Die sachsen-anhaltinische Hauptstadt Magdeburg möchte sich in den kommenden Jahren zu einem Zentrum der Mittelalterforschung in Deutschland profilieren.
Bereits mit der großen Präsentation über Kaiser Otto I. von 2001 sowie über das Heilige Römische Reich Deutscher Nation habe Magdeburg seine Kompetenz auf diesem Gebiet unter Beweis gestellt, betonte Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper vor wenigen Wochen auf einer Pressekonferenz. In enger Zusammenarbeit mit der universitären und außeruniversitären Forschung sollen in Zukunft im Abstand von jeweils zwei bis drei Jahren regelmäßige große Präsentationen erfolgen.
Die aktuelle Ausstellung „Spektakel der Macht – Rituale im alten Europa 800-1800“, die noch bis zum 4. Januar 2009 im Kulturhistorischen Museum in Magdeburg besichtigt werden kann, wurde bereits nach diesen Grundsätzen konzipiert. Die Grundlage stellte ein Forschungsprojekt der Friedrich-Wilhelms-Universität im westfälischen Münster dar.
Hochzeit im Mittelalter
Unter dem Titel „Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“ wird dort seit Jahren die Bedeutung von Ritualen – von der Kaiserkrönung über die Bischofswahl bis zum universitären Leben – während des Mittelalters und der Frühen Neuzeit erforscht.
Nie kam Ritualen eine solche Bedeutung wie im Mittelalter zu: Mit der Ausübung ritueller Handlungen wurden Ordnungen begründet, Rechte und Pflichten von Herrschenden und Untergebenen wechselseitig anerkannt und Konflikte gelöst. Davon waren nicht nur die unmittelbar Beteiligten, sondern ebenso das gesamte beobachtende Umfeld betroffen.
Dies ist ein wesentlicher Grund, die aufwendige Gestaltung des Rituals zu betrachten. Wer sich auch nur mittelbar daran beteiligte, akzeptierte die mit der Ausübung des Rituals aufs Neue besiegelten Herrschafts- und Machtverhältnisse. Verweist die Ausübung eines Rituals bereits auf ein starkes Traditionsbewußtsein, so ließ sich diese Wirkung mit dem Verweis auf große historische Zeremonien noch steigern.
<---newpage---> Rituale waren äußerst komplex
Diese Funktion verdeutlicht das Kernmotiv der Ausstellung: eine – historisch sehr frei gestaltete – Darstellung der Krönung von Kaiser Heinrich II. durch Papst Benedikt VIII. Das dreiteilige Gemälde aus dem 15. Jahrhundert sollte durch den Bezug auf das historische Ereignis, welches bereits fast ein halbes Jahrtausend zurücklag, den aktuellen Kampf von Kaiser Maximilian I. gegen die Türken rechtfertigen, vor allem die darin ebenfalls dargestellte siegreiche Schlacht des kaiserlichen Heeres gegen den Polenherzog Bolesław den Tapferen.
Die Rituale waren äußerst komplex. So begann eine Königs- bzw. Kaiserkrönung im Römischen Reich Deutscher Nation mit dem Zug der Deputierten von Aachen und Nürnberg nach Frankfurt, um die Reichsinsignien in die Krönungskirche St. Bartholomäus zu überführen. Den Auftakt der eigentlichen Krönungszeremonie stellten die Weihe und die anschließende rituelle Befragung des Königs nach seiner Rechtgläubigkeit dar.
Danach leistete der zukünftige Herrscher den Eid auf das Aachener Reichsevangeliar, worauf die Salbung mit Katechumenöl stattfand. Anschließend wurden dem König in der Wahlkapelle vom Kölner und Mainzer Erzbischof der Krönungsornat angelegt. Die eigentliche Krönung, die mit der rituellen Übergabe der Regalia begann, übernahm im Mittelalter der Kölner und in der Frühen Neuzeit der Mainzer Erzbischof.
Ähnliche Zeremonien bei der Wahl von Universitätsrektoren
Der Thronfolger erhielt zunächst den Säbel Karls des Großen. Anschließend erhielt der Kniende das Zepter in die rechte und den Reichsapfel in die linke Hand. Dann legte ihm der Brandenburger Kurfürst oder ein Wahlbotschafter den Krönungsmantel über die Schultern. Nun erst setzte ihm der Erzbischof die Reichskrone auf das Haupt.
Danach nahm der neue König seine erste Amtshandlung vor, indem er durch den Kreuzgang in einer Prozession zum Römer zog, wo anschließend ein Krönungsmahl eingenommen wurde. Das Ritual einer Bischofsweihe ähnelte in hohem Maße demjenigen einer Königskrönung.
Aber auch vom hohen Bürgertum in den Städten wurden vergleichbare Zeremonien bei der Einsetzung eines neuen Stadtrates gepflegt. Allerdings bestand dabei der wesentliche Unterschied darin, daß den Ratsherren nur eine Herrschaft auf Zeit verliehen wurde. Ähnlich war es bei den Rektorenwahlen an den Universitäten.
<---newpage---> Mit der Französischen Revolution verschwanden die Rituale
Verweigerten wichtige Würdenträger die persönliche Teilnahme, so stellte dies im Regelfall ein sichtbares Zeichen für Spannungen und Konfliktsituationen dar. Zudem war es ein deutlicher Fingerzeig auf eine schwindende Macht. Dies zeigte sich unter anderem in dem Fernbleiben der weltlichen Kurfürsten von den Krönungszeremonien im 18. Jahrhundert, die nur noch Gewährsleute nach Frankfurt entsendeten.
Durch die Ausübung von Ritualen wurde die Verschiebung von Machtverhältnissen sichtbar, die sonst weitgehend verdeckt blieben. Obwohl Rituale einen unmittelbaren Bezug zu oft jahrhundertealten Traditionen aufweisen, bedürfen sie einer regelmäßigen Veränderung. Dies ist schon daher zwingend notwendig, damit das Ritual selbst nicht nur eine bloße Hülle für Veraltetes darstellt.
Auf der anderen Seite sind Rituale zumeist nur innerhalb eines bestimmten Rahmens veränderbar. Mit der Französischen Revolution und dem Ende des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verschwanden viele überkommene Rituale schnell, die für die überkommene Herrschaft standen. Doch auch die neuen Herrscher konnten nicht vollständig auf Rituale verzichten.
Einzigartige Ausstellungsexemplare
So wurden oft lediglich das Dekor und die Auswahl der Teilnehmer an den Zeremonien geändert. Für die Ausgestaltung des Festprogramms bei den französischen Föderationsfesten konnte die katholische Fronleichnamsprozession ebenso Modell stehen wie römische Triumphzüge oder die königlichen Entrees der Frühen Neuzeit.
Denn rasch wurde deutlich, daß auch in einer republikanischen Ordnung Macht stets der Sichtbarkeit bedarf. Und selbst in der heutigen Zeit gibt es zahlreiche rituelle Handlungen, zum Beispiel bei der Vereidigung eines Bundeskanzlers oder Ministers.
Insgesamt werden in der Ausstellung 250 Exponate aus acht Ländern präsentiert. Zu den besonders herausragenden zählen unter anderem das Heriman-Kreuz aus Köln und das Borghorster Stiftskreuz aus dem 11. Jahrhundert. Auf dem letzteren ist Kaiser Heinrich II. zu sehen, wie er als Stifter auf Knien um die Annahme seiner Gabe bittet.
Ein herausragendes Objekt stellt ebenso das Krönungsbuch Karl V. von Frankreich aus dem 14. Jahrhundert dar. Im Hauptteil enthält es genaue Anweisungen über die zeremonielle Ausgestaltung der Weihe und Krönung des französischen Königs. Für das einzigartige Exemplar aus der Londoner British Library gelten besondere Sicherheitsbedingungen. Schon allein wegen dieser einzigartigen Objekte lohnt sich ein Besuch in Magdeburg.
Die Ausstellung „Spektakel der Macht – Rituale im alten Europa 800-1800“ ist bis zum 4. Januar 2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, Otto-von-Guericke-Str. 68-73, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr zu sehen. Weitere Informationen auf der Internetseite www.spektakeldermacht.de Zur Ausstellung ist ein reich bebildeter Katalog mit 256 Seiten erschienen, der zum Preis von 24,90 Euro erhältlich ist. Ebenso ist ein 58seitiges Begleitheft zur Ausstellung erhältlich.