Sylvia-Yvonne Kaufmann kommt aus dem Schwärmen nicht heraus. „Die Bürgerinnen und Bürger füllen das Gemeinwesen mit Leben“, sagt die SPD-Europaabgeordnete. Das müßten auch die „Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger“ erkennen. Kaufmann lächelt.
Die 59jährige ist Laudatorin für die „Europapreise 2013“ des EU-Lobbyvereins „Europa-Union Deutschland“, die am Dienstag in Berlin vergeben wurden. Ausgezeichnet werden Personen, Projekte und Verbände, die sich besonders um die europäische Integration verdient gemacht haben. Ginge es danach, müßte sich „Europa-Union Deutschland“ selbst einen Preis verleihen. Da das aber schlecht geht, wird als erstes der Deutschlandfunk ausgezeichnet.
Der mit Rundfunkgebühren finanzierte Sender erhält die „Europalilie 2013“ für seine „ausgewogene Berichterstattung“. Kaufmann wiederholt die Worte, damit jeder der knapp 80 Besucher auch versteht, worum es geht. „Ausgewogene Berichterstattung.“ Der Deutschlandfunk baue Vorurteile ab und zeichne ein „vielfältiges Bild“ der Europäischen Union, sagt Kaufmann.
„Wir wollen ein Europa der Chancen schildern“
Die so geehrten, nach eigenem Verständnis unabhängigen Journalisten, bedanken sich brav für die Auszeichnung. „Die Renationalisierung macht uns zu schaffen“, sagt Redakteur Thilo Kößler. Natürlich, ergänzt er schnell, ginge es nicht darum, „EU-Kritik beiseite zu schieben“. Besonders, wenn die Staatengemeinschaft außenpolitisch enttäusche und keine klare Stimme vertrete, schaue der Deutschlandfunk schonmal genauer hin. „Wir wollen ein Europa der Chancen schildern.“ Der Preis, sagt Kößler freudestrahlend, sei deswegen „Belohnung, Ansporn und Ermutigung“. Die Zuhörer sind begeistert.
Der nächste Preisträger ist der Verein „Gemeinsam leben und lernen in Europa“. Der setzt sich nach eigenen Angaben für die Beseitigung „jeder Diskriminierung und Ungleichheit in Gesellschaft, Bildung und Arbeitswelt“ ein. Das Motto: „Chancengleichheit für alle“. Geschäftsführerin Perdita Wingerter nutzt ihre Dankesrede vor allem für eine Klage über die schlechte Finanzierung der eigenen Organisation. Es gehe doch schließlich um „Vielfalt und Toleranz“. Betroffenheit macht sich breit.
Für bessere Stimmung sorgt da schon die Auszeichnung des Online-Magazins „Treffpunkt Europa“. Endlich eine Gruppe Preisträger unter 50. Gleich drei Redakteure des Portals sind gekommen. Auf Facebook habe das Magazin schon mehr als 800 Fans, sagt einer der Redakteure und sieht das wohl als herausragende Leistung. Einzige Bedingung zur Mitarbeit: eine grundsätzlich „pro-europäische Einstellung“.
Endlich Broder
Könnte also Henryk M. Broder für das Magazin schreiben? Der Publizist erhält auch einen Preis. Keine „Europalilie“ sondern eine „Europadistel“. Eine Negativauszeichnung für die „unsachliche und polemische Europakritik“ in seinem Buch „Die letzten Tage Europas“. Broder wäre nicht Broder, wenn er den Schmähpreis nicht persönlich annehmen würde.
Wer im Publikum gehofft hatte, der Welt-Journalist ließe sich vorführen, wird bitter enttäuscht. Schon die vom Grünen-Bundestagsabgeordneten Manuel Sarrazin gehaltene Laudatio auf Broder macht klar, wer den Ton angibt. Konziliant sagt Sarrazin: „Auch Sie sagen, die Grundidee der EU sei gut“. Broder erwidert trocken, das sei beim Sozialismus auch so gewesen.
Als der 68jährige dann seine Rede hält, wird es still im Raum. „Als ich die Begründung für die Preisverleihung gelesen habe, dachte ich, ich werde von der FDJ ausgezeichnet“. Das aufkommende Lachen klingt gequält. „Keiner von Ihnen kann mir eine Vorschrift zeigen, daß Kritik unpolemisch und sachlich sein muß.“ Stille. Der Publizist wischt sich den Schweiß von der Stirn. „Die Befreiung vom Faschismus gelingt erst, wenn wir überall Klimaanlagen haben“, sagt er und lächelt verschmitzt.
„Ich kann kein Ei legen, aber ich weiß, wann eines faul ist.“
Auf den Vorwurf angesprochen, warum er die EU nur kritisiere, sagt Broder: „Ich kann kein Ei legen, aber ich weiß, wann eines faul ist.“ Kritik müsse „immer auch zersetzend sein“. Die Europäische Union habe einen neuen Adel hervorgebracht, legt der Autor nach. „Die EU versucht Probleme zu lösen, die es ohne ihre Existenz gar nicht geben würde.“ Die EU-Wahlen sind für ihn eine Farce. „800.000 Stimmen für einen deutschen Sitz im Parlament und 80.000 für einen luxemburgischen.“ Broder schüttelt den Kopf.
Das Grundproblem sei, daß viele EU-Funktionäre Europa mit der EU verwechseln. Genüßlich wartet er auf eine Reaktion, um den zunehmend unruhigen Zuhörern dann einen weiteren Stoß zu verpassen. „Europa hat viel überstanden, es wird auch die EU überstehen.“
Damit wäre eigentlich alles gesagt. Eigentlich. Nun betritt Elmar Brok die Bühne. Ein Mann, der gefühlt länger im EU-Parlament sitzt, als es diese Institution überhaupt gibt. Dem CDU-Politiker, der mit reichlicher Verspätung eintrifft, ist deutlich anzumerken, wem er besonders gerne zuhört: sich selbst.
Ein Eklat mit Ansage
„Die EU hat das jahrhundertelange Schlachten der Nationalstaaten beendet.“ Brok blickt ins Publikum. Er erzählt stolz, daß ihn schon drei designierte EU-Kommissare besucht hätten, um seine Unterstützung bei der anstehenden Wahl zu erbitten. Brok hält sich für mächtig. „Die EU hätte Hitler 1938 gestoppt.“ Brok meint es ernst. „Deutschland hat Risiken von mehr als 400 Milliarden Euro aufgenommen, um anderen aus der Patsche zu helfen.“
Dann kommt der Christdemokrat auf die Schweiz zu sprechen, und ihr „fremdenfeindliches“ Referendum zur Einschränkung der Freizügigkeit. „Die Schweiz hat ihre Unabhängigkeit längst verloren“, betont er triumphierend. Der Beweis: Erst vor kurzem sei eine eidgenössische Delegation bei ihm gewesen, um über die Umsetzung des Referendums zu sprechen. Wer Brok zuhört, merkt, wie wichtig er das Thema und vor allem sich selbst nimmt.
In Broder brodelt es schon seit der ersten Minute der Rede. Nun kann er nicht mehr schweigen. „Den Schweizern Rassismus vorzuwerfen ist Demagogie der übelsten Sorte. Das ist schamlos von Ihnen“, ruft er. Brok blickt hilflos in den Saal. „Ich rede mit dem Publikum, nicht mit ihnen“, sagt er unbeholfen. Broder kontert: „Sie betreiben hier einen Postkolonialismus.“ Der Publizist ist sichtlich aufgebracht. „Sie erzählen Märchen.“ Damit war dann auch wirklich alles gesagt.