Im Stasi-Knast sitzt ein Zahnarzt, der davon schwärmt, Afrika und Amerika zu bereisen, Völker zu erleben, die er nur vom Hörensagen kennt. Roland Garve, Jahrgang 1956, wuchs in Mecklenburg auf. Früh begeisterten ihn Karl Mays Indianer, wobei die Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuern Pate stand. Der junge Mann gedachte, Ethnologie zu studieren, wurde aber nicht zugelassen und belegte Zahnmedizin. 1981 erhielt er wegen eines Fluchtversuchs zwanzig Monate Haft. Mit 14 anderen Gefangenen in eine Zelle gepfercht, hauste er unter Mördern und Totschlägern. Manche arbeiteten für die Stasi. Eindringlich stellt der Autor den furchtbaren Knastalltag dar. 1983 wurde Garve freigekauft und lebte fortan in der Bundesrepublik als Zahnarzt. Dann realisierte er alte Jugendträume, ging nach Afrika, Südostasien, Lateinamerika, besuchte Steppen- und Dschungelbewohner. Über „Yanomami-Indianer im Amazonas-Regenwald“ drehte der Hobby-Ethnologe 1991 eine Fernsehreportage, die viele Zuschauer begeisterte. Garve erforschte Yanomami-Indianer im Regenwald von Venezuela, die Korowai in West-Papua und die Zoe in Brasilien – die Garve auch „Kirahé“ (weißer Fremder) nannten, und beobachtete ihre verzweifelten Kämpfe gegen die Invasoren aus der „Zivilisation“. Noch immer töten Kopfgeldjäger diese Menschen im Auftrag von Landräubern. Das Kind einer Indianerin hat „ein Pistoleiro vor ihren Augen erschossen, bevor er sie mit der Machete in zwei Teile hieb“. Der Autor hofft, daß Naturvölker, auch wenn sie künftig moderne Technik nutzen, ihre Daseinsformen bewahren. Das Buch lebt vom spannungsvollen Gegensatz zwischen Stasi-Terror und Freiheit. Gute Farbfotos vermitteln einen anschaulichen Eindruck. Überraschend relativiert Garve trotz seiner Odyssee im Arbeiter- und Bauernparadies die SED-Diktatur angesichts des „Elends der dritten Welt“. Diese Oberflächlichkeit erstaunt um so mehr, als er 1992 erfuhr, daß ihn Häscher der SED auch im Westen beobachtet hatten. „Der Konterrevolutionär Garve ist jetzt auch in Lateinamerika subversiv tätig“ und verbreite „konterrevolutionäres Gedankengut“, las er später in seiner Stasi-Akte. Garve empfindet heute „keinen Haß auf die DDR“, sondern verurteilt „nur die Systemträger an der Spitze, die das System erzeugt und gestützt haben“. Trotz solcher politischer Naivitäten kann man sich darüber freuen, daß manche Visionen in Erfüllung gehen. Roland Garve: Kirahe – Der weiße Fremde. Unterwegs zu den letzten Naturvölkern. Ch. Links Verlag, Berlin 2007, broschiert, 527 Seiten, 24,90 Euro
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