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Pankraz, Pindars Chöre und die gedopte Riesenmaus

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Wieviel Chemie ist in die Olympischen Spiele investiert, die jetzt in Peking begonnen haben? Das fragt sich so mancher sportbegeisterte Zeitgenosse und wartet bänglich auf die ersten Enthüllungen bei den anstehenden Dopingproben. Eine wachsende Zahl aufmerksamer Fans hat inzwischen freilich die Nase von der "ewigen Dopingschnüffelei" gründlich voll und ruft nach Einstellung der Verfahren. Doping gehöre zum Sport wie der Kaffee zum Frühstück, heißt es.

Gedopt wurde tatsächlich schon immer, wenn es um Wettbewerb und Leistungsvergleich ging, auch schon bei den allerersten Olympischen Spielen. Damals soffen die Athleten Stierblut und fraßen Löwenhoden, heute schlucken sie Anabolika und lassen sich Anti-Myostatin unter die Haut spritzen, wo ist da der Unterschied? Feinsinnige Sportästheten sagen, das Stierblut sei "Natur", das Myostatin sei dagegen "Kultur", "Industrie", "Laboratorium"; der Sport seinerseits sei ein "natürliches" Phänomen, und deshalb erlaube er Stierblut, nie und nimmer Anti-Myostatin.

Ist der Sport aber wirklich "Natur"? Davon kann doch gar keine Rede sein! Bei den Tieren gibt es keinen Sport, denn Tiere spielen nicht, nur Tierkinder. Bei den Erwachsenen ist immer Ernstfall, die Bullenturniere entscheiden über Revierbehauptung, Fortpflanzungszugang und ähnliches. Mit einem bloßen Lorbeerkranz wäre kein Bulle zufriedenzustellen.

Pankraz behauptet rundweg: Sport ist durch und durch "Kultur", ist Künstlichkeit, künstliche Verkindlichung von eigentlich erwachsenen Lebenswelten. Sein primärer Zweck war und ist die Erlangung von Ruhm um seiner selbst willen. Erst später knüpften sich an den Ruhm, ursprünglich ein rein transzendentes Gut, auch weltliche Güter: Privilegien in der Heimatgemeinde, für die man den Lorbeerkranz angeblich erstritten hatte, Geld, Aufstieg in der Politik. Ob aber Geld oder "bloßer" Ruhm – stets war faktisch jedes Mittel recht, um zu siegen. Natürliche Anlagen mußten künstlich verbessert werden, darüber herrschte völlige Einigkeit.

Das Regelwerk, das zu jedem Spiel und mithin auch zum Sport dazugehört und das für "gleiche Siegeschancen" sorgen soll, war von Anfang an knapp gehalten, beschränkte sich bewußt auf einige wenige räumliche und zeitliche Startbedingungen. Wie denn auch anders! Verbissene Gleichmacherei mittels Regelflut wäre das sofortige Ende des Sports. Erst die Differenz entscheidet ja über Sieg und Niederlage. Hinzu tritt noch der sogenannte Zufallsfaktor, der ebenfalls nie voll einzukalkulieren ist, was den Reiz der Spiele sehr erhöht.

Jedes genauere Nachdenken bringt an den Tag: Die aktuelle Anti-Doping-Wut beruht zum guten Teil auf Illusion und Heuchelei. Der Gerechtigkeit und der Reinerhaltung des Sports will man dienen? Nun, der Sport war nie "rein", und um Gerechtigkeit ging es bei ihm immer am allerwenigsten. Aber er hatte in alten Zeiten seine (höchst attraktiven) Geheimnisse, und diese Geheimnisse droht er heute zu verlieren. Genau darum geht es: Man will dem Sport seine Geheimnisse, seine "Aura" erhalten, an sich kein ehrenrühriges Geschäft.

Es gab bei den Sportlern stets eine Außen- und eine Innenseite. Die Außenseite war (und ist nach wie vor) der strahlende Held und Lorbeerträger; die Innenseite war in alten Zeiten der Liebling des Zufalls und der Götter, eine von Dämonie umhüllte, auch etwas unheimliche Figur. In unseren Tagen nun ist an die Stelle der Götter und des Zufalls weitgehend die Chemie getreten, die Pharmazie, die Gentherapie, und das nagt kräftigst am Image des Olympiasiegers. Er ist in mancher Perspektive schon mehr Patient als Held, mehr Versuchskaninchen als Inkarnation eines freien, machtvollen Willens. Warum soll man ihm dafür noch Ruhm und/oder Geld geben?

Zumindest das Geld gebührt an sich ganz anderen Instanzen, etwa den "Überwindern des Myostatin". Myostatin, das Schlüsselsekret des modernsten Zweigs der Doping-Industrie, des "Gendoping", ist gar kein typisches Aufbau-, sondern eher ein Haltemittel. Es ist jenes Protein, das in der Zelle dafür sorgt, daß unsere Muskelausstattung in natürlicher Ordnung bleibt. Muskelschwund und die mit ihm verbundenen Krankheiten können – so jedenfalls die Hoffnung der Forschung – durch künstlich in die Zelle injiziertes Myostatin geheilt werden.

Indes, den Strategen des Gendoping im Sport geht es nicht um Myostatingaben, sondern um den Entzug von Myostatin. Wenn sie den Spitzensportlern ein Anti-Myostatinmittel verpassen – so ihr Kalkül -, dann wird deren Muskelaufbau nicht mehr natürlich kontrolliert, und man kann ihn, je nach Sportart, an den gewünschten Stellen fast beliebig "optimieren". Versuche an Labormäusen haben bereits zu schönen Erfolgen geführt in Gestalt von Riesenmäusen, die ihre myostatinhaltigen, normal bemuskelten Mitmäuse im Handumdrehen vom Futternapf verdrängten.

Der Olympiasieger als laborgezeugte Riesenmaus ohne Muskelbremser – dieses Horrorbild steht zur Zeit als Realutopie am Horizont des gengedopten modernen Sports. Dagegen verblassen alle bisher bekanntgewordenen "Dopingsünden", das vielgeschmähte sogenannte Epo-Hormon zur Bildung zusätzlicher roter Blutkörperchen ebenso wie die hart attackierte Eigenblut-Therapie, das Heer der Schmerzpillen, der Antibiotika, der künstlichen Herzfrequenzregulierer. Die letzten Illusionen, die man sich noch über die Helden des Sports gemacht haben mag, zerstieben, und damit wird einer ganzen Dimension des modernen Lebens buchstäblich der Boden entzogen.

Wie tönte einst Pindar (52-448 v. Chr.), Vater und Künder aller abendländischen Sportbegeisterung, in seinem berühmten achten olympischen Chorlied auf einen Sieger im Wettbewerb der Diskuswerfer? "Der Mensch ist eines Schattens Traum. / Aber wenn uns gottgeschenkt / Der Flammenglanz des Sieges naht, / Dann fällt ein schimmerndes Licht auf uns alle, / Und freundlich und leicht wird das Leben …" O Pindar!

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