Allein die Sicherheitsauflagen vor und im Gericht haben es in sich: Nur einige wenige akkreditierte Journalisten dürfen Film- und Fotoaufnahmen machen. Wegen „der besonderen Gefährdungslage“ dürfen keine Nahaufnahmen der Verfahrensbeteiligten gemacht werden. Aufnahmen außerhalb des Saales sind untersagt. Keine Interviews innerhalb des Sitzungssaales. „Sämtlichen Pressevertretern wird es untersagt, Gegenstände welcher Art auch immer, insbesondere Schreibwerkzeug oder ähnliches, an Personen im Zuschauerraum zu übergeben.“ Schuhe müssen ausgezogen werden, damit die Fußsohlen mit Detektoren geprüft werden können. Mit 20minütiger Verspätung beginnt im Saal B 129 des Landgerichts Berlin die Verhandlung gegen die linksradikale Hausbesetzerszene.
„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil.“ Um 9.23 Uhr verkündet der Vorsitzende Richter der 13. Zivilkammer seine Entscheidung: Die Liebigstraße 34 muß geräumt werden! Vorläufiges Ende eines jahrelangen Streits um ein von linksradikalen Frauen besetztes Haus in Berlin Friedrichshain.
Was für ein Affentheater! Seit Jahren zieht sich die Räumung des selbsternannten „anarcha queer-feministischen“ Hausprojekts „Liebig34“ hin. In der abgewohnten Bruchbude in der Liebig-Ecke Rigaer Straße, die einst sicher ein schmuckes Gründerzeithaus war, nisteten sich vor 30 Jahren Linksradikale ein. Bei den heute rund 30 queer-Feministinnen hört sich das in ihrer Selbstdarstellung so an: „Das Projekt ‘Liebig34’ ist ein Haus von Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-binären und Transpersonen (FLINT) und organisiert sich ganz ohne cis-Männer. Die ‘Liebig34’ wurde 1990 besetzt und hat eine lange Geschichte als Ort der Selbstorganisierung und des Widerstandes.“
„Liebig34“ hat nichts mit Alteingesessenen gemeinsam
Na, so widerständig waren die Netzstrumpfträgerinnen dann doch nicht. Vor rund zwölf Jahren vereinbarten sie einen Gewerbemietvertrag über eine Laufzeit von zehn Jahren mit dem Hauseigentümer. Der lief 2018 aus. Doch damit waren die Antifa-Dämchen noch lange nicht aus dem Haus. „Unsere Antwort darauf ist, auf das Ende des Pachtvertrags zu scheißen und hier zu bleiben. Damit zeigen wir uns solidarisch mit den Besetzungen der letzten Jahre, wollen aktiv einen rebellischen Kiez gestalten und Eigentum und Miete hinterfragen.“ Das tun sie nun schon über anderthalb Jahre.
Die Einstellung, Eigentum sei Diebstahl und die Zahlung von Nutzungsentgelte zu vernachlässigen, teilen Hauseigentümer naturgemäß nicht. Auch Immobilienmogul Gijora Padovicz ist da keine Ausnahme. Zumal das besetzte Haus in der Liebigstraße sicherlich ein Filetstückchen ist: 1.237 Quadratmeter Wohnfläche und ein 524 Quadratmeter großes Grundstück. Darüber hinaus liegt das Haus in bester Lage: Friedrichshain ist ein früheres Arbeiterviertel. Heute leben hier Hipster, die immer mehr Wohnraum verlangen und dafür exorbitante Preise zahlen.
Sicher ist, daß die Neureichen die alten Mieter verdrängen. Aus schönen, gewachsenen, funktionierenden Stadtvierteln, werden klinisch saubere, tote Straßen. Sicher ist allerdings auch, die Hausbesetzer haben mit den Alteingesessenen so gar nichts gemein. Es sind meist zugezogene Kinder wohlhabender Eltern, die sich in den Häusern der Rigaer Straße und Liebigstraße einnisten und die Nachbarschaft terrorisieren.
Hausbesetzer sollen noch rund 20.000 Euro zahlen
Immobilienunternehmer Padovicz beantragte einen Räumungstitel für sein Haus. Erster Versuch am 15. November 2019 am Landgericht: Bombendrohung, Farbbeutelanschlag, hysterisch kreischende halbnackte Antifa-Lesben im Gerichtssaal – die Verhandlung wurde vertagt. Zweiter Versuch am 13. Dezember, der Termin wurde laut Gericht auf Wunsch des Vereins Liebigstraße 34 verschoben. Dritter Versuch am 30. Januar 2020: Vertagung, weil der Anwalt des Vereins einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter stellt. Anwaltliche Begründung: Der Richter verwende in Schriftsätzen nur die maskuline Form. Vierter Versuch am 30. April 2020, der Termin wurde verschoben, weil er zu nahe an der Walpurgisnacht und dem 1. Mai läge, man befürchtete Ausschreitungen.
In der Nacht zum Dienstag griffen Linksextreme in Frohnau das Privathaus eines Mitarbeiters des Immobilieninvestors mit Steinen an. In der Berliner Zeitung wird das Opfer mit den Worten zitiert: „Was mir Angst macht, ist, daß Leute, die so etwas tun, vor Gewalt nicht zurückschrecken und keine Rücksicht auf körperliche Unversehrtheit nehmen.“ In der Nacht auf Mittwoch vor der aktuellen Verhandlung, veranstalteten die Linksextremisten per Twitter eine Art Schnitzeljagd mit Bengalo-Feuern in Friedrichshain. Beim fünften Verhandlungsversuch wurde die Räumung endlich beschlossen. Und nicht nur das: Die Kammer entschied darüber hinaus, daß die Damen aus der Liebigstraße noch 18.772, 30 Euro an den Eigentümer zu erstatten hätten. Die Summe erklärt sich aus den aufgelaufenen Kosten aus der Hausbesetzung, denn gezahlt hatten die Damen natürlich keinen Cent an Pacht und sie müssen auch 1.171,67 Euro an vorgerichtlichen Anwaltskosten übernehmen.
Die Hausbesetzer kommen nicht zum Prozeß
Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Der Anwalt der Hausbesetzer, Moritz Heusinger, sagte nach dem Urteil: „Ich werde beantragen, die Vollziehung der Räumung auszusetzen.“ Und dann überrascht er damit: „Das Gerichtsurteil richtet sich an den falschen Verein.“ Denn, so Anwalt Heusinger, der Räumungstitel richte sich gegen den Verein „Raduga“, der sei aber nicht der aktuelle Halter des Hauses, sondern habe 2018 das Haus untervermietet an den Verein „Mittendrin“. Das habe er auch vorher dem Gericht mitgeteilt.
In der Liebigstraße demonstrierten derweil die Hausbesetzer unter Polizeiaufsicht. Zum Gericht waren sie gar nicht gekommen.