Zu den ersten archäologischen Entdeckungen von Rang im neuen Jahr gehört der Fund eines etwa 2.500 Jahre alten ägyptischen Grabes in der Nähe der Stufenpyramide von Sakkara. Die Anlage wird auf die Zeit der 26. Dynastie (664 bis 525 vor Christus) datiert und umfaßt mehrere Gänge und Kammern, in denen neben Skeletten, Tonscherben und sonstigen Überresten auch mumifizierte Falken lagen.
Die Mumifizierung heiliger Tiere spielte im alten Ägypten eine wichtige Rolle, man hat schon einbalsamierte Katzen, Krokodile und Affen in Menge gefunden. Dem Falken kam in dem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, da er als Symboltier des Sonnengottes Re und Beschützer des Pharao galt. Eine Verknüpfung, wie sie ähnlich das Rigveda kennt, wo der Falke mit der Sonne verglichen wird und dem Gott Indra den Lebenstrank Soma brachte. Bei den Inka – den „Sonnensöhnen“ – im alten Peru galt er als mythischer Ahnherr; Sinchi, der zweite bekannte Herrscher ihres Reiches, trug den Beinamen „Roca“ für „Falke“, für den ersten „Inka“ war es sogar der Hauptname.
Ähnliches wurde über die ungarische Dynastie der Arpaden behauptet, die ihre Herkunft von dem sagenhaften Falken Turul ableitete. Aber das waren archaische Überreste, die in das Mittelalter hineinragten, ohne noch wirkliches Verständnis zu finden. Für Europa hat der Falke als Symboltier jedenfalls nur eine untergeordnete Rolle gespielt, was Georg Scheibelreiter in seinem Standardwerk zur Heraldik auf die ambivalenten Vorstellungen zurückführt, die sich in der ritterlichen Welt an seine Figur geknüpft haben. War der Falke im Minnesang Sinnbild des Liebhabers – „gewandt, edel, reizbar und schnell“ – , jedenfalls unzähmbar und unzuverlässig, galt der Jagdfalke, der notwendig zur höfischen Jagd gehörte, als Symbol von Unterwürfigkeit und Treue. Mit seinen typischen Attributen, Haube, Halsring und Schelle, war er als furchteinflößendes Wappentier kaum geeignet. Jedenfalls fällt die geringe Zahl von Schildfiguren mit dem Falken – meistens sitzend, die Flügel geschlossen, ohne Betonung von Schnabel und Krallen – auf, während sein großer Verwandter, der Adler, so überaus häufig Verwendung fand und immer in aggressiver Haltung dargestellt war.
Erst im 19. Jahrhundert scheint sich die Ambivalenz des Falken so weit verloren zu haben, daß die nach deutschem Vorbild organisierte tschechische Turnerbewegung die Bezeichnung „Sokol“ („Falke“) wählte. Die Sokoln waren von der Tendenz her tschechisch-national, „hussitisch“, das heißt antiklerikal und liberal oder demokratisch, aber auch panslawisch eingestellt, was erklärt, weshalb es Sokoln bald auch in Polen, Kroatien, Serbien und Slowenien gab, Auswanderer die Idee mit nach Amerika nahmen und 1920 ein sorbischer Sokol in Deutschland gegründet wurde.
Die Sokol-Bewegung hatte zeitweise einen ausgesprochen paramilitärischen Charakter, uniformierte ihre Mitglieder und trat mit Fahnen auf, die einen weißen oder in natürlichen Farben dargestellten, auffliegenden Falken vor rotem Grund zeigten. Ein symbolisches Konzept, das aber nur in den slawischen Ländern Verbreitung fand und sonst relativ isoliert dastand, weil der Falke praktisch nur als Emblem von Jugendorganisationen üblicher wurde.
In Deutschland nutzten ihn vor allem die völkischen „Adler und Falken“ sowie die linkssozialistischen „Falken“ (in Österreich: „Rote Falken“), die in der Weimarer Republik entstanden und bis heute eine gewisse Rolle spielen; ihr Emblem zeigt – dem Namen entsprechend – die Silhouette eines Falken in Rot auf weißem Feld.
Ansonsten war die begriffliche Entgegensetzung von „Tauben“ (für Abrüstungsbefürworter) und „Falken“ (für hardliner) zeitweise von Bedeutung im Jargon des politischen Tageskampfs, aber an der Marginalität des Symboltiers „Falke“ änderte das nichts. Um so überraschender, daß dieser Greifvogel im islamisch geprägten Teil Nordafrikas und des Vorderen Orients seine Stellung immer behaupten konnte. Zwar hat ihn Ägypten 1970 wieder aus dem Staatswappen entfernt (und durch den „Adler Saladins“ ersetzt), aber er steht bis heute als Hauptfigur in den Hoheitszeichen Libyens, der Vereinigten Arabischen Emirate, Kuwaits und Syriens. Mit dem alten Pharaonenreich und dem Sonnengott Re wird natürlich keine Verbindung mehr hergestellt, aber mit dem legendären Emblem der Koreischiten, jenes Stammes, aus dem der Prophet Mohammed hervorgegangen sein soll.
Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.
Foto: Fahne der tschechischen Sokol-Bewegung