Anzeige
Anzeige

Musikgeschichte: Thielemann über Strauss – Ein Komponist der Überfrauen?

Musikgeschichte: Thielemann über Strauss – Ein Komponist der Überfrauen?

Musikgeschichte: Thielemann über Strauss – Ein Komponist der Überfrauen?

Auf einem Gemälde von 1929 sitzt der Komponist Richard Strauss an einem Dirigentenpult und schwingt den Taktstock. Laut dem Berliner Dirigenten Christian Thielemann war Strauss ein Komponist der "Überfrauen"
Auf einem Gemälde von 1929 sitzt der Komponist Richard Strauss an einem Dirigentenpult und schwingt den Taktstock. Laut dem Berliner Dirigenten Christian Thielemann war Strauss ein Komponist der "Überfrauen"
Der Komponist Richard Strauss am Dirigentenpult, Gemälde von 1929. Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Musikgeschichte
 

Thielemann über Strauss – Ein Komponist der Überfrauen?

In einem aktuellen Buch über den Komponisten Richard Strauss wirft der Berliner Dirigent Christian Thielemann eine faszinierende These auf: War der berühmte Musiker ein „Frauenkomponist“?
Anzeige

All seinen Strauss-Sängerinnen hat der Star-Dirigent Christian Thielemann die Biographie über Richard Strauss gewidmet. Und diese Geste der Zuwendung, so glaubt man nach der Lektüre des Buches zu wissen, hätte dem großen deutschen Komponisten gefallen. „Die menschliche Stimme meint bei Richard Strauss – und das ist ein entscheidender Schritt über Wagner hinaus – fast immer die weibliche Stimme“, liest man und weiter heißt es: „Strauss ist ein Frauenkomponist (…) Bei Strauss darf die Frau Protagonistin sein, ist nicht länger nur Medium, Muse oder ‘schöne Leiche’ …“.

Ein Kapitel in dem 316 Seiten starken, informativen und unterhaltsamen Buch trägt den bezeichnenden Titel „Die Emanzipation der Überfrau: Wie Strauss die Oper ins 20. Jahrhundert führt“ und behandelt expliziert dieses Thema.

Ob der Komponist als Feminist bezeichnet werden kann, fragt Thielemann keck. Ausgerechnet jener Richard Strauss, der Arthur Schopenhauer gelesen und Friedrich Nietzsche bewundert hat? Thielemann beantwortet seine Frage wie folgt: „Ich würde es so formulieren: Bei Wagner ist das Weibliche das ‘Andere’, all die Sentas, Elisabeths, Elsas, Brünnhilden und Kundrys sind dazu auserkoren, den so oder so außerirdischen Helden zu retten, ihn zu erlösen; bei Strauss ist das Weibliche das Eigentliche.“

Die „Frau ohne Schatten“ liebte Strauss am meisten

Die Strauss-Frauen sind Überfrauen, stellt der Autor klipp und klar fest. Sie leben selbstbestimmt, vergleichbar mit den Frauen der Mozart-Opern. „Strauss überträgt die Mozart-Frau ins 20. Jahrhundert.“

Und Salome aus der gleichnamigen Oper, über die der verliebte Hauptmann Narraboth singt: „Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht“ und die sich ihrerseits an dem abgeschlagenen Haupt des vergeblich von ihr begehrten Jochanaan mit den Worten labt: „Ich will mit meinen Zähnen hineinbeißen, wie man in eine reife Frucht beißen mag“, ist im Kosmos des Richard Strauss, laut Thielemann, die Überfrau aller Überfrauen. Die beiden männlichen Protagonisten, Herodes und Herodias, tituliert er kurzum als versoffene, korrupte Schießbudenfiguren.

Von allen Strauss-Opern, so gesteht der jetzige Generalmusikdirektor der Staatsoper unter den Linden, liebt er aber die „Frau ohne Schatten“ am meisten. „Von der ‘Frau ohne Schatten’ kann ich buchstäblich nicht genug kriegen (…) Ich kann richtig loslegen, so daß das Dach abhebt. Und ich kann den Orchesterklang in die schillerndsten, quecksilbrigsten Einzelheiten zerlegen, bis nur noch Pianissimo-Fragmente auf dem Grabenboden klackern.“ Und er fragt rein rhetorisch: „Wie konnte ein gemütlicher, nett aussehender, mittelalter Herr bloß eine so extreme Musik komponieren?“

Die Zusammenarbeit mit von Hoffmannsthal war nicht immer einfach

Trotzt seiner Liebe zur „Frau ohne Schatten“ bezeichnet Thielemann „Elektra“ als die aufregendste aller Strauss-Opern. Er nennt sie einen echten Schocker. Sie ist auch die erste Oper, bei der Strauss mit Hugo von Hofmannsthal zusammengearbeitet hat. Nachdem der Komponist 1903 in Berlin eine Aufführung des Theaterstücks „Elektra“ gesehen hatte, regte er eine Zusammenarbeit an, und Hugo von Hofmannstal verfaßte bereitwillig das Libretto.

Fortan wird der Dichter und Dramatiker, so Thielemann, Strauss „Lebenslibrettist“. Insgesamt verfassen die beiden sechs Opern zusammen. Strauss war der Theaterpraktiker und Musiker und Hofmannsthal der komplizierte Wiener Intellektuelle, deren Zusammenarbeit nicht immer einfach, aber erfolgreich war.

„Für den Dirigenten“, so schreibt Thielemann aus eigener Erfahrung, „ist ‘Elektra’ nicht nur wegen des riesigen polyphonen sich verästelnden Orchesters schwer, sondern auch, wie es gleich richtig schwer losgeht, mit der Mägdeszene. Fünf Mägde und eine Aufseherin, die sich gegenseitig ins Wort fallen, wie häßliche Walküren, nur schneller, mit grauenvollen Taktwechseln und Tempoverschiebungen!

Thielemann führte sich in der Strauss-Villa wohl

Allemal jedoch, so erfährt man weiter, sei es für jeden Dirigenten ein großes Vergnügen, eine Strauss-Partitur zu studieren. „Weil man auf den ersten Blick sieht, wie viele kleine Töne es gibt, die man am Ende gar nicht hört oder nur erahnen kann. Bei Strauss ist immer alles durchwirkt. Wie in der Grotte im Neuen Palais in Potsdam voller Muscheln und Bergkristalle (…) Ich könnte auch sagen: eine Strauss-Partitur ist wie der Blick in ein Gewächshaus. Da sprießt und blüht es, und man muß nicht den Namen jeder einzelnen Blume kennen, um die Pracht und den Duft zu genießen.“

Christian Thielemanns Bewunderung für Richard Strauss, der von 1933 bis 1935 auch den Posten des Präsidenten der Reichsmusikkammer innehatte, ist auf jeder Seite des Buches zu spüren. Während seiner Zeit als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, in den Jahren zwischen 2004 und 2012, ist er öfter nach dem Sonntagskonzert zur Strauss-Villa nach Garmisch gefahren, wo er mit den beiden betagten Enkeln von Richard Strauss, Richard und Christian, und der gleichfalls betagten Haushälterin Anni manches Gespräch führen konnte.

„Ich habe mich in der Villa immer unglaublich wohl gefühlt“, läßt Thielemann uns wissen, „Taktstöcke liegen aufgereiht, die Strauss geschenkt bekommen hat, und andere Memorabilia. Und auf dem Schreibtisch sieht man den speckigen Abdruck seiner Hand in der Lederauflage. Da saß er täglich und komponierte …“

Über die Zwölftonmusik scherzte er

Thielemann schildert in seinem unter Mitwirkung der Journalistin Christine Lemke-Matwey entstandenem Buch anschaulich das Leben des Komponisten, seine Zeitumständen, seine Zeitgenossen, und vor allem beschreibt er seine Tondichtungen, wie die „Alpensinfonie“, „Ein Heldenleben“, „Also sprach Zarathustra“, „Tod und Verklärung“ sowie die Opern, die zum festen Repertoire eines jeden Opernhauses gehören. „Der Rosenkavalier“, „Ariane auf Naxos“, „Arabella“ seien genannt.

Es kommt einem beim Lesen oft so vor, als sitze man Christian Thielemann in einem bequemen Sessel am offenen Kamin gegenüber und läßt sich erzählen, auch über Privates und Anekdotisches von Richard Strauss. Man erfährt, daß er ein begeisterter Skatspieler war, oder daß er den italienischen Komponisten Giacomo Puccini als delikate Weißwurst bezeichnet hat.

Auch über Arnold Schönberg, der durch seine Zwölftonmusik bekannt wurde, pflegte er sich mit den Worten lustig zu machen: „Ich glaube, er täte besser daran, Schnee zu schaufeln als Notenpapier zu bekritzeln.“ Dem Komponisten Hans Pfitzner, der sich ihm gegenüber beklagte, wie anstrengend das Komponieren sei, erwiderte Strauss: „Ja, wenn es Ihnen so schwerfällt, warum tun Sie’s dann?“ Was für ein Zeitgenosse! Christian Thielemanns Buch ist nicht nur für Liebhaber klassischer Musik empfehlenswert.

Aus der JF-Ausgabe 05/25.

Der Komponist Richard Strauss am Dirigentenpult, Gemälde von 1929. Foto: picture-alliance / akg-images | akg-images
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag