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Debatte: Abschied vom Wachstum

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benoist
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Debatte
 

Abschied vom Wachstum

Angesichts der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise ruft der französische Philosoph Alain de Benoist zur Umkehr auf. In seinem neuen Buch „Abschied vom Wachstum” tritt Benoist für eine Kultur des Maßhaltens ein. Die JUNGE FREIHEIT dokumentiert das Vorwort in Auszügen.
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Cato, Palmer, Exklusiv

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Alain de Benoist, Buchtitel Foto: JF

Oft heißt es, der Kapitalismus sei synonym mit der Krise, er speise sich aus den Krisen, die er auslöst – ja, seine „Anpassungsfähigkeit” wird als grenzenlos betrachtet, so als sei er unzerstörbar.

Tatsächlich haben wir es mit einer dreifachen Krise zu tun: einer Krise des kapitalistischen Systems, einer Krise der liberalen Globalisierung, einer Krise der amerikanischen Hegemonie. Die am häufigsten vorgebrachte Erklärung für die Entstehung der gegenwärtigen Krise macht die Verschuldung der amerikanischen Haushalte durch Immobilien-Hypotheken (die berüchtigten subprimes) verantwortlich. Dabei wird zumeist verschwiegen, warum sie sich derart verschuldet haben.

Der Kapitalismus steht ständig vor dem Problem, neue Absatzmärkte finden zu müssen. Ursprünglich versuchte er, immer mehr Waren an Menschen zu verkaufen, die er zunehmend der Mittel zum Erwerb von mehr Waren beraubte. So sehr er sich einerseits freute, seine Gewinne auf Kosten sinkender Ausgaben für Arbeitskraft steigern zu können, wußte er doch sehr wohl, daß in letzter Analyse eine dauerhafte Profitsteigerung nur möglich ist, wenn der Verbrauch ständig zunimmt. Deswegen wurden schrittweise die Löhne und Gehälter erhöht, einzig und allein um dadurch den Konsum anzukurbeln. Diese Phase, die in den „Goldenen Dreißigern” ihren Höhepunkt erreichte, geht nun zu Ende.

Inzwischen ist man zu den Ursprüngen des Kapitalismus zurückgekehrt und versteht die Verteilung der Einkünfte zwischen Kapital und Arbeitnehmern längst wieder als Nullsummenspiel: Alles, was die einen gewinnen, geht den anderen verloren. Wie lassen sich wieder Absatzmärkte erschließen, wenn die Rentabilität der Investitionen sinkt, wenn also die Gewinnspannen geringer werden?

Einwanderer als Reservearmee

Eine erste Lösung besteht in der Verlängerung der Arbeitszeit, doch die daraus resultierende Erhöhung der Einkünfte bleibt eine relative, zumal sich der Preis für eine Arbeitseinheit nicht ändert: Es wird mehr gearbeitet, aber zum selben Stundenlohn. Der Zwang, mehr zu arbeiten, sonntags zu arbeiten, Überstunden zu machen usw., hat zudem äußerst unschöne Auswirkungen auf das Alltagsleben: weniger Freizeit, weniger Zeit für Familie und Kinder.

Eine zweite Lösung besteht darin, auf billige Arbeitskräfte zurückzugreifen, die weniger qualifiziert sein mögen, dafür aber auch weniger Forderungen stellen. Eben deswegen haben die Arbeitgeber stets mehr Einwanderung befürwortet, betrachten sie die Einwanderer doch als eine Reservearmee, deren Vorhandensein es ermöglicht, die Löhne der Autochthonen zu drücken.

Die dritte Lösung, die der Kapitalismus in der Nachkriegszeit und insbesondere seit den 1980er Jahren massiv favorisiert hat, ist der Kredit. Wenn die Menschen sich verschulden, haben sie mehr Geld und können mehr konsumieren. Das Problem dabei ist natürlich, daß die Menschen ihre Schulden zurückzahlen müssen – und daß sie dazu nicht in der Lage sind, eben weil ihre Einkünfte stagnieren oder schrumpfen. Darin liegt eine der Hauptursachen der derzeitigen schweren Krise.

Zu den herausragenden Kennzeichen des „Turbokapitalismus” als dritter Welle in der Geschichte des Kapitalismus zählt die totale Dominanz der Finanzmärkte. Dadurch verstärkt sich die Machtposition der Kapitalinhaber und insbesondere der Aktionäre, die längst die eigentlichen Besitzer der börsennotierten Unternehmen sind. >>

In ihrer Gier, mit ihren Investitionen immer höhere und immer schnellere Gewinne zu erzielen, treiben sie die Löhne und Gehälter in den Keller und drängen auf Standortverlagerungen in Schwellenländer, wo eine hohe Produktivität mit sehr niedrigen Lohnkosten einhergeht. Gleichzeitig versuchen die Unternehmen ihre Profite zu erhöhen, indem sie immer weniger Menschen beschäftigen, was wiederum zur Vernichtung von Arbeitsplätzen führt. 

Die derzeitige Strategie des Kapitals besteht demzufolge darin, die Löhne und Gehälter immer weiter nach unten zu drücken, die Prekarität des Arbeitsmarkts ständig zu verschlimmern und dadurch eine relative Verarmung der unteren und mittleren Bevölkerungsschichten herbeizuführen. Diese haben dann keine andere Chance, ihren Lebensstandard zu erhalten, als sich zu verschulden, während ihre reale Zahlungsfähigkeit unaufhaltsam abnimmt.

Die aktuelle Krise begann, als der Kredit ausging. Den Rest besorgten der Größenwahn und die ungeheure Raffgier in den Führungsetagen der Großkonzerne und der großen Geschäfts- und Handelsbanken.

Zudem handelt es sich aber um eine Krise der liberalen Globalisierung. Das brutale Übergreifen der amerikanischen Hypothekenkrise auf die Weltmärkte ist eine direkte Folge der Globalisierung, wie sie von den Zauberlehrlingen der Finanzwelt erdacht und ins Werk gesetzt wurde. Sie läßt sie zu, daß die Kapitalströme ohne Kontrolle von einem Ende des Planeten zum anderen fließen.

Ein Schauspiel von geradezu unwiderstehlicher Komik

Sie verleiht den ihrerseits globalisierten Finanzmärkten eine dominante Position, was wiederum ihre Loslösung von der Realwirtschaft beschleunigt: Da die Geldemission nicht mehr proportional zur Wertschöpfung erfolgt, wandern immense virtuelle Finanzmassen in einem ständig zunehmenden Tempo um den Globus auf der Suche nach einer lohnenden Investition oder einer dauerhaften Gestaltwerdung.

Schließlich hat die Globalisierung eine Situation entstehen lassen, in der schwere Krisen sich von jedem beliebigen Ort der Erde aus in Windeseile über den gesamten Planeten verbreiten. Deswegen zog die amerikanische Krise so schnell die europäischen Finanzmärkte, angefangen mit den Kreditmärkten, in Mitleidenschaft – mit allen Auswirkungen, die eine derartige Schockwelle zu einem Zeitpunkt nach sich ziehen mußte, da die amerikanische wie die europäische Wirtschaft bereits am Rande der Rezession standen.

Angesichts dessen ist es ein Schauspiel von geradezu unwiderstehlicher Komik, wie diejenigen, die nicht müde wurden, die Verdienste der »unsichtbaren Hand« und die Segnungen des „selbstregulierenden” Markts zu preisen, nun den Staat um Hilfe anflehen und von ihm eine Rekapitalisierung oder de-facto-Verstaatlichung fordern. Hier gilt der alte Grundsatz liberaler Heuchelei: die Gewinne privatisieren, die Verluste verstaatlichen.

Die letzte Ursache dieser Krise ist das Streben nach möglichst hohem finanziellen Profit in möglichst kurzer Zeit, im Klartext: das Streben nach maximaler Vermehrung des investierten Kapitals unter Ausschluß sämtlicher anderen Erwägungen. Die derzeitige Krise wird häufig als eine Liquiditätskrise dargestellt, dabei ist sie hauptsächlich entstanden aus der übermäßigen Aufblähung des Finanzvolumens im Vergleich zur realen Wertschöpfung – und somit das genaue Gegenteil einer Liquiditätskrise. Der Finanzmarkt – oder anders gesagt, das Volumen des Handels mit virtuellen Werten – ist zwanzigmal höher als das realwirtschaftliche Handelsvolumen. >>

Infolgedessen reicht die reale Wertschöpfung nicht mehr aus, um die Höhe der Finanzverschuldung zu garantieren. Zu glauben, das Ausmaß dieser Verschuldung lasse sich verringern, indem man das Wachstum der Realwirtschaft ankurbelt, ist Wunschdenken, eben weil diesem realen Wachstum durch die Verknappung der natürlichen Ressourcen enge Grenzen gesetzt sind. 

Wie wird es nun weitergehen? Kann die Krise durch einen »Domino-Effekt« die Zahlungsunfähigkeit sämtlicher wirtschaftlicher Akteure auslösen und somit das gesamte globale Finanzsystem zum Einsturz bringen? Soweit ist es noch nicht. Durchaus möglich, daß die in den vergangenen Monaten ergriffenen Maßnahmen den vollkommenen Einbruch des Finanzsystems abwenden können. Doch selbst im besten Fall wird die Wirtschaftskrise bis auf weiteres anhalten, begleitet von einer allgemeinen Rezession, die zu einem erneuten Anstieg der Arbeitslosigkeit führen wird.

Warten auf die Nachbeben

In der Vergangenheit hat eine systemische Krise den Untergang des Sowjetkommunismus ausgelöst. Ob es dem kapitalistischen System ähnlich ergehen kann? Große Finanzkrisen sind wie Erdbeben. Nach der ersten großen Erschütterung muß man sich auf Nachbeben gefaßt machen, die sich im Laufe der Zeit allmählich steigern. Es wird also eine Art „Spiralwirkung” in Gang gesetzt, deren kumulative Effekte in weitreichenden Krisen münden können.

Das Muster ist bekannt: Die Finanzkrise löst eine Wirtschaftskrise aus, diese wiederum eine Gesellschaftskrise, die sich zur politischen Krise steigert. In den kommenden Jahren ist demnach mit globalen geopolitischen Verschiebungen zu rechnen. Schließlich handelt es sich um eine anthropologische Krise, die sich als solche nur durch eine allgemeine Umorientierung der Verhaltens- und Lebensweisen bewältigen läßt.

Das bedeutet, in der Versorgung mit Energie, Lebensmitteln und Kleidung lokale und regionale Autarkie anzustreben; wirtschaftliche Aktivitäten durch Steuervergünstigungen möglichst lokal anzusiedeln, um Transportwege zu verkürzen und Autonomie zu stärken; auf europäischer Ebene Maßnahmen zum Schutz und zur Stärkung der Gemeinschaften zu verabschieden; den marktwirtschaftlichen Werten weniger Bedeutung innerhalb der symbolischen Vorstellungswelt einzuräumen; ökologische Faktoren bei der Preisgestaltung zu berücksichtigen. Kurz gesagt: Wir müssen uns vom Produktivismus verabschieden und ein für allemal eingestehen, daß ein unendliches materielles Wachstum in einer endlichen Welt nicht möglich ist.

Bei dem Text handelt es sich um einen Auszug aus dem Vorwort des soeben in der Edition JF erschienen Buchs des Autors „Abschied vom Wachstum. Für eine Kultur des Maßhaltens”.

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