Die Alten Meister mit der Sixtinischen Madonna, die Neuen Meister im Albertinum, die Rüstkammer, die Porzellan- und Skulpturensammlung – alles pandemiebedingt geschlossen. Dresden hat sich in der Adventszeit zwar festlich geschmückt, an den Kirchtürmen leuchten warm Herrnhuter Sterne, aber der Striezelmarkt fehlt. Zum ersten Mal seit der Zerstörung der Stadt 1945.
Aber nicht alles ist dem Lockdown zum Opfer gefallen. Die sächsische Metropole verfügt allein in ihrem barocken Zentrum über ausreichend Kunstschätze, die unter freiem Himmel zu besichtigen sind, insbesondere Hunderte Fassaden und Dächer schmückende Skulpturen. Und diese erzählen viel über Traditionen und den Wandel der Zeiten – wenn der Spaziergänger genau hinschaut, vielleicht sogar mit einem Opernglas oder Feldstecher.
Eingeläutet wird der Rundgang im barocken Zwinger von einem Glockenspiel aus Meißner Porzellan. Seit 1933 erklingt alle 15 Minuten eine Stundenschlagmelodie. Derart eingestimmt schweift der Blick zum golden in der Sonne glänzenden Kronentor. Es ist mit Vasen und zwölf Figuren geschmückt, die Themen um die Jahreszeiten und Herkules repräsentieren.
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August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, der von seinem Baumeister Daniel Pöppelmann den Zwinger gestalten ließ, sah sich selbst gern als griechischen Helden. So ist ein Herkuleskopf mit Löwenfell als Schlußstein des Torbogens an der Außenseite des Kronentors zu entdecken, ebenso wie das königliche Zepter und die gekreuzten Schwerter. Dazu Plastiken von Ceres, Pomona, Bacchus und Vulkan sowie Darstellungen eines Schalmeien- und eines Tamburinspielers.
Der sächsische Herkules
Ursprünglich war das Bauwerk als Herkulestor konzipiert, aber während der Bauarbeiten änderten sich die Pläne und so ziert der für das Kronentor vorgesehene Herkules mit der Weltkugel den Wallpavillon. An dessen reichem figürlichen Schmuck läßt sich das Selbstverständnis eines barocken Fürsten ablesen. Während die von Permoser und Heermann geschaffenen Hermen das unbändige Naturleben darstellen, verschmelzen darüber griechische Mythologie und Wettiner Machtanspruch.
Wenn hier ein Herkules Saxonicus die Weltenkugel trägt, symbolisiert dies natürlich August den Starken, was durch das sächsisch-polnische Wappen verdeutlicht wird: Um die Königskrone vom ebenso käuflichen wie eitlen polnischen Adel zu erhalten, mußte der Kurfürst wie einst Herkules das Himmelsgewölbe tragen. „Theils als eines Welt-Unterstützers, wie er die Himmels-Kugel auf seinen Schulter träget, in Abzielung auf die damalige Reichs-Stadthalterschaft unserres Heldenmüthigen Königs, in der Höhe über der großen Treppe ausgestellt“, notierte Baumeister Pöppelmann 1711.
Ein lorbeerbekränzter Paris verkörpert den jugendlichen Kurfürsten, der allerdings keinen Apfel hält, sondern die polnische Königskrone. Neben ihm steht die auserwählte Venus. Auch die beiden verschmähten Göttinnen, Minerva und Juno, sind dargestellt. Die Figurengruppe der vier Winde bekrönt die Ecken des Pavillons. Die Kunstwerke stammen von unterschiedlichen Bildhauern; neben Permoser von Paul Heermann, Kirchner, Kretzschmann, Kretzschmar, Thomae.
Eine Quadriga krönt die Semperoper
Mit schnellen Schritten geht es durch den Semperbau mit den leider, leider verschlossenen Alten Meistern auf den Theaterplatz. Hier reitet noch immer König Johann, so wie er 1889 von Johannes Schilling als Standbild hoch zu Pferde geschaffen wurde, vom Schloß zur Semperoper.
Deren Haupteingang säumen von Ernst Rietschel geschaffene Skulpturen von Goethe und Schiller. Von Ernst Julius Hähnel stammen die figürlichen Darstellungen von je zwei Dramatikern der Antike und der Neuzeit, Sophokles, Euripides, Shakespeare und Molière. Zwei Reliefs zeigen Szenen aus dem „Faust“ und der „Teilung der Erde“. Zu entdecken sind auch Faust und Mephisto. Gekrönt wird die Semperoper von einer Pantherquadriga: Dionysos führt auf dem zweirädrigen Wagen Ariadne als seine Braut heim. „Bacchus und Ariadne halten, Begeisterung und Freude bringend, festlichen Einzug bei den Menschen“, beschrieb der Bildhauer Johannes Schilling sein Werk.
Auf der anderen Seite wird der Theaterplatz vom einstigen Residenzschloß der Wettiner und der Katholischen Hofkirche begrenzt. Letztere wird von 78 Heiligenstatuen geschmückt, Werke des italienischen Bildhauers Lorenzo Mattielli und der Dresdner Paul und Jakob Mayer. Dazu kommen die vier christlichen Tugenden Fides (Glaube), Spes (Hoffnung), Caritas (Nächstenliebe) und Justitia (Gerechtigkeit). Da die Errichtung der Hofkirche – mitten im protestantischen Sachsen – eng mit dem Erhalt der polnischen Königskrone zusammenhängt, ist auch der heilige Stanislaus von Krakau mit einer Skulptur oben auf dem Turm gewürdigt. An der Rückseite der Kirche, beinahe versteckt, die Kirchenlehrer Augustinus und Ambrosius.
Volksvertreter entgehen der Mahnung
Zwischen Hofkirche und Schloß führt eine Gasse zum Standbild von König Friedrich August I. und dem Ständehaus, das von vier weiblichen Figuren geschmückt ist: Wahrheit, Gesetz, Gerechtigkeit und Standhaftigkeit. Allerdings müssen die sächsischen Landtagsabgeordneten nicht mehr fürchten, daß die nackte Wahrheit sie vor Beginn ihrer Sitzungen in den Spiegel schauen läßt, sie einen Blick auf die Gesetzestafeln oder gar auf das Schwert der Gerechtigkeit werfen müssen. Auch der Sphinxfigur müssen sie nicht ins Antlitz schauen, der Landtag tagt längst woanders.
Und so entgeht den Volksvertretern die Mahnung des Architekten, daß die Grundlagen eines Staatswesens der Nährstand und der Wehrstand sind. Ersteres wird durch Demeter (Ceres), die Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit, verkörpert, der zwei Putten einen von Früchten überquellenden Korb und ein Füllhorn bringen. Ihr gegenüber sitzt Kriegsgott Mars. Die Arbeiten stammen von Hans Hartmann-MacLean und Heinrich Wedemeyer. Die Fassade zieren das von zwei Löwen gehaltene große sächsische Staatswappen und eine auf einem Löwen sitzende Saxonia. Eine solche steht auch ganz in „Gold“, Lanze und Schild haltend, auf dem Turm des Ständehauses.
Von diesem geht es linker Hand hinauf auf die Brühlsche Terrasse und rechter Hand hinein in die Augustastraße in Richtung Frauenkirche und Neumarkt, entlang des Fürstenzuges. Auf einer Länge von 102 Metern sind auf etwa 25.000 Fliesen aus Meißner Porzellan 34 Regenten des einstigen Herrscherhauses Wettin als Reiterzug dargestellt sowie Soldaten, Knappen, Wissenschaftler, Künstler und Handwerker.
2.500 Jahre Kunstgeschichte werden erinnert
Auf der Brühlschen Terrasse fällt insbesondere die reich verzierte Fassade der Kunstakademie auf. Geflügelte Putten nehmen Maße, meißeln, malen, zeichnen. Eine Statue verkörpert die christliche Kunst der Neuzeit und hält ein Bildnis, auf dem Raffaels berühmte „Sixtinische Madonna“ zu erkennen ist. In vergoldeten Lettern wird an Künstler der Antike wie Pheidias, Iktinos, Praxiteles, Polykleitos und Lysippos sowie der Neuzeit – Erwin von Steinbach, Leonardo, Michelangelo, Raffael und Dürer – erinnert. Zehn Reliefmedaillons würdigen Bramante, Holbein, Pöppelmann, Rubens, Aischylos, Sophokles, Euripides, Lessing, Goethe und Schiller.
Wer genau hinschaut, entdeckt auch Porträtköpfe von Homer (flankiert von der Urgöttin Gaia und dem Meeresgott Poseidon mit seinem Dreizack) und Dante Alighieri, der Dichter der „Göttlichen Komödie“. Daß es sich in dieser um Himmel und Hölle dreht, lassen eine über einer Mondsichel schwebende Frauengestalt und ein geflügelter Satan mit Schlangen erahnen. Auf der Spitze der gläsernen Kuppelhalle, Zitronenpresse sagen die Dresdner, steht auf einer Erdkugel eine 4,8 Meter hohe, vergoldete Fama mit Lorbeerkranz und Fanfare, die Verkörperung des Ruhms.
Interessant die Giebelgestaltung des Kunstausstellungsgebäudes: Zentrale Figur ist auch hier Saxonia, die als Beschützerin der Künste deren Huldigung entgegennimmt. Die Stadt Dresden und der Fluß Elbe sind ebenfalls durch eine Frauen- bzw. Nymphenfigur dargestellt. An dieser Stelle lohnt es sich, einen Blick auf das Finanzministerium auf der anderen Flußseite zu werfen. Auch auf dessen von Anton Dietrich geschaffenen Giebelbild ist Saxonia zu sehen. Sie ist umgeben von allegorisch dargestellten Künsten sowie den Einnahmen des Staates.
Aufbauwille nach dem Bombenangriff 1945
Vom Schock des die Stadt vernichtenden Bombenangriffs am 13. Februar 1945 und dem Aufbauwillen erzählen zahlreiche Reliefs am Altmarkt und in seiner näheren Umgebung. „Jeder Stein der neuen Stadt trägt unsichtbar die Lettern: Frieden“, heißt es über einem Portal der Innenstadt. So zurückhaltend und volksnah diese Reliefs aus den fünfziger Jahren sind, als beim Neuaufbau des Stadtzentrums an die deutschen Traditionen einer vormodernen Architektur und die Leistungen des Dresdner Kunsthandwerks angeknüpft wurde, so propagandistisch überladen kommt der 1969 eröffnete Kulturpalast daher, Architektur gewordener „sozialistische Realismus“.
Beinhaltet der Fürstenzug die komplette 800jährige Historie der Wettiner in Sachsen, so stellt das 30 mal 10,5 Meter große Wandbild „Der Weg der Roten Fahne“ an der Westseite des Kulturpalastes die geschichtlich kurze, für die Erlebnisgeneration viel zu lange Herrschaft der Kommunisten dar. Zum Glück hat sich die Textinschrift des nach Entwürfen von Gerhard Bondzin durch eine Arbeitsgemeinschaft der nahen Hochschule für Bildende Künste als Nachfolgerin der Kunstakademie geschaffenen Wandbildes, das dem 20. Jahrestag der DDR gewidmet ist, nicht bewahrheitet, in der es heißt: „Wir sind der Sieger der Geschichte!“
Saxonia begegnet dem Spaziergänger, so er mit dem Zug angereist ist, übrigens ein weiteres Mal über dem Portal des Hauptbahnhofs. Hier stehen ihr die Wissenschaft und die Technik zur Seite.
JF 53/20 – 1/21