Um es vorab zu sagen: Vieles von dem, was Wolfram Weimer, Chefredakteur des Cicero, sagt, ist richtig. Zum Beispiel, daß die Auswanderung von Akademikern ein Problem darstellt, daß die Staatsverschuldung unverantwortlich hoch ist, daß der Casino-Kapitalismus demoralisierend wirkte, daß die Leute wieder sparsamer sein oder auf den Papst hören sollten. Allerdings muß man nicht Wolfram Weimer lesen, um das zu wissen oder entsprechende Empfehlungen zu erhalten.
Ansonsten wird „Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit“ nur von der Arbeit des Buchbinders zusammengehalten. Wahrscheinlich würde man bei genauerer Kontrolle feststellen, daß es sich um Weimers Kommentare und Artikel aus dem Cicero handelt, die aneinandergehängt wurden. Läßt man sich davon nicht abschrecken und vermutet wenigstens im Hintergrund so etwas wie Weltanschauung, wird auch diese Erwartung enttäuscht. Zwar behauptet Weimer, daß ein „konservatives“ das „liberale Zeitalter“ ablöst, aber selbstverständlich geht es dem „Konservativen“ um die Verteidigung der „liberalen Gesellschaft“, er will zwar „weniger Mitte“, aber natürlich gehört Konservatismus nicht nach „rechts“, denn das „Links-Rechts-Schema“ haben wir – sicher mit dem „Ende der Ideologien“ – überwunden. Multikulturalismus zählt er zu den alten Illusionen, aber nichts da mit dem „Kampf“, immer vorwärts mit dem „Dialog der Kulturen“. Zwar behauptet Weimer eine „Rückkehr der Religion“, aber Glaube bleibt Privatsache, etwas, das aus Klugheitsgründen oder psychologischen Erwägungen gehegt und gepflegt werden sollte, was so auch für „Werte“ gilt, die sich irgendwie aus der „Tradition“ ergeben, die wohl eine „europäische“ und insofern auch „christliche“ und „bürgerliche“ zu sein hat. Genauere Informationen erhält man aber nirgends, sowenig wie über die Bezugsgröße für den gewünschten Patriotismus – es wird wohl die „Gesellschaft“ sein.
Es sind die Unklarheit der Begriffe, die Beliebigkeit der herangezogenen Argumente, die Scheu vor Konsequenzen, davor, daß es ernst werden könnte, die verärgern. Man kommt sich vor wie bei der CDU-Mittelstandsvereinigung, unter Rotariern oder im Lions Club, wo gutsituierte, gutgekleidete Menschen mit angenehmen Manieren zusammenkommen und den Lauf der Welt besprechen, erkennbar irritiert die Unvernunft der Regierenden wie der misera plebs feststellen, um dann mit einem Seufzer zu versichern, daß es zuletzt so schlimm nicht kommen werde, die wirklich wichtigen Fragen privater oder wirtschaftlicher Natur seien und man zum Abendessen gehen könne. Mit Konservatismus hat das nur in einem sehr formalen Sinn zu tun. Immerhin, wenn Weimer die Ritter-Schule samt Enschleunigungs- und Kompensationssehnsucht bemüht, dann zeigt sich doch noch etwas wie der Kern seines politischen Credos: Die Verhältnisse wie sie sind, sind gut wie sie sind, man muß nur hier oder da – mit Hilfe des gesunden Menschenverstands – ein wenig nachbessern, aber ansonsten heißt die Parole: „Weitermachen!“
Zuletzt noch eine Bemerkung zu dem Versuch Weimers, den Begriff „konservativ“ zu besetzen: Die Mehrzahl der zustimmend Zitierten (Kant, Schopenhauer, Gladstone, Marcel Proust, Kurt Tucholsky, Henry Miller) ist nicht als konservativ zu bezeichnen, der Rekurs auf die angelsächsische Tradition billig und offenbar frei von jeder Erwägung, inwiefern die Situation Edmund Burkes mit unserer noch verglichen werden kann. Die deutsche Tradition des konservativen Denkens kommt natürlich gar nicht vor, oder doch, an einer Stelle, wo es heißt: „Das Leben des wahren Konservativen kommt schließlich aus dem, was immer gilt und nicht aus dem, was gestern war“. Das ist – sprachlich verhunzt – die berühmte Formel Albrecht Erich Günthers, also Konservative Revolution und all das, womit Weimer ganz und gar nicht in Verbindung gebracht werden möchte.
Wolfram Weimer: Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit. Warum die Krise uns konservativ macht. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2009, gebunden, 160 Seiten, 14,95 Euro