STUTTGART. Mit dem Aufruf zu einer großen Kirchenreform ist in Stuttgart der 102. Deutsche Katholikentag zu Ende gegangen. In der am Sonntag zum Abschluß gefeierten heiligen Messe mit etwa 6.000 Teilnehmern sagte die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, der „Synodale Weg, auf dem die Kirche in Deutschland unterwegs“ sei, müsse „spürbare Veränderungen erwirken“. Dieser bereits seit drei Jahren andauernde Prozeß unter Beteiligung von Laien will unter Mißachtung verbindlicher Lehre die „sexuelle Befreiung“ der sechziger Jahre für die Kirche nachvollziehen und Weiheämter Frauen zugänglich machen.
Zudem rief Stetter-Karp zum Kampf gegen Rechts auf. Die Gesellschaft im Inneren brauche „neues Engagement für Demokratie und Gemeinsinn“ und müsse Verschwörungstheorien und Rechtsextremismus entschiedener bekämpfen.
In rund 1.500 Veranstaltungen hatten sich 20.000 Dauer- und 7.000 Tagesgäste seit vergangenen Mittwoch neben Glaubensfragen mit der Prävention sexuellen Mißbrauchs beschäftigt. Zudem war die Auseinandersetzung mit dem Ukraine-Krieg und dessen Folgen ein Schwerpunkt des katholischen Laientreffens. Die Verhüllung des Reiterstandbilds Kaiser Wilhelms I. aus Anlaß der Großveranstaltung hatte im Vorfeld für Aufsehen gesorgt.
Bischof distanziert sich von Bibeltext
Während der Freiluft-Messe am Sonntag distanzierte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, vom Bibeltext der vom Meßbuch vorgesehenen 1. Lesung zur Steinigung des hl. Stephanus. Nach der Apostelgeschichte 7,55-60 wurde der Diakon Stephanus von einer aufgebrachten jüdischen Volksmenge unter Aufsicht des Saulus vor den Toren Jerusalems gesteinigt. „Als Kirche setzen wir uns mit allen Kräften gegen jede Art von Antisemitismus ein“, rief der Bischof von Limburg unter dem spontanen Beifall der Anwesenden. „Hier tragen wir Christen eine schwere Bürde.“ Was das Christentum über die Jahrhunderte „durch Abwertung und Verleumdung an Schuld auf sich geladen“ habe, sei „schier unermeßlich“. Er sei froh, „daß wir heute von und mit unseren Geschwistern im Glauben versöhnt sprechen können“.
In der hl. Messe erhoben auch Laien das Wort. Unverheiratet zusammenlebende, „queer-orientierte“ Paare forderten eine „Kirche ohne Angst“ und die Segnung ihrer homosexuellen Verbindung.
Mit rund 27.000 Präsenzgästen war die Zahl der Teilnehmer bei diesem Katholikentag deutlich niedriger als in der Vergangenheit. Beim Katholikentag in Münster 2018, dem letzten vor der Corona-Epidemie, nahmen an die 90.000 Menschen teil.
„Modernismus ein Potemkinsches Dorf“
Angesichts der vergleichsweise wenigen Teilnehmer sagte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), die Zahlen machten ihn „nachdenklich“. Er zeigte sich offen für mehr gemeinsame Events von evangelischer und katholischer Kirche. Wichtig sei auch, wieder mehr junge Menschen anzusprechen, die „stärker in digitalen Formaten“ zu Hause seien.
Im Vorfeld des Katholikentags kritisierte der Distriktsobere der lehramtstreuen katholischen Priesterbruderschaft St. Pius X. (FSSPX), Pater Stefan Pfluger, die „Genderideologie, Ökumenismus und Interreligion als neue Formen der ‘Völksfrömmigkeit’“, wie sie zum „Selbstverständnis“ des Treffens gehörten. Der deutsche Teil der katholischen Kirche sei tatsächlich bereits im Schisma, in der Kirchenspaltung.
„Wenn die christlichen Ideen schwinden, treten Ideologien an ihren Platz“, analysierte er im Interview mit dem Mitteilungsblatt der FSSPX. Die geringen Teilnehmerzahlen sprächen eine deutliche Sprache. „Der Modernismus mag die Zustimmung der kirchenfernen und kirchenfeindlichen Kräfte haben, aber im Grunde ist er ist ein Potemkinsches Dorf.“ Pater Pfluger zitierte den Chefredakteur der Zeitschrift Cato, Ingo Langner, der kürzlich gegenüber der Kirchlichen Umschau gesagt hatte: „Nehmt ihnen die Kirchensteuer weg, dann ist der Spuk bald zu Ende.“ (ru)