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„Das ist nicht für die vielen“

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Botho Strauß gibt mit seinem neuen Buch „Vom Aufenthalt“ offensichtlich einmal wieder Rätsel auf. Schon bei der Frage nach dem Inhalt dieses Buches gehen die Meinungen auseinander: Ulrich Greiner zum Beispiel sprach in seiner umfänglichen Rezension in der Zeit davon, Strauß habe eine neue „Sammlung von Maximen und Reflexionen“ vorgelegt. Sie seien „monologisch“, der Autor wende sich „an sich selbst“.

„Geschichten, Aperçus und knappe Prosastücke“ meint Gabriela Jaskulla gelesen zu haben, die aus ihrer Sicht „verschmockt, kalt und politisch unkorrekt“ anfingen. Strauß schrecke, so die Rezensentin im NDR-Hörfunk, angeblich selbst vor „Kalauern nicht zurück“. Diesem hier zum Ausdruck gebrachten Unverständnis möchte man mit Strauß entgegenhalten: „Was gibt’s Neues? Ha! Das allermeiste! Das Übersehene! Nämlich all das, was du auf deinem schnellen Weg voran nicht wahrgenommen hast.“

Um gleich zu der Antwort auf die Frage, was übersehen worden ist, zu kommen: „Das ist nicht für die vielen, sondern nur für dich“, betont Strauß. „Wir sind einer dem anderen großes Theater genug.“ Dieses Fragment des Epikur dient ihm als Motto. Strauß möchte nicht „kommunizieren“, sondern „mit dem ein oder anderen Menschen in Verbindung treten, ohne mit ihm kommunizieren zu müssen“.

Seine auch immer wieder in Gedankenscherben sichtbar werdende Auseinandersetzung mit dem geistigen Erbe Europas kreist um ein zentrales Thema, nämlich wie er als alternder Schriftsteller seinem (vergehenden) Leben etwas Dauerhaftes entgegensetzen kann. Damit thematisiert er Zeit und Überzeitliches (Traum), das Endliche und das Unendliche, Tod und Leben, den Künstler und sein ihn überdauerndes Werk. Im Fluß der Zeit vergehen die Worte und führen den Schriftsteller zu einer Skepsis ihnen gegenüber, die sein ureigenstes Material, seinen Werkstoff darstellen. Strauß steht „wider das Explizite“.

Wie schon in Strauß’ „Die Fehler des Kopisten“ birgt das Übertragene die Gefahr der Verfälschung, das Nichtursprüngliche in sich. Strauß hegt hier ein großes Mißtrauen gegenüber dem Material, das Antwort auf den Sinn des Lebens geben könnte. Damit kann Strauß in eine Linie mit Hugo von Hofmanns­thals „Chandos-Brief“ gestellt werden, der die Krise der Sprache im ausgehenden 19. Jahrhundert umkreist. Anders als Hofmannsthal freilich geht es Strauß in seinem Buch um die Darstellung des Lebens, das sich in seiner gegenwärtigen Geschwindigkeit nur fragmentarisch in Worten festhalten läßt.

Dem alternden Schriftsteller rückt besonders die Erinnerung in den Blick, da sie, der Zeit entrückt, längere und tiefergehende Betrachtungen eröffnet. Der Blick in die Kindheit enthüllt Momente des unschuldigen, unverstellten Erlebnisses und somit die Unmittelbarkeit des Gefühls. Die Erinnerung wird zur Gefühlskonserve, wenn auch manchmal das Gefühl nur als „versiegelte Vergangenheit“ verlebendigt werden kann.

Die unterschiedlichsten Protagonisten werden von Strauß im Strom der Zeit beobachtet. Der Leser bleibt aber mit ihnen und ihren Befindlichkeiten allein. Strauß nimmt uns zwar mit in seine Sichtweise, doch wir müssen über das Fragment hinaus eigene Worte für den Sinn finden, um weitersprechen zu können; er macht uns zu Wegweisern, so wie er den Vater seinen Sohn Elz in Schutz nehmen läßt – mit den Worten: „So sind wir ja alle in unserer Eingeschlossenheit eine Kraft, ein Pfeil, ein Vektor. Ein Wegweiser.“

Ungewißheit wie Unwissenheit, Unsicherheit und Tasten stellen hier nicht nur die Unzulänglichkeit des Autors dar, sondern werden zu unserer eigenen. Somit müssen wir als Lesende auch unsere Stimme erheben, treten wirklich in Verbindung mit dem Autor, weil wir als Erbe seine Gedanken weitertragen, ohne mit ihm zu „kommunizieren“.

Jeder Leser, der sich darauf einlassen kann, Strauß’ Gedankenerbe zu werden, verhält sich so, wie Strauß am Beispiel von Marcel Proust den Autor sieht: „Er hat sich gesagt, ein solch wunderbares Geschenk, gelebt zu haben, läßt sich nicht stumm kassieren. Man muß es in allen Einzelheiten festhalten, Revue passieren lassen, es wiederum sichten, rekapitulieren, um sich erst richtig zu wundern. Er hat etwas getan, was jeder von uns tun müßte, um nicht am Einmaligen (des Lebens) zu krepieren.“

Mörike hat dies in einzigartige Verse zu bannen versucht: „Doch immer behalten die Quellen das Wort, / Es singen die Wasser im Schlafe noch fort / Vom Tage, / Vom heute gewesenen Tage.“ Worte werden zum Klang, zur Stimme, zur Stimme aus der Zeit; vergehend wie diese, schnell wie diese und außer in der Erinnerung nicht festzuhalten.

Strauß steht, wie Caspar David Friedrichs „Mönch am Meer“, mit dem Rücken zu uns. Ulrich Greiner sieht darin ein Abwenden und unterstellt der Figur, daß sie uns nichts mitteilen könne. Der „Mönch am Meer“ steht für den endlichen Menschen inmitten der kosmischen Unendlichkeit. Er nimmt uns mit, in seine Richtung zu sehen oder eben nicht. Es bleibt indes die Entscheidung des Betrachters, sich darauf einzulassen.

Wie schon erwähnt, will Strauß ja nicht „kommunizieren“, er will nur in Verbindung bleiben, verweilen, was wiederum ein Verweis auf den Titel „Vom Aufenthalt“ ist. Er entpuppt sich hier als Erkenntnis, daß das Leben ein Durchgangsstadium ist, in dem nichts von Dauer ist. Wie der romantische Mensch („Mönch“) steht das Subjekt nur für sich und kann seine Endlichkeit angesichts der Natur, der Unendlichkeit („Meer“), erfahren. Die darin mitschwingenden Fragen nach Sinn und Jenseits können durch „die unsinnigen Utopien des Aufklärungszeitalters“ nicht „gepflegt und verbessert“ werden, so daß wir „im Grunde über Swedenborg und Fechner“, beide Mystiker, „nicht hinausgekommen sind“.

Diese letzten Fragen über Zeit und Sinn fokussiert Strauß auch in der Schmittschen Auslegung der paulinischen Idee vom Katechon. Paulus wendet sich mit dieser Idee gegen die Vorstellung, daß das Endheil bereits gekommen sei. Der Parusie (Wiederkunft) Christi müsse vielmehr das Auftreten des Antichristen vorausgehen. Bevor nicht der „Frevelmensch“ erschienen ist, der „Sohn des Verderbens“, der „Feind, der sich gegen alles erhebt, was Gott und Gottesverehrung heißt“, bleibe die Parusie Christi aus.

Strauß bringt in Anknüpfung an Carl Schmitt „Aufenthalt“ und „Aufhalter“ miteinander in Verbindung: „Der Platz des Aufhalters war nie unbesetzt, sonst gäb’s uns nicht, so Carl Schmitt. Wie steht es aber mit dem sich selbst organisierenden Aufenthalt? … Ist Aufenthalt notwendig eine Wirkung des Aufhalters?“ Mit einer plötzlichen Volte schafft Strauß dann Gegenwartsbezug: Der Anti-Christ treffe bereits seine Vorbereitungen. „Auch das ungeheuer Jähe (der Terroranschlag) besitzt das Fluidum seiner Ankunft.“

Und dieser Strauß soll, so Ulrich Greiner, „weiter von uns entfernt denn je“ sein? Hier hat Greiner sein eigenes Unverständnis in unzulässiger Art und Weise verallgemeinert. Tatsächlich ist Strauß uns näher denn je.

Botho Strauß: Vom Aufenthalt. Hanser, München 2009, gebunden, 295 Seiten, 19,90 Euro

Foto: Caspar David Friedrich, „Mönch am Meer“ (Öl auf Leinwand, um 1808/09): Inmitten der kosmischen Unendlichkeit

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