Daß der Lyriker Bernd Jentzsch, der am 27. Januar in Euskirchen/Rheinland seinen 70. Geburtstag feiern kann, bis zum Herbst 1976 ein unpolitischer Mensch war, ist kaum anzunehmen. Damals war er auf Dienstreise unterwegs in der Schweiz, wo er für den Ost-Berliner Verlag Neues Leben eine viersprachige Anthologie Schweizer Lyrik erarbeiten wollte, als er über Nacht ausgebürgert und als „Staatsfeind“ auf die Fahndungsliste gesetzt wurde. Sein „Verbrechen“ bestand lediglich darin, daß er, entsetzt über die jähe Ausbürgerung Wolf Biermanns am 16. November, einen Offenen Brief an den Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker, veröffentlicht am 21. November im Berner Bund, geschrieben hatte, worin akribisch aufgezählt war, welchen Verfolgungen DDR-Schriftsteller – von Hauseinbrüchen und Manuskriptdiebstählen bis zu Verhaftungen und Verurteilungen – seit 1971 ausgesetzt waren.
Jentzsch, geboren in Plauen/Vogtland, war, nach Wehrdienst 1958/60 und Studium der Germanistik bei Hans Mayer in Leipzig und bei Joachim Müller in Jena 1960/65, durchaus bereit gewesen, sich als Autor und Verlagslektor mit den kulturpolitischen Anforderungen des sozialistischen Staates zu arrangieren. Er veröffentlichte 1961 den Gedichtband „Alphabet des Morgens“, wurde 1962 Mitglied im Schriftstellerverband und gründete 1967 die Lyrikbuchreihe „Poesiealbum“, die ihn als ausgezeichneten Kenner deutscher und internationaler Lyrik auswies und die bis zur Einstellung 1977 im Verlag Neues Leben Berlin mit immerhin 122 Bänden erscheinen konnte.
Zwei Jahre nach der Ausbürgerung erschien in München der Gedichtband „Quartiermachen“, der überdeutlich erkennen ließ, wie der „weggehetzte“ Autor unter den DDR-Verhältnissen gelitten hatte; allein das Gedicht „Ein Wiesenstück“ über die innerdeutsche Grenze strafte die offizielle DDR-Friedenspolitik Lügen.
Von 1977 bis 1984 war Bernd Jentzsch Lektor beim Walter-Verlag in Olten/Schweiz, weilte zwischendurch als Gastprofessor in den USA, arbeitete freiberuflich für den Rowohlt-Verlag und die Konrad-Adenauer-Stiftung und wurde im Januar 1992 mit Professorentitel Gründungsdirektor des Deutschen Literaturinstituts in Leipzig, das er von 1995 bis 1999 leitete.
1991 erschien endlich in der wiedererstandenen Reihe „Poesiealbum“ der Band „Bernd Jentzsch“, und der Autor schreibt seit Jahren, wie man hört, an seiner Autobiographie, von der man sich weitere Aufklärung erhoffen darf über den Umgang des SED-Staats mit seinen Schriftstellern.