Papst Benedikt XVI. hat vom 19. Juni 2009 bis 19. Juni 2010 ein „Jahr des Priesters“ ausgerufen. Anlaß dafür ist der 150. Todestag des Jean-Marie Vianney, Pfarrer von Ars und Patron aller Priester. Mit diesem Motivjahr möchte der Papst aber in erster Linie an die sakramental verfaßte Struktur der Kirche erinnern und dem Priesterberuf durch ein klares Profil wieder neue Attraktivität verleihen. Gerade daran mangelt es offensichtlich, zumindest in Deutschland und in weiten Teilen Europas. Während auf allen anderen Kontinenten steigende Priesterzahlen verzeichnet werden können, spricht man in Europa schon seit den siebziger Jahren vom Priestermangel.
Soeben hat das Zentrum für Berufungspastoral in Freiburg seine aktuellen Zahlen für Deutschland vorgelegt. Noch zu Beginn des Jahrtausends schien sich die Zahl der Priesteramtskandidaten – wenn auch auf niedrigem Niveau – stabilisiert zu haben. In den letzten beiden Jahren setzte jedoch ein weiterer Abwärtstrend ein. Peter Birkhofer, Leiter des Zentrums, spricht von einem „massiven Rückgang“. In den 27 deutschen Diözesen wurden im vergangenen Jahr 93 Priester geweiht. Zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1962 wurde damit eine Zahl unter 100 erreicht.
Auch die Zahl der Neueintritte in den Priesterseminarien ist rapide gesunken. Dasselbe gilt für die Ordenshäuser. Die Lage dramatisiert sich noch dadurch, daß jährlich zahlreiche ältere Priester durch Krankheit, Alter oder Tod aus dem Dienst scheiden. Hinzu kommen Priester jüngerer Jahrgänge, die ihr Amt niederlegen, weil sie den Zölibat nicht länger leben können oder wollen. Immer häufiger werden auch junge Priester krank, da sie den beruflichen Belastungen nicht standhalten.
In Deutschland wurden in den letzten Jahren immer größere Seelsorgeeinheiten geschaffen, die nicht nur Resultat des Priestermangels sind, sondern verbunden mit einem gestiegenen Anspruchsdenken der Gläubigen den Druck auf den leitenden Pfarrer weiter erhöhen. Man fragt sich, wie eine Seelsorgeeinheit mit 45.000 Gläubigen, wie sie im Bistum Essen geplant ist, bewältigt werden soll.
In Süddeutschland geht man andere Wege. Da man die Eigenständigkeit der Gemeinden erhalten will, aber nicht genügend eigene Priester zur Verfügung hat, werden verstärkt ausländische Geistliche eingesetzt. Früher waren dies meist Polen oder Kroaten, heute kommen immer häufiger auch Priester aus afrikanischen Ländern oder aus dem indischen Kerala. In ländlichen Regionen ist oft über viele Kilometer hinweg kein einziger deutscher Priester zu finden. Gerade aus den Dorfpfarreien kam aber immer ein bedeutender Teil des Priesternachwuchses.
Von kirchenkritischer Seite wie der Bewegung „Wir sind Kirche“ oder der österreichischen Laieninitiative werden andere Lösungskonzepte vorgelegt, um dem Priestermangel zu begegnen. Gefordert werden die Aufhebung der Zölibatsverpflichtung, das Diakonat der Frau und die Gemeindeleitung durch Laien.
Die Laieninitiative, die maßgeblich von den ehemaligen ÖVP-Politikern Herbert Kohlhammer, Andreas Khol und Erhard Busek getragen wird, ist mit diesen Forderungen kürzlich erst in Rom vorstellig geworden. Doch es wird keinen österreichischen Sonderweg geben. Der Heilige Stuhl kann nur auf der Ebene der Weltkirche nach Lösungsmöglichkeiten suchen. Hier hat der Papst den Wert des priesterlichen Zölibats erst kürzlich wieder herausgestellt.
Die Ursachen des Priestermangels nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) scheinen indes woanders zu liegen. Wo die Zahl der praktizierenden Gläubigen sinkt und das gesamte kirchliche Leben immer weiter schwindet, ist doch der Rückgang des Priesternachwuchses nur konsequent. Auch mangelt es in den deutschen Diözesen, wo Laien in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Kompetenzen erhalten haben, an einem klaren priesterlichen Profil. Der Sekretär der Kongregation für den Klerus, Erzbischof Jean-Louis Bruguès, hielt neulich eine Ansprache vor den Rektoren der päpstlichen Seminarien. Hierbei führte er den Rückgang der Berufungen auf den Verlust der katholischen Identität zurück.
Gerade hier liegt die Stärke der traditionalistischen Gemeinschaften. Sie haben eine überschaubare Größe, eine starke kirchliche Bindung der Gläubigen und eine hohe Wertschätzung des Priesteramtes. Es überrascht daher nicht, daß sich viele angehende Priester der Tradition zuwenden. Auch in die diözesanen Seminarien kommen verstärkt Männer mit konservativem Kirchenbild. Einige wenden sich jedoch bald enttäuscht wieder ab; andere – jedoch immer weniger – sind bereit, sich anzupassen.
Wenn es denn gelingen soll, den Priestermangel effektiv zu bekämpfen und dabei das Wesen der katholischen Kirche zu wahren, kann dies nur durch eine Schärfung des Profils geschehen. Diese wird auch angestrebt durch das vom Papst ausgerufene „Jahr des Priesters“. Nur eine Kirche, die eine klare Botschaft und ein selbstbewußtes Auftreten hat, bewegt junge Menschen, sich dort dauerhaft zu engagieren. Und nur ein klar umrissenes Priesterbild mit eindeutig festgelegten Aufgaben und nicht delegierbaren sakramentalen Vollmachten wird Menschen motivieren, diese Berufung zu erhören und den Beruf zu ergreifen.
Foto: Leere auf der Kanzel: Es fehlt ein klares priesterliches Profil