Es war in der DDR nicht zwingend, DEFA-Filme „furchtbar“ zu finden, wie Volker Schlöndorff im Dezember 2008 in einem Interview mit der Märkischen Allgemeinen Zeitung bekannte. Doch war es ein notwendiger Beweggrund, sich – abseits des staatlich reglementierten Kulturbetriebs – selbst ein Bild von der eingemauerten Wirklichkeit zu machen.
Genau betrachtet zielte eine solche Gegenbild-Produktion auf die Befreiung vom ebenso utopischen wie wahnsinnigen Unterfangen, das darauf zielte, einen „neuen“, sprich: „sozialistischen Menschen“ zu erschaffen. Dessen ikonographische Reproduktion führte in der geschlossenen Gesellschaft zwangsläufig zu einer ebenso geschlossenen Bilderwelt.
Diese mit filmischen Mitteln zu unterlaufen, war um so schwieriger, als gerade die Filmkunst unter besonderer Beobachtung stand. Immerhin hatte Lenin dekretiert, daß sie als die wichtigste aller Künste zu betrachten sei. Gesellschaftlichen Ausdruck fand diese Sonderstellung in einem Gesetz von 1976, das die Zulassungsbestimmungen im Filmwesen regelte. Demzufolge bedurfte bereits die Vorbereitungsphase des Filmemachens einer offiziellen Genehmigung.
Gleiches galt für öffentliche Aufführungen, die unversehens als politischer Akt galten, wie sich Helge Leiberg erinnert. Als Musiker, Maler und Grafiker gehörte er zur ersten Künstler-Generation der DDR, die Anfang der achtziger Jahre – vornehmlich aus dem klassischen Bereich der bildenden Künste kommend – auch mittels Film nach künstlerischem Ausdruck suchte. Einzig verfügbares Material hierfür war der – auch von Amateuren genutzte – Super-8-Film.
Zehn Beispiele dieses abseitigen und oft synästhetischen Filmschaffens finden sich auf der DVD „Gegenbilder“, welche den hierfür wesentlichen Zeitraum von 1983 bis 1989 umfaßt. Verdienstvoll ist die Edition nicht nur als Ergänzung zur biographischen Erinnerungskultur dieser Tage, etwa den Lebenserinnerungen des DDR-Filmministers Horst Pehnert. Vor allem ist der dokumentarische Wert dieser äußerst fragilen und – im wörtlichsten Sinn – flüchtigen Kunstform zu betonen. Denn bis Mitte der achtziger Jahre verließen fast alle Künstler der ersten Super-8-Film-Generation die DDR gen Westen, neben Leiberg auch Christine Schlegel oder Cornelia Schleime.
Flüchtig aber war diese Kunstform auch in substantieller Hinsicht. Denn „jede Vorführung arbeitete quasi der Vernichtung des Materials zu“, erinnert sich der einstige Mitstreiter Claus Löser, der auch für die Film-Auswahl der DVD verantwortlich zeichnet. Löser, der in den 1990er Jahren ein Archiv für den „Experminentalfilm Ost“ gründete und als Kurator das Retrospektive-Programm der letzten Berlinale verantwortete, beschreibt im Beiheft, wie die Not des Provisoriums „zur improvisatorischen Tugend“ mutierte.
Das lag daran, daß die Super-8-Kamera eigentlich nur für private Familienaufnahmen vorgesehen war. Künstlerische und – vor allem – kritische Bilder von der sozialistischen Menschengemeinschaft waren da nicht eingeplant. Beispielsweise konnte die mit Federwerk ausgestattete Kamera der Marke „Quarz“ lediglich 30 Sekunten am Stück aufnehmen. Zudem war es unmöglich, das Bild mit einem Synchronton zu unterlegen. Infolgedessen war jede Aufführung von vornherein einzigartig, oftmals wurde die Musik live gespielt.
Beeindruckend sind etwa die ebenso farblichen wie geometrischen Bilderreigen von Helge Leiberg, der unprätentiös berichtet, wie er jedes einzelne Bild mit Filzstift, Zeichenfeder und Tusche bemalt hat – schmunzelnd anfügend, daß bekanntlich 18 Bilder eine Sekunde machten und man sich vorstellen könne, wie lange es dauere, einen zehn bis zwanzig Minuten langen Film „vollzumalen“.
Einsicht in diese Hintergründe vermittelt der auf der DVD als Bonus enthaltene vorzügliche Dokumentarfilm von Cornelia Klauß. Unter dem Titel „Die subversive Kamera“, eine Anspielung auf die DDR-Nachrichtensendung, skizziert sie ein stimmungsvolles Porträt der Super-8-Szene in der DDR.
Hier berichtet die Künstlerin Schlegel von jenem Mißverständnis, welches ihr im Westen wiederfuhr. In ihrem Film „Das Abendmahl“ (1984) schwenkt eine Honecker-Figur die von einer gebärenden Frau zur Welt gebrachte rote Fahne. Die Frauen im Westen aber – so Schlegel heute noch kopfschüttelnd – hätten sie beglückwünscht, welch „tollen“ Ausdruck sie für das „Menstruationsblut“ gefunden habe.
Dies, resümiert Schlegel, demonstriere die Existenz „zweier grundverschiedener Kulturen, wo die Metaphern nicht mehr gleich sind, die Symbole eine andere Bedeutung haben.“ Bliebe also die Verständigung auf Elias Canetti in seinen Aufzeichnungen über „Die Provinz des Menschen“. Dort heißt es, „Gegenbilder, nicht immer offensichtlich, sind wichtiger als Vorbilder“.
DVD: Gegenbilder. DDR-Film im Untergrund 1983–1989. Absolut Medien, Berlin 2008, Laufzeit: 97 Minuten + 44 Minuten Bonusmaterial