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Der Maler des Ewigen

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Im Museum der Bildenden Künste Leipzig hat man eine äußerst opulente Retrospektive zu Werner Tübkes Gesamtwerk eingebracht. Der hätte im Sommer sein 80. Lebensjahr vollendet. Es ehrt die Leipziger, daß sie den genialen Mann derart feiern. Die Schau gilt allen biographischen Phasen, Stilepochen, Themen und Ausdrucksformen, mit Ausnahme der architekturgebundenen Monumentalwerke.

Wir betreten die Raumfolge, wo uns frühe Porträts der 1950er Jahre empfangen. Knüpfen diese noch an die Neue Sachlichkeit an, tut sich in der Raummitte eine ganz andere Dimension auf. Die „Festliche Szene VI“ (1956) mit ihrer geheimnisvollen Aura einer in Grün und Blau und Schwarz getauchten, exotisch kostümierten Jugendgruppe saugt den Blick an. Rhythmisch gefaßt, tritt sie mit ihrer rätselhaften Mittelfigur schweigend dem Betrachter entgegen. Die erlesene Komposition ist ein letzter Reflex auf das sozialistische Weltjugendtreffen 1954, das der Künstler zunächst spätstalinistisch konventionell auffaßte. Dann aber zeigt sein Gestaltungsprozeß die Verwandlung des Sinneneindrucks zum gültigen Sinnbild.

Reportageartig schildert dagegen das szenisch vielteilige Simultanbild („Tod in der Iller“ 1957) ein Unfallereignis der Bundeswehr. Das Drama von Tod und Bergung der jungen Rekruten flankiert ein Kruzifix, in dem die Darstellung endet. Leuchtende Rotakzente rufen die „letzten Dinge“ auf. Wieder anders die fünf großen Diptychen der Kontinente (1958) vom Speisesaal des Hotels Astoria. In ihrer konzentrierten Meisterschaft kulminiert Tübkes frühe Schaffensperiode. Die Antithetik folgt noch dem politischen Klassenschema, indes die raffinierte Formgebung figurenreiche Szenen gestaltet von schmalem Format in tonigem Kolorit. Hingegen scheinen die vier altmeisterliche Triptychen daneben ihre Miniaturen („Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ 1961) ins Mittelalter Pieter Brueghels zu spiegeln. Diese Formgebung verstörte die Genossen tief.

Die Irritation veranlaßte Alfred Kurella, Tübke auf eine große Reise durch die Sowjetunion zu schicken. Sie markiert einen ganz neuen Werkabschnitt. Dessen Ertrag begegnet uns im nächsten Raum. Thematisch, formal und technisch scheinen die großen Gemälde der Reise (1961/62) sich vom übrigen abzukehren. Die transparent durchlichteten Porträts des kaukasischen „Viehzucht­brigadiers Bodlenkow“ und vom Maler selbst (beide 1962) glänzen edelsteinfarben, konturieren nadelstichfein und setzen die Figur zugleich monumentalplastisch ins Bild.

Die anschließenden Tafeln führen Farbwirkung, Transparenz und feinmalerische Delikatesse fort, doch spielen sie ins Kalte, verwirren durch disparate Größen, groteske Bedeutungsperspektiven, bizarre Figürchen, die eine puppenhafte Riesenmarionette umringen: die Serie der „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ (1965–67). Dies die Hinwendung Tübkes zum politischen Surrealismus, mit dem er nationalsozialistische und sowjetische Gewalttaten und DDR-Unrecht kryptisch verrätselt. Doch im letzten Stück (VII) der Serie (1965) triumphieren Vitalität und Schönheit zweier Frauenakte über den dämonischen Taumel, der gleich zerbrechenden Scherben fortgeschoben wird: ein raffiniertes Verwirrspiel mit Bild- und Sinnschichten. Die Liebe zum Leben überwindet den Horror.

Sie triumphiert in den italienischen Arbeiten seit 1971. Dynamisiert, gleichsam lebendig erscheint der Tritonenbrunnen auf der römischen Piazza Navona (1972). Aus sämtlichen Muscheln und Trompeten schießt und schäumt das Wasser, flutet den Bildrand vor wetterleuchtendem Himmel. Verzaubert scheint der „sizilianische Großgrundbesitzer“ (1972). Als kapriziöser Dandy posiert er selbstgefällig auf einer Guckkastenbühne, umringt von riesigen Marionetten auf rotem Grund.

Vollends einen Farbrausch entfalten die großen Diptychen „Mensch – Maß aller Dinge“ (1975). Sie kombinieren je eine ideale Szene, Familie und Liebenspaar, mit einer schmalen Predella: Leid–Schrecken–Vergänglichkeit. Das Liebespaar im Feuerschein, neben dem bleischwarzen Torso einer Venusstatue, und die thronende Mutter mit ihren Kindern offenbaren Tübkes Wendung zum Manierismus.

Die metaphysische Unruhe des flackernden Lichts und der unnatürlichen Farben, der Einbruch des Phantasti-schen, die überlängten Figuren und irreal gewundenen Körper treibt der „Strand von Ostia“ (1973) auf die Spitze. Eng gedrängt und doch vereinzelt fallen die Badenden grotesk ins Leere. Das Weltbild verdüstert sich.

Dessen Umformung geht parallel zur Ausmalung des Bauernkriegsdenkmals (14 mal 120 Meter) in den Jahren 1979 bis 1987. Daneben entstanden zahlreiche Tafelbilder, die in Leipzig zu sehen sind. Sie gelten Themen wie „Schlachtberg 1525“ (1976) oder der „Verspottung eines Ablaßhändlers“ (1976) bis hin zum „Jüngsten Gericht“ (1983).

Als staatliches Denkmal geplant, ward es am Ende zum reinen Kunsttempel. Tübkes Umwidmung der fortschrittsoptimistischen Vision einer „frühbürgerlichen Revolution“ zum apokalyptischen Drama und Scheitern der Utopie hat die profanen Vorgaben gesprengt zugunsten eines phantastischen Welttheaters, das von der Hölle über die Irdischen bis ins Übernatürliche reicht.

An diese elfjährige Gewaltstour schlossen sich zahlreiche Harlekine, Marionetten und Gaukler an, mit ihren Visionen, auch ihrem Tod. Ihr Wispern verschmilzt mit dem Rascheln der Commedia del’ Arte. Alles wird zartfarbig in delikaten Umrissen. Leise Szenen spielen mit hingetuschten Pastelltönen. Der Narr chiffriert die Künstlerrolle in den Widersprüchen der Welt. Er führt in Leiden und Untergang, ja zur Kreuzigung. So zeigt er sich als Verwandlung Christi, seiner Beweinungen, Höllenstürze und Auferstehungen. Die pessimistische Vision erfaßt auch die Gegenwart. Zerbrechen, Gefährdung überall. Die Atmosphäre durchschwirren übernatürliche Zeichen, sie drohen verderblich oder signalisieren Rettung.

So endet der Leipziger Rundgang schließlich zwischen den gewaltigen Tafeln des „Jüngsten Gerichts“ und der „Weihnacht 1524“. In einer eisigen Mondlandschaft treiben Bauern, Bettler, Mönche, fahrendes Volk fort durch den Schnee, während der betende Papst durch den Himmel schwebt, umringt von Teufeln, Kobolden, Dämonen.

Werner Tübke hat alle Stile und Methoden ausgeschöpft und einen ganz eigenen Kosmos gestaltet. Der Zeitge-nosse schillert indes zwischen Dissidenz und Repräsentanz. Das trug ihm Kritik ein wie nur wenigen. Lauteten die Vorwürfe der Ulbricht-Zeit: „volksfremd“, „krank“, „konstruiert“ „abnormal“ oder gar „metaphysisch“, betrafen sie nach 1990 den vermeintlichen „Staatskünstler“, der die Diktatur propagandistisch verherrlichte. Politischer und ästhetischer Argwohn sind nicht verstummt.

Dies zeigt auch das Monumentalwerk „Arbeiterklasse und Intelligenz“ (1973) aus der Leipziger Uni, ein Politikum seit Jahren: brisant nicht nur wegen des Anspruchs, Geist und Macht, Werktätige und Partei zu vereinen. Die Auftragsarbeit gehört in die Periode der „Umstrukturierung“ und stadtplanerischen Zerstörung. Naheliegend, daß diese Virulenz erneut spürbar wird. So erzwang die aktuelle Umbauphase 2006 die Bergung der Monumentalikone, um deren Einmottung oder Reinstallation man seitdem stritt. Erich Loest beauftragte 2007 aus privater Initiative Reinhard Minkewitz mit einem „Gegenbild“, das die Sprengung 1968 samt der politischen Repression anklagt. Die Bestimmung des inzwischen vollendeten Triptychons ist derzeit noch ungewiß.

Tübkes „Arbeiterklasse“ wird definitiv 2010 im Vorlesungsgebäude ihren neuen Platz erhalten. Eine Sonderausstellung 2006 hat Voraussetzungen, Formalität und Sinnstruktur des Werks freigelegt. Vorgabe war, den Aufbau der neuen Gesellschaft sinnfällig auszudrücken. Tübke überzeugte sogleich: nicht mit allegorischen Formeln, sondern individuellen Menschen. Deren Gestaltung zur Gruppe und ideelle Verklammerung indes war ein langer Prozeß: wirkliche Charaktere zu versammeln, ein echtes Historienbild und Gruppenporträt zu schaffen, fast aussichtslos. So experimentierte der Maler mit ganz verschiedenen Bildmodellen, auch stalinistisch triumphalen, der „sozialistischen Heldenoper“. Doch werden die Einzelnen hier von einer gesichtslosen Masse verschluckt, zerfällt dort seine „Jugendbrigade“ in singuläre Persönlichkeiten.

Tübke hat im Gestalten das schöpferische Leben grundsätzlich als ein Transzendieren, Entzeitlichen: als wesenhafte Verdichtung begriffen. So entstand im Lauf der Jahre ein symbolischer Kosmos, ein weites Reich zwischen Apokalypse und Erlösung.

Die Retrospektive zum 80. Geburtstag von Werner Tübke im Leipziger Museum der Bildenden Künste endet an diesem Sonntag. Bis dahin kann sie noch von 10 bis 18 Uhr besucht werden. Der Katalog kostet 28 Euro.

Vom 30. September an ist die Ausstellung im Kunstforum der Berliner Volksbank zu sehen (bis 3. Januar 2010).

Weiter Infos im Internet: www.tuebke.org , www.tuebke-stiftung-leipzig.de  und www.panorama-museum.de 

Fotos: Werner Tübke, Arbeiterklasse und Intelligenz (Öl und Tempera auf Preßspanplatte, 1973): Brisant nicht nur wegen des Anspruchs, Geist und Macht zu vereinen, Werner Tübke, Selbstbildnis in Samarkand (Öl und Tempura auf Leinwand, 1962): Die Reise markiert einen neuen Werkabschnitt

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