Die Kernthese des vorliegenden Buches kann man schon seinem Untertitel entnehmen: Liberalismus und Demokratie, Moderne und Postmoderne bilden kein harmonisches Ganzes, sondern müssen einander gegenübergestellt werden. Das heißt, die Gegenwart ist nicht ohne Vorbehalt als Erbe von Rationalismus, Aufklärung und politischer Theorie der Neuzeit zu betrachten, denn mit dem 19. Jahrhundert haben ein sozialer Wandel und parallel eine Umdeutung von Begriffen eingesetzt, die zur Zerstörung oder Zersetzung der ursprünglichen Inhalte führten. Kondylis hatte diesen Prozeß schon im Fall des Konservativismus nachgezeichnet, hier wandte er sich der erfolgreichen Gegenpartei zu. Deren Sieg war allerdings ein Pyrrhussieg, denn die Durchsetzung der bürgerlichen Vorstellungen führte nicht nur zur (beabsichtigten) Zerstörung der alteuropäischen Gesellschaft, sondern auch zur (unbeabsichtigten) Beschädigung der eigenen Konzeption. Am Anfang stand die optimistische Grundannahme, daß es einen Zusammenhang des „Vernünftigen“ und des „Natürlichen“ gebe, wie das der Rationalismus und die Aufklärung behaupteten. Das kam den Intentionen der bürgerlichen Klasse so lange entgegen, solange sich daraus Argumente gegen das Ancien régime gewinnen ließen, das sich auf Tradition und göttliches Recht gründete. In dem Augenblick aber, in dem die alte Ordnung beseitigt war, erstand ein neuer Gegner, die „Masse“ nämlich, das heißt die vielen, die ihre Emanzipation mit vernünftigen – insofern vom Bürgertum nicht bestreitbaren – Gründen forderten, aber nicht mehr an ein prästabiles Ganzes glaubten, sondern von der willkürlichen Konstruierbarkeit der Gesellschaft mittels Revolution und Planung ausgingen. Kondylis analysiert, wie das Bürgertum hinhaltenden, wenngleich vergeblichen Widerstand leistet und sich angesichts der Übermacht der Verhältnisse damit tröstet, seine ursprünglichen Ideale im Bündnis mit den aufsteigenden Kräften doch bewahren zu können. Deren Entleerung war so selbstverständlich nicht zu verhindern, und der nihilistische Zug des modernen Denkens setzt sich in der Massengesellschaft weiter durch. Das war nach Meinung von Kondylis kein Zufall, sondern zwangsläufig, da die bürgerliche Epoche in der Gegenwart ganz an ihr Ende kommen muß und sich eine Zukunft vorbereitet, in der zwar alle kämpfenden Parteien – anders als im „Zeitalter der Ideologien“ – dieselben Parolen („Menschenrechte“, „Demokratie“, „Freiheit“) im Munde führen, indes damit ganz verschiedene Absichten verbinden, die immer der eigenen Machtsteigerung dienen. Deshalb kann auch die furchtbare Alternative nicht ausgeschlossen werden, die der Fortschrittsglaube für ganz unmöglich erklärt hatte: „das Zurückwerfen der Geschichte in das primitive Stadium der elementaren existenziellen Auseinandersetzung“. Panajotis Kondylis: Der Niedergang der bürgerlichen Denk- und Lebensform. Die liberale Moderne und die massendemokratische Postmoderne. Akademie Verlag, Berlin 2007, gebunden, 300 Seiten, 44,80 Euro