Edward Dmytryk gehörte zu jenen Hollywood-Regisseuren, die das Filmgeschäft von der Pike auf gelernt hatten. Sein Studium am California Institute of Technology brach der am 4. September 1908 in Grand Forks in der kanadischen Provinz British Columbia geborene und in San Francisco aufgewachsene Sohn ukrainischer Einwanderer ab und ging nach Hollywood. Dmytryk war sich für keine Arbeit zu schade und arbeitete zunächst als Laufbursche und Studiohilfskraft. Doch schon bald brachte es der begabte junge Mann zum Cutter und schließlich zum Chefcutter. Mit 21 Jahren war er bereits Drehbuchautor, und mit 27 drehte er seinen ersten Film. Er wurde amerikanischer Staatsbürger und trat während des Zweiten Weltkrieges der Kommunistischen Partei bei. Das brachte ihn gegen Ende der 1940er Jahre vor das Komitee für unamerikanische Aktivitäten. Zusammen mit neun anderen Regisseuren und Autoren verweigerte er jedoch die Aussage und wurde zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt. Noch in der Haft sagte sich Dmytryk vom Kommunismus los und nannte vor dem McCarthy-Komitee die Namen anderer Schauspieler und Hollywood-Angestellten, die als Kommunisten verdächtigt wurden. Er hat diese Aussagen später glaubwürdig bedauert und darauf hingewiesen, nur Personen belastet zu haben, die ohnehin schon bekannt waren. Dennoch konnten viele seiner Kollegen ihm diese Denunziationen nicht verzeihen. Immerhin durfte er ab 1951 in den USA wieder Filme drehen. Dmytryk vermochte nahtlos anzuknüpfen an seine großen Erfolge der 1940er Jahre wie „Murder, my Sweet“ (Leb wohl, Liebling, 1944) mit Dick Powell als Privatdetektiv Philip Marlowe, den patriotischen Kriegsfilm „Back to Bataan“ (Stahlgewitter, 1945) mit John Wayne oder „Crossfire“ (Im Kreuzfeuer, 1947) mit Robert Mitchum und Robert Ryan, einen großartigen Thriller, in dem Dmytryk den auch in den USA grassierenden Antisemitismus thematisiert. 1954 kam Dmytryk gleich mit drei Erfolgsfilmen heraus. Er drehte „The End of the Affair“ (Das Ende einer Affaire) nach Graham Greenes mystisch-religiösem Gesellschaftsroman; „Broken Lance“ (Die gebrochene Lanze), einen Edelwestern mit Spencer Tracy und Richard Widmark um einen despotischen alten Viehzüchter, der es zum Großgrundbesitzer gebracht hat, aber an der Rebellion seiner Söhne und am Zerfall seines Lebenswerkes zerbricht; und „The Caine Mutiny“ (Die Caine war ihr Schicksal), ein packendes Kriegsdrama mit prägnant herausgearbeiteten psychologischen und moralischen Konflikten, die am Ende durch das eindrucksvolle „Duell“ zwischen dem wegen seiner angeblichen Unzurechnungsfähigkeit von zwei Offizieren seines Kommandos enthobenen Captain Queeg (Humphrey Bogart) und dem Anwalt der Meuterer Leutnant Greenwold (José Ferrer) vertieft werden. Zwar entpuppt sich Queeg vor Gericht tatsächlich als ein durch seine Kriegseinsätze schwer gestörter Mann, doch Dmytryk beläßt es dankenswerterweise nicht dabei, sondern entlarvt auch die alles andere als edlen Charaktere der Meuterer. Mit „Raintree Country“ (Das Land des Regenbaums, 1957) wollte Dmytryk gar den Erfolg von „Gone with the Wind“ übertreffen. Doch das Familien-epos aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges um einen romantischen jungen Lehrer (Montgomery Clift) und eine geltungsbedürftige Südstaatenschönheit (Elizabeth Taylor), deren Ehe den psychischen Belastungen und sozialen und politischen Gegensätzen nicht standhält, geriet zuweilen schwerfällig und trotz ironischer Details zu sentimental. Ein fesselnder Kriegsfilm gelang ihm dann wieder mit „The Young Lions“ (Die jungen Löwen, 1957), der mit großartigen Schauspielern (Marlon Brando, Montgomery Clift, Dean Martin) drei Soldatenschicksale im Zweiten Weltkrieg schildert. Zwei Jahre später wagte sich Dmytryk an die Neuverfilmung von Josef von Sterbergs Meisterwerk „Der Blaue Engel“ nach dem Roman „Professor Unrat“ von Heinrich Mann. Doch der „normannische Kleiderschrank“ Curd Jürgens als weltfremder Professor Rath war nun mal kein Emil Jannings und die schwedische Schauspielerin May Britt als Tingeltangel-Schlampe Lola-Lola keine Marlene Dietrich. „Zu sentimental und veräußerlicht“, schrieben die Kritiker, und auch das Publikum konnte sich nicht für diese Neuverfilmung erwärmen. Mit dem Western-Drama „Warlock“ (1959) gelang Dmytryk hingegen wieder ein großer Wurf. Dank erstklassiger Schauspieler wie Henry Fonda, Richard Widmark und Anthony Quinn und komplizierter Charakterstudien ragte die Geschichte weit über das Genre hinaus und ließ sowohl inhaltlich als auch optisch Anklänge an „High Noon“ ahnen. In dem raffiniert die Handlung verzahnenden Thriller „Mirage“ (Die 27. Etage, 1964) läßt Dmytryk Gregory Peck als Atomwissenschaftler, der durch ein Schockerlebnis sein Gedächtnis verloren hat, in New York von Gangstern verfolgen, die an sein Geheimnis kommen wollen. Die Zusammenhänge dieses rätselhaften Mosaiks erkennt man erst ganz zum Schluß. Dmytryks letzter Film war „The Human Factor“ (Ein Mann rechnet ab, 1975). Hier nimmt ein in Neapel stationierter amerikanischer Computerfachmann blutige Rache an der Terroristengruppe, die auf bestialische Weise seine Familie ermordet hat. Als „bedenkenloser Selbstjustizfilm, der ein aktuelles politisches Problem mißbraucht, um auf Ängste zu spekulieren“ von der Kritik durchgängig abgelehnt, war der Film dennoch vom Sujet ein origineller und handwerklich gut gemachter Thriller. Nach seinem Abschied von Hollywood war Dmytryk bis 1981 nur noch als Professor für Filmtheorie an der Universität von Austin in Texas tätig. In einem Interview bekräftigte er einmal, daß ihm seine Zeit als Filmdozent mehr Spaß und Freude bereitet habe als die Regiearbeit in Hollywood. Am 1. Juli 1999 ist Edward Dmytryk im kalifornischen Encino an Herzversagen gestorben. Foto: Edward Dmytryk (1908-1999) vor dem Ausschuß für unamerikanisches Verhalten (undatierte Aufnahme): Denunziationen
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