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Reisen und andere Räusche

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Der physische Gipfel des Alkoholrausches erschöpft sich im Komasaufen, im schlimmsten Fall endet er mit einer letzten Reise mit Freund Hein. Ähnlich verhält es sich mit dem Reiz der Ferne. Denn „selbst die schönste Landschaft, in der wir drei Monate leben, ist unserer Liebe nicht mehr gewiß, und irgendeine fernere Küste reizt unsere Habsucht an: Der Besitz wird durch das Besitzen zumeist geringer.“ Das luzide Fazit Friedrich Nietzsches aus der „Fröhlichen Wissenschaft“ füllt in der von Ralf Küttelwesch herausgegebenen Anthologie über den „Rausch der Ferne“ mehr als 300 Seiten. Sie ist eine Fortschreibung der 2005 veröffentlichten Sammlung, welche sich unter dem Leitmotiv des „Konservativen Rausches“ dem Abenteuer Alkohol gewidmet hatte (JF 36/05) und auch diesmal nicht ohne diesen auskommt. Derweil will es die Differenz zwischen Fremd- und Selbstwahrnehmung, daß seit dem Altertum „die Völker sich gegenseitig der Trunksucht“ bezichtigen, so Kurt Kusenberg in seiner Schrift „Der ehrbare Trinker“ von 1965. Ermangelt seine „historisch-bacchantische Geographie“ nicht eines erheiternden Zuges, so begegnet dem Leser eine Reihe von Texten, die zumeist unter dem Motto „o schöner Soldatentod“ zu rubrizieren wären und teilweise eine befremdliche Lust am Töten dokumentieren. Stellvertretend seien die „Adjudantenritte“ Detlef von Liliencrons (1883) zitiert, in der der „Blutsee“ gefeiert und das Schlachtfeld als „buntest verstreuter Weihnachtstisch“ geschildert wird. Derlei scheint so gar nicht dem Ausspruch Alexander von Humboldts zu entsprechen, welcher der Anthologie vorangestellt ist. Diesem zufolge ist „die gefährlichste Weltanschauung“ die derjenigen, „die die Welt nicht angeschaut haben“. Einer, der ungewöhnlich viel sah, war Richard Katz, das „Paradebeispiel eines Weltenbummlers“. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt er als der meistgelesene deutschsprachige Reiseschriftsteller. Da seine Biographie — nicht zuletzt aufgrund seiner jüdischen Herkunft — ihn mehrfach zur Flucht zwang, war es später nicht nur der Rausch der Ferne, sondern ebenso die Sehnsucht nach Heimat, die ihn umtrieb. Seine — aus heutiger Sicht — „rassistische“ und „kolonialistische“ Betrachtungsweise ist gleichwohl hochaktuell, so das Plädoyer für die Pluralität der Kulturen und gegen den Universalismus westlicher Menschenrechte: „Wer unsere ‘Sitten’ in anderen Breitengraden predigt, stiftet betrüblichen Schaden“. — Kurz: Alles für die Katz. Ralf Küttelwesch (Hrsg.): Der konservative Rausch. Im Rausch der Ferne und andere Geschichten. Zweite Anthologie. Factum coloniae, Köln 2007, gebunden, 305 Seiten, 24,95 Euro

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