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Sehnsüchte

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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

Der Schlagertod ist ein Meister aus Deutschland. Nach dem gesetzmäßig blamablen Abschneiden des deutschen Beitrags zum diesjährigen Eurovision Song Contest, bei dem das Duo Alex Christensen und Oscar Loya als „Musikprojekt“ namens „Alex swings! Oscar sings!“, die Stripteasetänzerin Dita von Teese nicht vergessen, mit dem Titel „Miss Kiss Kiss Bang“ den 20. Rang belegte, begann das große Rätselraten, warum sich die europäischen Hörer musikalisches Fastfood, made in Germany nicht schmecken lassen wollten.

Weil die Verantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland weiterhin dem Glauben anhängen, es hätte an der richtigen oder falschen Produktverwertung allein gelegen, daß die Stimmviecher nicht für die deutsche Abwrackproduktion mit einer „Miss Kiss“, die dann nicht einmal strippen durfte, votiert haben, sondern für norwegischen Folk-Pop, wollen sie fürs nächste Mal zu allem Unglück auch noch den vollkommen schmerzfreien Verwerter und Selbstverwerter Stefan Raab konsultieren, auf daß er richte, was nicht zu richten ist, wenn an den Sehnsüchten der Menschen – und Schlagerproduktion ist Sehnsuchtsproduktion! – konsequent vorbeiproduziert wird. Dabei haben sie doch alle Gelegenheit zu hören, wie’s gehen kann.

Der Sieger des Wettbewerbs Alexander Rybak ist in Norwegen schon des längeren ein Begriff. Geboren 1986 in Minsk, kommt er mit vier Jahren mit seinen Eltern nach Norwegen, lernt früh Klavier und Geige, wird 2004 als Geiger mit dem Anders-Jahres-Kulturpreis ausgezeichnet, gewinnt 2006 mit seinem Song „Foolin“ den Talentwettbewerb „Kjempesjansen“ des norwegischen Rundfunks, erhält 2007 für eine Hauptrolle im Musical „Anatevka“, die er am Oslo Nye Theater übernommen hatte, den Heddaprisen. Sein Debüt als Filmschauspieler gibt er 2009 in einer Nebenrolle in dem Film „Yohan – Barnevandreren“. Rybak hat mit dem Popsänger Morten Harket von A-ha ebenso gearbeitet wie mit dem Violinisten Arve Tellefsen, er spielte mit Pinchas Zukerman und ist Konzertmeister der Ung Symfoni Bergen, des größten Jugend-Sinfonieorchesters Norwegens.

Für seinen Siegertitel „Fairytale“, der retrospektiv das Märchen einer – der ersten? – Liebe erzählt, benutzt und variiert Rybak das Schema des klassischen Strophenliedes, perfekt harmonisiert und arrangiert, mit von Anfang bis Ende durchgehaltenem Polka-Rhythmus und mit all den Abweichungen, mittels derer Erwartungshaltungen durch Unterlaufen erst erfüllt werden. Satz und Spiel der Violine evozieren die Hardangerfiedel, das Volksinstrument der Norweger.

Gibt allein schon die Peer-Gynt-Erscheinung des Sängers eine passable Projektionsfläche für erotische Sehnsüchte seines weiblichen und männlichen Publikums ab, so dürfte die Choreographie für seinen Bühnenauftritt diese noch potenzieren: juvenile Protzerei, als Halling-Volkstanz verpackt, ausgeführt von drei Tänzern der Modern Folk Dance Company „Frikar“. Damit nun aber Interpretation nicht etwa die falsche Weiche nimmt – Fairy kann ja neben der Fee oder der Zauberin auch die Schwuchtel bedeuten! –, stellen sich zwei feengleich gewandete Background-Sängerinnen dem Sänger zur Seite.

Den deutschen Beiträgern fehle der Siegeswille, ließen sich Kommentatoren nach dem diesjährigen Desaster vernehmen. Doch um Siegeswillen zu entwickeln, muß man etwas vorweisen können, wofür es sich zu siegen lohnt. Seine Plattenfirma wäre gut beraten, den Schritt, Rybak zu einem Teenie-Schwarm aufzubauen, zu überspringen. Der Künstler, der die Melancholie Weißrußlands und das Glücksgefühl der Norweger in sich austrägt, ist mehr als seinen Mehrwert wert (EMI 5099996631621).

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