Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift Psychologie heute entdeckt den Krieg als Auslöser von „Flow“, jener Ekstase, die sonst durch Kreativität, Meditation oder Erotischem hervorgerufen wird. Für Leser von Ernst Jünger ist diese Erkenntnis nicht neu, beschreiben dessen Kriegsbücher wie „In Stahlgewittern“ (1920) oder „Feuer und Blut“ (1925) doch den dionysischen Rausch der Gefechte: der Krieg als Orgie, unterbrochen durch apollinische Passagen, die das Geschehen analysieren.
In der frühen Antike kannten – der Sage zufolge – auch Frauen diesen Kampfrausch, als Mänaden oder Amazonen. Wenn sie sich in postfeministischer Gegenwart von der Utopie verabschieden, die besseren Menschen sein zu wollen, statt dessen „das Wilde“ in sich entdecken, wieso sollten sie dann nicht auch den Kampfrausch thematisieren – zumal Kampf nicht nur im Krieg vorkommt?
War Ernst Jünger auf staatlichen Bühnen bislang nur von Johan Kresnick choreographisch beschimpft worden (1995, Berlin), so ließen sich in der freien Theaterszene vor allem Frauen auf Adaptionen von Jüngers Texten ein: Lilith Rudhart (1998, Berlin), Lia Rodriguez (2006, Rio de Janeiro) und jetzt Sarah Bennani in der Berliner Galerie „Kwadrat“.
Sarah Bennani, in Berlin gebürtige Schauspielerin und Regisseurin mit Wurzeln in Algerien und der Türkei, inszenierte zuletzt im Berliner Kino-Altbau Babylon den Kurzfilm „Sterben lernen“ (2007). Jetzt ließ sie sich durch Jüngers Kriegsbücher zu einer Performance inspirieren. Titel: „Eine Hommage an Ernst Jünger“.
Für die 26jährige Regisseurin ist dessen Frühwerk hochaktuell. Mag der Kampfrausch hierzulande nicht mehr im Schützengraben stattfinden, die moderne Wirtschaft gehorcht ihm bedingungslos: auf dem Aktienmarkt, in der Lust, Konkurrenten auszuschalten, deren Firmen aufzukaufen, den sozialen Untergang ganzer Bevölkerungsschichten wenn nicht herbeizuführen, so doch billigend in Kauf zu nehmen – ein Krieg, der in Krisenzeit zum Handgemenge nach dem Motto „Jeder gegen jeden“ mutiert. Hier verortet Bennani die Stahlgewitter der Gegenwart. Und dafür findet sie eindringliche Bilder.
An den weißen Wänden der Galerie hängt Stacheldraht, daneben Projektionen zerfetzter Jünger-Zitate. Die drei Akteure (Sarah Bennani, Andrea Pani Laura und Stefan Düe) stehen sich lauernd, tierartig gegenüber, umkreisen sich, Opfer und Beute zugleich, keuchen Jüngersche Textbrocken über Kampf und Raserei heraus.
Der Krieg als Geschlechterkampf mündet in Vergewaltigung, die nicht sexueller Natur ist, sondern über öffentlichen Zwang funktioniert: Eine Frau mit schmerzverzerrter Miene bekommt von ihrer Mitspielerin ein Mikrophon vor den Mund gehalten, wird immer wieder im Befehlston aufgefordert: „Entertain us!“ (Unterhalte uns!) Die Forderungen der Spaß-, Wohlfühl- und Dienstleistungsgesellschaft nach guter Miene zum traurigen Spiel werden als Entfremdung und (seelische) Mißhandlung spürbar. Die steil hochschießende Depressionskurve der letzten Jahre dürfte mit dieser neoliberalen Maskerade zu tun haben.
Apropos Kurve: Wenn Andrea Pani Laura, atemlos gehetzt, eine steigende Kurve an die Wand malt, weiß man nicht: Ist es eine Fieberkurve kriegerischer Erregung, oder verrät sie die Steigung ökonomischer Werte wie zum Beispiel der Akienkurse? Oder beides?
Solch weit ausholende Assoziationen finden ihre Bestätigung in Jüngers „Pazifismus“-Essay (1925), der alle Bereiche der Existenz als Krieg deutet. Dessen Rezitation wird von melancholischer Akkordeonmusik untermalt. Nach dem Rausch kommt die Trauer – aber nur kurzfristig. Gleich darauf fordert Stefan Düe das Publikum auf, einen zuvor ausgeteilten Text über Kriegsbegeisterung chorisch mitzusprechen. So geschieht es auch, bis hin zur refrainartigen Wiederholung des Satzes: „Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch.“ Viermal. Immer lauter.
Neben interpretatorischen Szenen stehen Auftritte der Kampfkunst-(Wushu)-Akrobatin Leyla Özbeck. Die disziplinierte Eleganz ihrer Bewegung korrespondiert mit Jüngers Stilakrobatik in den Schlacht-Beschreibungen.
Laut Ensemble soll die „Hommage an Ernst Jünger“ weiter ausgebaut und aufgeführt werden. Im Juni kriegt sie Konkurrenz. Dann bringt der Schauspieler Martin Wuttke am Berliner Ensemble seine Inszenierung von Jüngers Kultbuch „Das abenteuerliche Herz“ (1929/38) heraus. Die Proben haben bereits begonnen. Premiere soll am 13. Juni sein.
Foto: Ernst Jünger, In Stahlgewittern, 2. Auflage, 1922: Kampfrausch