehr auf der Schiene machte den Bau des Bahnbetriebswerkes (Bw) sieben Kilometer außerhalb der Hauptstadt – auf der schönen Weide – damals zwingend. 1906 wurde das Bw mit Drehscheibe und Ringlokschuppen, Wasserturm, Bekohlungsturm, Verwaltungsgebäuden und Bahnsteig gebaut.
Heute steht das vier Hektar große Gelände mit Gleisen, Wasserturm, Werkstätten, Verwaltungsgebäuden und natürlich den Stars, eben den Loks, unter Denkmalschutz. Zu verdanken ist das einigen engagierten Reichsbahnern, die sich 1991 mit Händen und Füßen gesträubt hatten, Else und auch das Werk herzugeben. Zuerst wurde es angemietet, dann gepachtet und 2018 gekauft. Heute ist das Bahnbetriebswerk ein lebendiges Technikmuseum.
Hier stehen nicht nur vier vereinseigene Dampfloks. Das Bahnbetriebswerk wurde eine Art Übungsplatz für angehende Lokomotivführer. Hier bilden unter anderem die Deutsche Bahn, die ODEG und weitere Eisenbahnunternehmen ihre Lokführer bei den ersten Schritten zum Lokführer aus: Anfahren, Bremsen, Kuppeln. „Das ist hier gefahrlos zu üben, weil es keinen weiteren Bahnverkehr gibt“, sagt Bajohra.
„Das Publikum hat sich verjüngt“
15 Sonderfahrten wollen die Dampflokfreunde dieses Jahr noch anbieten. Welche Anziehungskraft die alten Schönheiten auf das Publikum ausüben – und hier gerade auf die Jugend –, hat sich auch bei der DB herumgesprochen. Beim Dampflokfest wird mit Jobangeboten verschiedener Eisenbahnunternehmen geworben – alle suchen Lokführer und finden angehende Kollegen hier. „Das Alter des Publikums hat sich in den letzten Jahren auffällig verjüngt“, sagt Bajohra. „Mindestens ein Drittel der Besucher sind Kinder und Jugendliche.“
Else rollt nach 10 Stunden Hin- und Herfahren um 18 Uhr auf die Drehscheibe, die sich wie von Geisterhand bewegt und die über hundert Tonnen schwere Lok eine Pirouette drehen läßt. Direkt vor ein Schuppentor. Dort wird sie verschwinden und verschnaufen. Bis morgens um sechs Uhr. Dann wird sie befeuert, geölt und aufgedampft, damit Else um 10 Uhr auf Betriebstemperatur ist — tschuldigung, natürlich genug Druck auf dem Kessel hat — so wie schon seit 79 Jahren: 16 Bar. Die Gäste warten schon vor der Tür.