Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wütete in Deutschland die „Branntweinpest“. Durch Dampfdestillation ließen sich billig große Mengen Schnaps herstellen. Die Folgen in Stadt und Land: Gewalt, zerrüttete Familien, Tragödien. Ausgerechnet der Sohn eines Schnapsfabrikanten aus Ostwestfalen wollte dem Elend etwas entgegensetzen. Die Belle Époque war die Zeit von Naturromantik und Reformgeist. Ein alkoholfreies Erfrischungsgetränk paßte perfekt zur neuen Körperkultur und dem Streben nach einem reinen Ideal.
Also erfand Jungunternehmer Franz Hartmann im „Hermannsland“ (JF berichtete) bei Detmold einen Zeitgeist-Sprudel aus Orangen- und Zitronenschalen und ein paar geheimen Zutaten. Ein Liter konzentrierter Essenz ließ sich zu gut 60 Liter Limo verdünnen. Ein gutes Start-up.
Doch Hartmann brauchte ein verkaufsförderndes Testimonial, ein Werbegesicht. Er fand den Naturheilkunde-Propheten Eduard Bilz. Bilz war durch Ratgeberbücher zur Naturheilkunde und gesunder Ernährung eine populäre Figur. Allerdings war er auch ein cleverer Geschäftsmann: An jeder Flasche „Bilz-Brause“ – so der Name des Getränks – verdiente der Namensgeber kräftig mit.
Ab 1905 wurde das Getränk als Sinalco vermarktet
Irgendwann trennte sich Hartmann wieder von seiner Werbeikone und vermarktete sein Erzeugnis ab 1905 als „Sinalco“. Der Name bedeutet „sine alcohol“, also „ohne Alkohol“. Das Produkt wurde weltweit ein Megaseller. Bis nach Lateinamerika wurde der Sirup verschifft. Auch die Wüstensöhne im Nahen Osten liebten die Brause. Die Lizenznehmer brauchten nur noch Wasser und Kohlensäure hinzuzufügen.

Doch die Mitbewerber schliefen nicht: Coca-Cola schaffte den Sprung nach Europa und war in den 1930er Jahren sogar Werbesponsor der Mitgliedsausweise der Hitlerjugend. Während des Krieges wurde jedoch kein Cola-Sirup mehr eingeführt, so daß der deutsche Generaldirektor von Coca-Cola auf dem Trockenen saß. Kurzerhand braute er aus Molke, Zuckerrübenfasern und Apfelresten die Konkurrenzbrause „Fanta“ zusammen. Der Legende nach entstand der Name, weil ein Probeverkoster meinte, man bräuchte schon viel Phantasie, um das Zeug lecker zu finden … Heute besteht Fanta natürlich aus Fruchtsaftkonzentrat.
Sinalco wurde vor dem Krieg zunächst arisiert und hinterher flugs entnazifiziert. Zunächst behielt der Softdrink aus Detmold noch die Oberhand am deutschen Markt. Doch gegen die Logistik und Werbebudgets des Cola-Konzerns konnten sich die Westfalen nicht behaupten. 1982 übernahm eine Schweizer Brauerei das Unternehmen und stellte fünf Jahre später die Produktion ein.
Auch international ist die Westfalen-Limo teilweise beliebt
Danach drehte sich das Käufer-Karussell: Die Traditionsfirma wurde durch viele Eigentümerhände gereicht, bis sie bei der RheinfelsQuellen Hövelmann GmbH & Co. KG landete, einem führenden deutschen Getränkelogistiker mit Sitz in Duisburg.
Der Familienkonzern gründete „Sinalco Markengetränke“ und führt die Marke mit einem bewußten Retro-Image fort. Sinalco ist neben der klassischen Orangenbrause in über zwanzig Varianten verfügbar, von „Mango-Drachenfrucht ohne Zucker“ bis Sinalco-Eistee-Pfirsich und „Sinalco Energie“. Auch international ist die Westfalen-Limo in einigen Regionen weiterhin beliebt, vor allem dort, wo Coke als US-Label wenig Ansehen genießt, wie etwa dem Nahen Osten.
Ist das Glück eine Orange?
Selbst die historische Bilz-Brause wurde zeitgemäß wiederbelebt und ist nun als Bilz-Seele BioLimo erhältlich. Als der „Marty McFly der Limonaden“ („Zurück in die Zukunft“) wird die Biobrause angepriesen: „Bilz offenbart die saftige Seele begehrter Beeren und charismatischer Citrusfrüchte.“ Ein neues Nischenprodukt für urbane Hipster.
Im Sommer des Jubiläumsjahres brachte das Landestheater Detmold die Firmengeschichte sogar als Musical auf die Bühne: „Das Glück ist eine Orange“ war allerdings ein eher fader Aufguß der unrühmlichen Sinalco-Chronik während des Dritten Reiches mit viel Zeigefinger und linksdrehendem Zeitgeist – eher unprickelnd.





