Champagner gilt als mindestens so urfranzösisch wie Baguette und Brigitte Bardot. Doch wer denkt, Champagner und deutscher Schaumwein, das ist wie Paris und Paderborn, der kennt die Geschichte des prickelnden Nobelgetränks nicht – und die ist eine deutsch-französische.
Um 1800 waren die perligen Weine aus Frankreichs nördlichstem Weinanbaugebiet kaum bekannt, denn auf die Idee, das regionale Produkt als Luxusartikel zu vermarkten, war noch niemand gekommen. Das änderte sich, als junge Fachkräfte aus dem Osten die Rheinseite wechselten, um drüben bessere Karrierechancen und persönliche Entfaltungsmöglichkeiten zu suchen: Wilhelm Deutz, Peter Geldermann, Johann-Joseph Krug und die Gebrüder Mumm aus dem Rheinland, Joseph Bollinger aus Württemberg sowie Ludwig Heidsieck aus Westfalen. Andere große deutsche Häusernamen sind Taittinger, Koch und Roederer.
Damals war der Begriff „Champagner“ gemäß der französischen Region an der Marne noch unüblich, man sprach von „vin mousseux“. Dieser war naturtrüb, denn beim Umfüllen vom Gärungsgefäß in die Flasche wäre zuviel Kohlensäure verlorengegangen, so daß die Hefe nicht herausgefiltert wurde und ein gewisser Mönch namens Dom Pérignon die Flaschengärung zuvor entscheidend weiterentwickelt hatte. Dann erfand ein gewisser Anton Müller aus Schwaben das Rüttelverfahren, und die Deutschen kamen wie gerufen, um ein technisches Problem zu lösen: Manchmal explodierten sämtliche Flaschen eines Jahrgangs im Keller, weil die Flaschen dem Druck der zweiten Gärung nicht standhielten.
Die Deutschen waren perfekte Vertriebsagenten
1867 schrieb der amerikanische Konsul Robert Tomes in Reims: „Es gibt hier tatsächlich kein einziges Champagnerhaus mehr, das nicht mehr oder weniger von einem Deutschen geleitet wird. Und wenn sich zufälligerweise doch ein Franzose an der Spitze befindet, hat er bestimmt einen Deutschen Partner. Ein Haus wurde von einem Franzosen geführt. Während meines Aufenthaltes ging es bankrott und alle waren sich einig, es habe daran gelegen, daß ihm ein Deutscher fehlte.“
Das hatte gute Gründe: Deutschland war der erste Exportmarkt für das edle Prickelgetränk, und die deutschen Manager waren dank ihrer Verbindungen in die alte Heimat die perfekten Vertriebsagenten. Nicht wenige ehrgeizige deutsche Mitarbeiter heirateten die Tochter ihres französischen Chefs und wurden Gesellschafter – oder gründeten ihre eigene Kellerei. Georg Christian von Kessler vom Neckar hatte das Schaumwein-Handwerk bei Veuve Clicquot gelernt und kehrte nach einem Streit mit der Inhaberin zurück ins Schwabenland, wo er 1826 das erste „Sect-Haus“ auf deutschem Boden gründete: G.C. Kessler & Co. Das Unternehmen besteht noch heute.
Die aufkommende gehobene Restaurantkultur und ein solventes Großbürgertum ebnen nach 1815 dem Champagner – nur Proleten sagen „Schampus“ – den Weg zu festlichen Anlässen aller Art. Vom süßen Dessertwein hat sich die flüssige Spezialität da inzwischen zu einem erfrischend-trockenen Getränk entwickelt, das zu vielen Speisen paßt und ein Klassiker als Aperitif ist.
Neue Begehrlichkeiten kommen aus Fernost
1870 produzieren die Winzer der Champagne 18 Millionen Flaschen. Dabei ist die Region aus den fünf Departements Marne, Aube, Aisne, Haute-Marne und Seine-et-Marne nur 34.000 Hektar groß, nicht einmal vier Prozent der Anbaufläche Frankreichs. 1927 wurde diese räumliche Begrenzung sogar im Gesetz verankert. Doch die Nachfrage kennt nur eine Richtung: steil in die Höhe. Besonders Chinesen kaufen die Statussymbole in Flaschenformat. 2022 lag die Produktion bei etwa 326 Millionen Flaschen.
So haben die pragmatischen Franzosen 2008 entschieden, 40 Nachbargemeinden kurzerhand in die Champagne einzugemeinden. 2017 kamen noch weitere hinzu, die ihre Weinerzeugnisse nun auch offiziell Champagner nennen dürfen. Deutsche Winzer dürfen das nicht, das wurde nach dem Ersten Weltkrieg im Versailler Diktat von den Franzosen eigens im „Champagnerparagraphen“ verfügt.
Immerhin dürfen sich die Hersteller moussierender Weine diesseits des Rheins „méthode champenoise“ oder „traditionelle Flaschengärung“ aufs Etikett schreiben. Dafür werden auch hier die Flaschen in den Rüttelpulten noch von Hand bewegt, zum Beispiel bei Kessler, wo der Sekt wie schon vor 180 Jahren für 30 bis 60 Monate in den mittelalterlichen Felsenkellern unter dem Firmengebäude reift. Inzwischen stehen die Nachfahren der deutschen Pioniere in der Champagne angesichts des asiatischen Hungers nach Firmenübernahmen und fruchtbaren Weinbergen unter wirtschaftlichem Druck. Aber das ist eine andere Geschichte.