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Pankraz, der Beschleuniger und das Gottesteilchen

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Der neue Teilchenbeschleuniger in Genf ist nun angeworfen, und Pankraz hat mit einem Kollegen eine für seine Verhältnisse ziemlich anspruchsvolle Wette abgeschlossen. Der Kollege wettet 1.000 Euro darauf, daß in der Kernphysik demnächst nun spektakuläre Entdeckungen gemacht werden. Wahrscheinlich werde man sogar das sogenannte „Gottesteilchen“ entdecken. Pankraz hält dagegen. Er sagt voraus, daß in Genf überhaupt nichts die Forschung Voranbringendes passieren wird. Dauer der Wette: ein Jahr.

Einige Leute, darunter auch „Koryphäen“, sind ja der Meinung, daß mit der Eröffnung des Genfer Beschleunigers vorige Woche der Weltuntergang, die Apokalypse, begonnen habe. Man werde jetzt en masse die berüchtigten „Schwarzen Löcher“ erzeugen, und mindestens eines davon werde sich zu einem Strudel vergrößern und die ganze Erde in kürzester Zeit in sich hineinsaugen und auf die Größe eines Stecknadelkopfs verkleinern, inklusive sämtlicher Menschen, Balkongeranien und Keinohrhasen.

Gegen solche Behauptungen würde Pankraz sofort 100.000 Euro setzen, aber Apokalyptiker wetten leider nicht. So bleibt es  bei den 1.000 Euro für das nicht auffindbare Gottesteilchen. Was Pankraz gegen die neue Hadronenschleuder in Genf (LHC) so skeptisch macht, ist zunächst einmal ihr Gigantismus. Die schiere quantitative Größe des Projekts, so wird allerorten versichert, werde zu schönen Entdeckungen führen, gemäß der Hegelschen Dialektik, wonach die Quantität notwendig in Qualität „umschlagen“ muß. Was für ein Hokuspokus!

Teilchenbeschleuniger gibt es seit über fünfzig Jahren, und sie arbeiteten in all der Zeit nach der immer gleichen Methode: Kernphysikalische Teilchen werden mit möglichst hohen Geschwindigkeiten im Kreise herumgejagt und schließlich zum Zusammenstoß gebracht. Dabei entstehen, meistens nur für millionstel Sekundenbruchteile, aber in der Nebelkammer „nachweisbar“ gemacht, immer neue Teilchen, die die Forscher abschließend in ihr „Standardmodell von der Beschaffenheit der Materie“ sinnvoll einzuordnen versuchen.

Vergebliche Liebesmüh! Je mehr neue Teilchen, umso chaotischer, in sich widersprüchlicher das Standardmodell. Der ganze Modellierbetrieb entartete darüber zum bloßen Löcherstopfen, doch niemand kam auf den Gedanken, einmal prinzipiell die Versuchsanordnung in Frage zu stellen. Es ging immer nur darum, den Beschleuniger noch größer zu machen, die Laufstrecken und die Geschwindigkeiten für die Teilchen noch mehr zu verlängern bzw. zu erhöhen. Das Genfer LHC ist nun wieder mal das Größte, das Aller-allergrößte, „die größte Maschine der Weltgeschichte“, wie es in den Medien triumphierend heißt. Doch herauskommen wird wieder nichts.

Wobei die Sache mit dem Gottesteilchen, das man diesmal im Beschleuniger nachweisen will, eine monumentale Zusatzpointe birgt. Dieses Gottesteilchen, im Fachjargon nach seinem Erfinder Peter Higgs auch Higgs-Teilchen oder Higgs-Boson genannt, ist jenes Teilchen, von dessen Realexistenz der ganze hektische Standardmodellbetrieb abhängt. Wenn man das Higgs-Boson nicht endlich „nachweist“, dann kann die ganze theoretische Kernphysik ihren Laden dichtmachen, dann muß man künftig den Tanz des indischen Gottes Schiwa zum wissenschaftlich abgesegneten Urprinzip der erscheinenden Welt erklären.

Schiwas Tanz ist masselos, ist reine Energie, reiner Rhythmus, ganz ähnlich wie in der Teilchenphysik die sogenannten „letzten Teilchen“, die Quarks und Leptonen, an sich keine Masse mehr haben, sondern nur noch „Farben“, „Flavours“, „Charme“. Was Quarks & Co. einzig auf der materiellen, physikalisch formulierbaren Seite hält, ist die Annahme des Standardmodells, daß sie einfach Masse haben müssen. Und für diese bloße Annahme steht also das Higgs-Boson.

Man stellt es sich — wenn man in diesen Sphären überhaupt von „vorstellen“ sprechen kann — als eine Art Zapfsäule vor, bei der sich die sogenannten Eichbosonen, die zwischen den physikalischen Grundeinheiten und Grundkräften vermitteln und die allen mathematischen Berechnungen zufolge selber masselos sind, mit eigener Masse versorgen. Deshalb auch die Bezeichnung „Gottesteilchen“. Die Eichbosonen sind die Engel der Kernphysik, das Higgs-Boson (oder der „Higgs-Mechanismus“, wie man auch sagt) ist der liebe Gott höchstpersönlich. Ohne Gottesteilchen keine Kernteilchen, ohne Teilchen kein Standardmodell.

Wobei man die Eigenschaften des Gottesteilchens, durch welches das Standardmodell doch erst glaubhaft werden soll, schon munter aus eben diesem Standardmodell errechnet hat. Es ist ein Zirkelschluß, wie ihn sich Epimenides in der Antike nicht besser ausgedacht haben könnte. Das Gottesteilchen hat keine elektrische Ladung, so postuliert man messerscharf. Es besitzt ganzzahligen Spin, und nach den neuesten Berechnungen liegt seine Eigenmasse zwischen 117 und 155 Gigaelektronenvolt.

Im neuen Genfer LHC will man jetzt allen Ernstes darangehen, das Gottesteilchen endlich physikalisch ins Netz zu kriegen. Auch dabei denkt man wieder rein quantitativ, huldigt mit Hingabe der „Tonnenideologie“, wie es einst im Sowjetsystem hieß. Bisherige kleinere Beschleuniger, so argumentiert man, hatten eine sehr geringe „Produktrate“, also nur wenige Teilchenkollisionen pro Durchlauf. Im neuen Gerät aber, mit 27 Kilometern Laufstrecke (!) und bisher ungeahntem Energieaufwand, wird es einen gewaltigen „Produktausstoß“ geben, und so wird einem eines Tages auch das leibhaftige Gottesteilchen über den Weg laufen.

Daß man sich da nur nicht täuscht. Der Bau des Genfer LHC (in Worten: „Large Hadron Collider“) hat Milliarden verschlungen, und sein Unterhalt wird weitere Milliarden verschlingen. Die Welt wird darüber nicht untergehen, aber Belangvolles finden wird man auch nicht. Gott ist kein Teilchen. Die Wette gilt.

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Marc Jongen, ESN Fraktion
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